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Antibiotika-Resistenz im Genfersee nimmt zu

Bewohner aus Lausanne geniessen das Frühlingswetter am Genfersee bei Vidy. Keystone

Mit dem Abwasser, vor allem aus Spitälern, gelangen Bakterien in die Umwelt, die gegen Antibiotika resistent sind. Die gefährlichsten unter ihnen scheinen die Abwasserreinigung unbeschadet zu überstehen. Wissenschaftler der EAWAG warnen vor Langzeitrisiken.

Die Eidgenössische Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz (EAWAG) hat eine Studie durchgeführt, um mehr zu erfahren über die Mehrfach-Resistenz von Bakterien in natürlichen Gewässern und darüber, wie resistente Gene ins Abwasser geraten.

Die Wissenschaftler führten ihre Untersuchungen am Genfersee bei Lausanne durch. Die Stadt, in der 215’000 Personen leben, beherbergt mehrere kleine Gesundheitszentren und das Universitätsspital (CHUV).

Täglich werden 90’000 Kubikmeter Wasser aus der Kläranlage direkt in die Bucht von Vidy geleitet, rund 700 Meter vom Ufer entfernt in einer Tiefe von 30 Metern.

Obwohl 75 Prozent der Bakterien in der Kläranlage der Stadt eliminiert werden, gelangen “höher entwickelte” multi-resistente Bakterienstämme mit dem behandelten Abwasser in den See, vor allem auch ins Sediment.

Drohende Langzeitrisiken

Gerade die gefährlichsten Keime, solche mit Mehrfach-Resistenzen, scheinen die Abwasser-Behandlung nicht nur zu überstehen, sondern von ihr sogar gefördert zu werden. 

Obwohl Wasser aus dem Genfersee nach einer Behandlung auch in die Trinkwasser-Versorgung eingespiesen wird, gebe es keinen Grund zur Panik, sagen die Forscher. Aber sie warnen vor potentiellen Langzeitrisiken.

“Niemand muss gegenwärtig Bedenken haben, in Schweizer Seen zu schwimmen. Unsere Forschungsresultate würden eine solche Warnung nicht rechtfertigen”, sagt EAWAG-Forscher Helmut Bürgmann gegenüber swissinfo.ch.

“Wir glauben nicht, dass eine akute Gefahr besteht – dafür gibt es keine Indikationen. Aber es gibt ein Risiko-Potential, wenn dauerhaft Mehrfach-Resistenzen in die Umwelt abgelagert werden und sich dort entwickeln.

Langfristig könnte es aber eine Rolle spielen. Das Risiko, dass sich Resistenzgene über kurz oder lang auch auf Krankheitserreger übertragen, erhöhe sich.   

Kein Sonderfall

Der Genfersee sei kein Einzelfall, sagen die EAWAG-Wissenschaftler, die mit ähnlichen Tests in 20 anderen Seen im Flachland und alpinen Raum der Schweiz begonnen haben, um ein besseres nationales Bild zu bekommen. Rund 15 Prozent des Abwassers werden in der Schweiz nach der Reinigung direkt in die Seen geleitet.

Michael Schärer vom Bundesamt für Umwelt (Bafu) begrüsst die Studie der EAWAG. “Es ist wichtig, dass diese Studien durchgeführt werden. Wenn sich zeigen sollte, dass multi-resistente Gene in den nächsten Jahren weiter zunehmen, dann sollten die zuständigen Behörden die Situation genau beurteilen”, sagt er gegenüber swissinfo.ch.    

“Man kann die Resultate von der Vidy Bucht nicht verallgemeinern, weil sich diese an einem besonderen Ort mit speziellen Abwassern befindet. Aber wir wissen, dass die Situation in andern Schweizer Seen, in die aus grossen Reinigungsanlagen ebenfalls Abwasser geleitet werden, ähnlich ist.“

Zusätzliche Reinigungsprozesse

Die Schweizer Behörden entwickeln Strategien, um Mikroverschmutzungen in Gewässern mit zusätzlichen Reinigungsprozessen zu reduzieren. Sie schlagen eine Änderung der Gewässerschutzverordnung vor.

So sollen Abwasserreinigungs-Anlagen an besonders belasteten Gewässern technisch aufgerüstet werden. Vorgesehen ist, dass bis 2022 rund 100 von insgesamt 700 Kläranlagen in der Schweiz entsprechend saniert werden. Die aufgerüsteten Anlagen sollten in der Lage sein, resistente Keime weitgehend unschädlich zu machen.

Noch vor dem nächsten Sommer soll ein Vernehmlassungs-Verfahren zum revidierten Gewässerschutzgesetz durchgeführt werden. Wenn alles planmässig verläuft, können die neuen Massnahmen ab 2015 umgesetzt werden.

Die Lausanner Abwasser-Reinigungsanlage in Vidy, die im Auftrag der Bundesbehörde 2009 und 2010 Behandlungstests durchführte, möchte noch in diesem Jahr ihre Anlagen ausbauen.

