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Hommage an die italienischen Emigranten

Italienische Emigranten-Familie auf einem Bahnhof. limmatverlag.ch/G. Berengo

Die Fotoausstellung "Il lungo addio" im Schweizerischen Institut in Rom dokumentiert die italienische Emigration in die Schweiz nach dem Zweiten Weltkrieg.

138 Fotos dokumentieren ein soziales und ökonomisches Phänomen.

Der Blick geht zurück – ins Heimatland. Die Augen sind tränengefüllt. Das Gesicht abgemagert. Eine Hand winkt vom Fenster aus einem hoffnungslos überfüllten Zug. Es sind die letzten Momente vor dem Aufbruch in eine ungewisse Zukunft.

Diese Szene ist auf einem von 138 Fotos zu sehen, die bis 11.Juli im Schweizerischen Institut von Rom ausgestellt sind. Es ist ein Foto, das in seiner Dramatik 50 Jahre schweizerisch-italienische Geschichte wiederspiegelt – eine Geschichte, die oft vergessen oder auch verdrängt wird. Vor allem von der Schweiz, obwohl sie vom Migrationsfluss aus Italien am meisten profitiert hat.

Schwerer Abschied

“Zwischen 1950 und 1970 emigrierten insgesamt zwischen 3 und 4 Millionen Italienerinnen und Italiener in die Schweiz”, sagt Dieter Bachmann, Direktor des Schweizer Instituts von Rom und Kurator der Ausstellung, im Gespräch mit swissinfo.

Auf den Fotos sind diverse Phasen dieser Emigration zu sehen. Da sind Koffer aus Pappkartons, die durch die Fenster in die Zugsabteile gereicht werden. Ganze Familienclans, die auf dem Bahnsteig auf ihre Abreise warten. Es ist ein ununterbrochener Fluss von verzweifelten Menschen, die die Wartebänke der Bahnhöfe bevölkern.

Männer mit Zigaretten im Mundwinkel und leerem Blick. Stolze, in schwarz gekleidete Frauen, die ein Neugeborenes im Arm tragen.

“Diese Menschen mussten emigrieren”, sagt Bachmann. “Denn in ihren Dörfern fanden sie nicht nur keine Arbeit, sondern hatten nicht einmal mehr das Notwendigste zum Überleben.”

Es war für die Italiener eine Reise beziehungsweise eine Flucht der Hoffnung, deren erster Halt die Grenzbahnhöfe waren. Dort erfolgte die medizinische Kontrolle: Männer und Frauen gemeinsam – wie auf einem Viehmarkt.

Dann endlich: Die erträumte Arbeit. In der Ferne. Hoch oben, in der Kälte der Berge. In den Baracken des Tessiner Verzasca-Tals, im Oberwallis oder in Graubünden.

Staumauern: hoch, gefährlich, tödlich.

Dann 1965 die Tragödie von Mattmark: Beim Bau der Staumauer sterben durch einen Gletscherabbruch 88 Bauarbeiter, davon 56 Italiener. Ihnen widerfuhr nie Gerechtigkeit.

Arbeiter sind zu sehen – die Gesichter sind von schwarzem Staub gefärbt. Schwarz wie der Tod. So war es damals, als sie nicht mehr aus den langen Tunneln zurück kamen, die sie in den Berg gebohrt hatte. Oder als sie von den Baugestellen fielen oder durch die Gase in den Stahlwerken ums Leben kamen.

Langsame und schwierige Integration

Dann kam die Integration, langsam, aber unaufhaltsam. Doch es gab immer Leute, denen es nicht gefiel, dass man nicht nur Arbeitskraft, sondern auch Menschen geholt hatte. So entstand Fremdenfeindlichkeit, die Schwarzenbach-Initiative und andere Formen der Unterdrückung.

Dazu Dieter Bachmann: “Ich zögere nicht, im Zusammenhang mit den Lebensbedingungen, in welche die Emigranten in der Schweiz gedrängt wurden, auch das Wort Schande zu benutzen.” Er erwähnt dabei auch das Saisonnier-Statut.

Der Wandel wird sichtbar: Fotos von der ersten Heiligen Kommunion. Kinder im weissen Kleid. Ein Fest, die Festgesellschaft.

Der erste Gesangswettbewerb. Die erste Fussballmannschaft. Der erste Fiat 500. Gewerkschaftsbewegungen. Eine Festtafel mit einer Nahaufnahme des Gewerkschafters Ezio Canonica im Zürcher Restaurant “Cooperativo”.

Die Geschichte wiederholt sich

Die einzelnen Geschichten erscheinen heute wie Bilder aus vergangenen Zeiten. Dabei war es gerade erst gestern. Einige der Emigranten haben sich ein Haus in ihrem Dort gebaut. Sie haben es zu etwas gebracht. Sie zeigen ihre groben Möbel, die modern und somit reich erscheinen.

Viele Geschichten haben ein Happyend und doch hat “Der lange Abschied” für andere schon begonnen. Das Foto zeigt einen Polizeiposten. Eine algerische Mutter sitzt dort mit ihrem Kind. Die Bildlegende: illegale Einwanderer.

swissinfo, Paolo Bertossa, Rom

(Übersetzung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

1950-1970: 3-4 Millionen Italienerinnen und Italiener emigrieren in die Schweiz

1965: Beim Bau der Mattmark-Staumauer sterben durch einen Gletscherabbruch 88 Bauarbeiter, davon 56 Italiener.

Die Ausstellung “Il lungo addio – der lange Abschied” im Schweizerischen Institut in Rom (bis 11. Juli) dokumentiert in 138 Fotografien die italienische Emigration in die Schweiz nach dem Zweiten Weltkrieg.

Der Katalog ist zweisprachig (Italienisch und Deutsch) erschienen. Zur Ausstellung ist im Zürcher Limmat Verlag das zweisprachige Buch”Il lungo addio – Der lange Abschied” erschienen.

Die Ausstellung wird auch in Chur (7.November bis 15. Februar 2004) und in Zürich (26.Februar bis 23.April 2004) zu sehen sein.

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