Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Als Dolmetschen zur Geburtshilfe wurde

Carola Bisoni vom Telefondolmetschdienst vermittelt eine Dolmetscherin für Tygrinia im Auftrag der Beratungsstelle Infodona. swissinfo.ch

Wenn in einem Notfall Hilfsbedürftige und Helfer nicht die gleiche Sprache sprechen, braucht es dringend eine Übersetzung. Seit zwei Jahren gibt es in der Schweiz rund um die Uhr einen Telefondolmetsch-Dienst. Das Pilotprojekt ist noch nicht kostendeckend.

“Wir sehen schon den Kopf des Babies, jetzt müssen Sie pressen!” Aber der Appell der Hebamme bleibt unverstanden, die gebärende Mutter versteht nur arabisch. Es braucht eine Dolmetscherin, und zwar sofort.

Der Notruf aus dem Gebärzimmer des Spitals erreicht Inaia Noureddine mitten in der Nacht. Die Wahlschweizerin mit libanesischen Wurzeln arbeitet seit einem Jahr für den Nationalen Telefondolmetschdienst, wo sie aus dem Arabischen ins Deutsche übersetzt und umgekehrt.

“In der arabischen Kultur ist es nicht üblich, dass der Kindsvater bei der Geburt dabei ist.” Für die junge Frau im Gebärzimmer sei es auch emotional sehr wichtig gewesen, wenigstens am Telefon eine Stimme in der vertrauten Sprache zu hören, sagt Inaia Noureddine.

“Ich konnte sehr gut nachempfinden, wie sich die Mutter im Spital fühlte, die kein Wort verstand von dem, was um sie herum gesagt wurde. Sie war dankbar für das bisschen Geborgenheit, das ich ihr zu geben versuchte. Sie liess sich beruhigen, und ich konnte sie am Telefon begleiten, bis das Kind auf die Welt kam.”

Angewiesen auf die sprachliche Unterstützung war aber auch die Hebamme, die sich Dank der Dolmetscherin bei der Entbindung auf ihre eigentliche Arbeit konzentrieren konnte.

Ob der Säugling ganz gesund zur Welt kam, ob es ein Junge oder ein Mädchen war, hat Inaia Noureddine aber nicht mehr erfahren. So schnell wie sie in die Geburt eingeschaltet wurde, so schnell wurde sie auch wieder ausgeklinkt, als ihre Übersetzung im Gebärzimmer nicht mehr nötig war.

Häufig im Notfall

Die Telefon-Dolmetscherinnen werden nicht nur gerufen, wenn Menschen auf die Welt kommen, sondern manchmal auch, um diese daran zu hindern, die Welt zu verlassen. Psychiatrische Kliniken gehören ebenfalls zu den regelmässigen Kunden, sehr häufig eben auch, wenn deren Patienten Suizidgedanken äussern.

“Wir dolmetschen auch für Notfall-Stationen, Spitäler aller Art, Hausärzte oder Apotheken, private Kliniken, Gemeinden, Feuerwehren, Polizeileitstellen oder Gefängnisse”, sagt Sanja Lukić, die Leiterin des Nationalen Telefondolmetsch-Diensts. Der Dienst der Zürcher Fachorganisation AOZ, die im Migrationsbereich tätig ist, vermittelt im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit (BAG) seit bald zwei Jahren zu jeder Uhrzeit qualifizierte Dolmetscherinnen und Dolmetscher für telefonische Übersetzungen aus rund 50 Sprachen in die drei Landessprachen und umgekehrt.

Für die 12 häufigsten ausländischen Sprachen stehen sofort Dolmetscher zur Verfügung. “Bei exotischeren Sprachen dauert die Suche manchmal ein bisschen länger”, sagt Sanja Lukić. 

Oft gehe es hochemotional zu und her bei diesen Gesprächen, in die man als Telefon-Dolmetscherin von einer Sekunde auf die andere hineingezogen und dazwischen gestellt werde, aber sich je nach Situation mehr oder weniger abgrenzen müsse.

Die unter Vertrag stehenden rund 300 Dolmetscherinnen und Dolmetscher haben einen Fachausweis für interkulturelles Übersetzen oder ein Interpret-Zertifikat Sie sind speziell fürs Telefondolmetschen ausgebildet und unterstehen der Schweigepflicht. Wer ihre Dienstleistung beansprucht, bezahlt dafür 3 Franken pro Minute.

Gebrauch von den Dolmetsch-Dienstleistungen per Telefon macht auch die Solothurner Spitäler AG. “In Notsituationen ist es super”, sagt Gudrun Hochberger, Direktorin Pflege. “Manche Leute haben aber Vorbehalte, ob man am Telefon übersetzen kann. Wenn es dann doch ausprobiert wird, sind die Leute begeistert, wie professionell die Dolmetschenden mit der Telefonsituation umgehen.” Die Kosten dafür übernimmt der Kanton Solothurn.

… erreicht man unter 0842 442 442. Die Angestellten der Vermittlungsstelle sprechen deutsch, französisch und italienisch.

Sie vermitteln sofort rund um die Uhr Dolmetscherinnen und Dolmetscher für 12 Sprachen: Albanisch, Arabisch, Bosnisch/Kroatisch/Serbisch, Italienisch, Kurdisch, Portugiesisch, Russisch, Somalisch, Spanisch, Tamilisch, Tigrinya (Eritrea), Türkisch.

Ein Anruf kostet 3 Franken pro Minute, sobald die Verbindung mit dem Dolmetscher hergestellt ist, aber mindestens 30 Franken pro Auftrag.

Auf ihrer Website 0842-442-442.ch bietet die Vermittlungsstelle potentiellen Nutzern an, den Telefondolmetschdienst “live zu testen”.   

Vom Ziel noch weit entfernt

Lanciert wurde der Nationale Telefondolmetsch-Dienst vor rund zwei Jahren vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) als Pilotprojekt. Das Amt übernimmt während der dreijährigen Aufbauphase die Kosten von rund 1 Million Franken. Danach sollte das Projekt selbsttragend funktionieren. Von diesem Ziel ist der Dienst heute mit einer Nutzung von 70 bis 110 Anrufen pro Monat aber noch weit entfernt .

“Die Nutzungsdaten der Machbarkeits-Analyse waren damals von unrealistischen Nutzungsfrequenzen von mehreren Tausend Anrufen monatlich ausgegangen”, räumt Thomas Spang vom BAG ein.

“Solche Zahlen liessen sich nur erreichen”, sagt der Leiter der Sektion Migration und Gesundheit, “wenn die Krankenversicherungen die Kosten übernähmen”. Diese verweigerten sich aber mit der Begründung, dass es sich beim Dolmetscher-Telefon nicht um medizinische Leistungen handle. Zwei politische Vorstösse im Parlament zugunsten einer Kassenpflicht waren absolut chancenlos.

Trotzdem gebe es Grund zur Zuversicht, sagt Thomas Spang. Die Nutzungstendenz sei klar steigend, und der Dienst entspreche einem Bedürfnis. “Es können Fehlbehandlungen verhindert, unter Umständen sogar Leben gerettet werden”, wenn beispielsweise jemand auf der Notfallstation nicht verständlich machen kann, dass er auf bestimmte Medikamente hochallergisch reagiert, oder wenn – wie im erwähnten Beispiel – eine gebärende Mutter nicht versteht, was “pressen” heisst.

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