Für Michael Casanova, der bei der Umweltschutzorganisation Pro Natura für Gewässerschutz zuständig ist, sind diese Vorhaben “ein Schritt in die richtige Richtung”.

“Die Wasserqualität in der Schweiz hat sich in den letzten 30 Jahren dank Verbesserungen bei der Abwasserreinigung erhöht”, sagt er. “Aber heute haben wir es mit Mikroverunreinigungen zu tun, die in den Seen und Flüssen nicht sichtbar sind. Es gibt Tausende Substanzen und niemand weiss genau, wie sie auf die Umwelt wirken.”

Ist das ausreichend?

Die Einführung neuer Verfahren – wie Ozonierung oder UV-Behandlungen zur Beseitigung von problematischen, biologisch nicht abbaubaren Spurenelementen – sollten in der Lage sein, in den 100 aufgerüsteten Kläranlagen 80 Prozent der Mikroverunreinigungen aus Medikamentenrückständen oder Pestiziden zu eliminieren, sagt Casanova.

Insgesamt sollten mit den neuen Technologien rund 50 Prozent der Mikroverunreinigungen beseitigt werden können.

“Aber wir könnten und müsssten mehr erreichen, wenn wir die neuen Technologien bei allen Abwasser-Behandlungen einsetzten. Allerdings stellen sich Finanzierungsfragen”, sagt der Wasserspezialist von Pro Natura.

Laut Michael Schärer vom Bafu würde es 20 Jahre dauern und 1,2 Milliarden Franken kosten, um die neuen Techniken bei den 100 Kläranlagen einzuführen.

Der Wasser-Experte von Pro Natura fordert auch einen speziellen Behandlungsprozess für die Reinigung von Abwasser aus Spitälern, weil dessen Mikroverunreinigungen sehr Antibiotika resistent seien.

Schärer vom Bafu und Bürgmann von der EAWAG sind davon aber nicht überzeugt. “Es ist nicht klar, ob das nötig oder gerechtfertigt wäre”, sagt Bürgmann. “Es braucht zusätzliche Informationen, um festzustellen, ob dort ein spezielles Risiko besteht.”

Handlungsbedarf ortet der Pro-Natura-Vertreter aber nicht nur bei den Kläranlagen, sondern auch bei der Prävention, in Spitälern wie in privaten Haushaltungen.

“Die Leute werfen abgelaufene Medikamente einfach in die Toilette, anstatt sie den Apotheken oder Drogerien zurückzugeben”, sagt er.

Greenpeace International hat am 20. März in einem Bericht behauptet, dass gefährliche chemische Rückstände von Kleidungsstücken, die von Marken wie Calvin Klein, Puma, Abercrombie & Fitch und G-star verkauft werden, in öffentliche Gewässer gelangen, wenn diese von den Konsumenten gewaschen werden.

Greenpeace hat bei 14 Kleidungsstücken die Prozentsätze des gefährlichen Nonylphenolethoxylat (NPE) gemessen, die unter simulierten Standardbedingungen einer Haushaltwäsche ausgewaschen werden.

In einer einzigen Wäsche wurden aus einem Puma-Shirt der Schweizer Fussball-Nationalmannschaft 84%, aus einem Pyjama von Calvin Klein 45% des NPE ausgewaschen.

NPE wird bei der Textilherstellung verwendet. Wenn Abwasser, das NPE enthält, behandelt wird, beschleunigt sich die Umwandlung in das toxische, Hormon verändernde Nonyphenol (NP).

NP führt bei Wasserlebewesen wie Fischen oder Krebsen zu einer Störung der Fortpflanzungsfähigkeit. Auch Verhaltensänderungen bei Tieren wurden festgestellt. Wie sich die Chemikalie bei Menschen auswirkt, ist wissenschaftlich nicht geklärt.

Die Verwendung von NP und NPE in der Kleiderproduktion wurde in der Europäischen Union verboten. In den USA und Kanada wurden ähnliche Restriktionen eingeführt.

Mikro-Verunreinigungen stammen aus Konsumprodukten (Arzneimittel, Kosmetik- und Toilettenartikel, Reinigungsprodukte) und aus Pflanzen- und Materialschutzmitteln.

Diese Substanzen gelangen mit dem Abwasser aus Kläranlagen oder – bei starken Niederschlägen – mit dem Oberflächenwasser von landwirtschaftlichen Nutzflächen in die Gewässer.

Mikroverunreinigungen ist ein Sammelbegriff für organische Spurenelemente oder Schwermetalle, die in Gewässern in kleinen Konzentrationen auftauchen (Milliardstel von Millionstel Gramm pro Liter).

Trotz dieser geringen Mengen können sie schädliche Wirkungen auf Wasserlebewesen oder auf das Trinkwasser haben.

In der Schweiz werden mehr als 30’000 solcher Substanzen in zahlreichen Produkten verwendet.

Schwer abbaubare Substanzen, die in grossen Mengen verwendet werden, können besonders für das Oberflächenwasser problematisch sein. Die Substanzen gelangen entweder herausgelöst oder in Partikeln gebunden ins Wasser.       

(Übertragung aus dem Englischen: Peter Siegenthaler)

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