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Schweizer Wind fürs deutsche Fundraising

Einsatz eines MSF-Teams im Katastrophengebiet nach den Jahrhundert-Überschwemmungen in Pakistan: Mobile Klinik von Ärzte ohne Grenzen in Utmanzai ausserhalb von Peshawar. MSF/Ton Koene

Der Schweizer Thomas Kurmann ist nach Berlin gekommen, um "Ärzte ohne Grenzen" Deutschland voranzubringen. Mit frischem Wind und Schweizer Knowhow will er die Spendeneinnahmen der Organisation in nur wenigen Jahren fast verdoppeln.

In den nächsten fünf Jahren will Thomas Kurmann die Spendeneinnahmen der deutschen Sektion der internationalen Hilfsorganisation Médecins sans Frontières (MSF) deutlich steigern und so unter die ersten fünf der Spenden sammelnden Organisationen Deutschlands kommen.

“Die Ziele sind ambitioniert, aber realistisch”, meint er. Seit Herbst 2009 leitet der Schweizer die Abteilung für Fundraising von “Ärzte ohne Grenzen” Deutschland.

Ein Job, den er schon kennt – jedenfalls aus Schweizer Perspektive: Auch in Genf war er der oberste Spendensammler für MSF. Auch dort hat er die Einnahmen innerhalb von fünf Jahren deutlich gesteigert.

An einem der ersten Frühlingstage des Jahres sitzt der 42-Jährige in einem Strassencafé im Berliner Szenebezirk Friedrichshain in der Sonne.

“In Berlin kann man mit Stars und ganz normalen Leuten gleichzeitig im Café sitzen. Hier vermischen sich Lebensweisen und Kulturen. Das macht die Stadt dynamisch und weltoffen.” Die Welt- und Partystadt Berlin hat Kurmann schon immer gefallen.

Die Entscheidung, von Genf nach Berlin zu wechseln, fiel ihm deshalb nicht schwer. Ausschlaggebend war die berufliche Herausforderung: “Ärzte ohne Grenzen hat in Deutschland derzeit ungefähr 250’000 aktive Spender, genauso viele wie in der Schweiz, dabei ist die Schweiz zwölfmal kleiner als Deutschland.”

Das will Kurmann ändern. Das Potential für Ärzte ohne Grenzen sei auf dem deutschen Spendenmarkt zweifelsfrei da. “Unsere guten Umfragewerte hinsichtlich Transparenz und Glaubwürdigkeit spiegeln sich noch nicht in den Spendeneinnahmen wieder”, sagt er.

Wachstum erzeugen

Bei der Umsetzung seiner Ziele setzt Kurmann auf eine Mischung aus bewährten Methoden aus Deutschland und Rezepten, die in der Schweiz die grössten Erfolge feierten.

“Dem letzten Spendenbrief an potentielle Neuspender haben wir eine Weltkarte beigelegt. Das war bei uns in der Schweiz der Renner, und jetzt testen wir, ob auch in Deutschland so viele Menschen mit einer Spende auf diese Beilage reagieren. Ich will Bewegung in den deutschen Markt bringen.”

Eine Schweizer Agentur entwickelt derzeit in Kurmanns Auftrag neue Konzepte für Ärzte ohne Grenzen Deutschland.

Kurmann zählt darauf, dass seine in der Schweiz gewonnenen Erfahrungen auch in Deutschland funktionieren. “Ich weiss, wie Wachstum erzeugt wird”, sagt er. “Unter meiner Führung sind die Spendeneinnahmen von MSF Schweiz von 34 auf 50 Millionen Schweizer Franken gestiegen.”

Sich selbst sieht Kurmann als Mittler zwischen den Spendern auf der einen und den Patienten auf der anderen Seite. “Es geht mir nicht ums Wachsen um des Wachstums willen. Aber ohne Fundraising, keine Projekte. Nur der Spender macht es möglich, dass MSF den Patienten Hilfe bringen kann.”

Nur eine Sprache und kein See

Dass Deutschland doch nicht in jeder Hinsicht wie die Schweiz funktioniert, musste Kurmann auf seinem neuen Posten in Berlin anhand einiger unerwarteter Erschwernisse bereits lernen. Zum Beispiel die deutschen Datenschutzbestimmungen.

“Datenschutz wird in Deutschland viel sensibler gehandhabt als in der Schweiz. Neuspender-Gewinnung per Telefon, das in der Schweiz gut funktioniert, ist hier kein Thema. Das hat mich überrascht.”

Auch die deutschen Regelungen zur Elternzeit bedeuten für ihn eine Umstellung. “Aus der Schweiz war ich es nicht gewohnt, dass meine Teammitglieder für 12 bis 14 Monate zu Hause bleiben. Für mich als Chef und die Stabilität des Teams ist das schon eine Herausforderung”, sagt er. Persönlich halte er die Elternzeit aber für eine tolle soziale Errungenschaft.

Erleichtert ist er hingegen, dass er in Deutschland nicht mehr alles in drei Sprachen übersetzen muss, denn das war immer sehr zeit-, ressourcen- und kostenintensiv.

Trotzdem fehlt ihm in Deutschland dieses babylonische Gemisch. “In Genf habe ich täglich vier Sprachen gesprochen.” Ausser den Sprachen und seinem im Sommer allmorgendlich zelebrierten Bad im Genfersee fehle ihm in Berlin aber nichts, sagt er noch.

Dass er seine sich selbst gesetzten Zielvorgaben wegen Datenschutz, Elternzeit und ohne Genfer See nicht erreichen könnte, darüber macht sich Kurmann keine Sorgen. “Ich hatte bisher das Glück, immer Erfolg zu haben”, sagt er und klopft auf Holz.

Lena Langbein, Berlin, swissinfo.ch

Ärzte ohne Grenzen / Médecins sans Frontières (MSF) ist eine private, internationale Hilfsorganisation.

1971 in Frankreich gegründet, verfügt die Organisation inzwischen über Sektionen in 19 Ländern und ist in über 60 Ländern weltweit tätig.

MSF hilft Menschen in Not, d.h. Opfern von Naturkatastrophen oder bewaffneten Konflikten, ungeachtet ihrer Herkunft und religiösen oder politischen Überzeugung.

Die Mitarbeitenden verpflichten sich dabei den Prinzipien der Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Neutralität.

Zu den Aufgaben gehören zum Beispiel der Aufbau von Krankenhäusern oder Gesundheitszentren, mobile Kliniken zur Versorgung ländlicher Gebiete, Impfkampagnen, medizinische Versorgung in Flüchtlingslagern, psychologische Betreuung sowie Wasser- und Sanitärprojekte.

In den medizinischen Nothilfe-Projekten arbeiten Ärzte, Krankenpflegepersonal und Logistiker zusammen mit nationalen Mitarbeitern.

Koordiniert und unterstützt werden die Projekte vor Ort von den 19 Länderbüros.

Neben der Projektkoordination wird hier Personal eingestellt sowie Öffentlichkeitsarbeit und Spendenwerbung gemacht.

Die Projekte werden zu über 80% über Privatspenden finanziert.

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