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“Man könnte militärischen Aspekt der Schweizergarde aufgeben”

Daniel Anrig tritt auf Ende Januar 2015 von seiner Funktion als Kommandant der Schweizergarde zurück. Keystone

Der Rücktritt des Kommandanten der Schweizergarde, Daniel Anrig, auf Ende Januar 2015 wurde in gewissen Kreisen als Sanktion von Papst Franziskus gegen einen "zu autoritären" Mann interpretiert. Weihbischof Alain de Raemy, ehemaliger Kaplan der Garde, betrachtet solche Kritik an Anrig als übertrieben und reiht den Entscheid in den Reformkontext des Papstes ein.

Angesichts der zahlreichen Artikel, die über eine Entlassung von Kommandant Anrig berichtet hatten, verteidigte der Papst in einem InterviewExterner Link mit der argentinischen Tageszeitung La Nacion den 42 Jahre alten St. Galler. Der Kommandant habe “keine Sünde und keinen Fehler” begangen, erklärte Papst Franziskus und versicherte, es handle sich um einen “normalen Wechsel” an der Spitze der Schweizergarde.

swissinfo.ch unterhielt sich mit Alain de Raemy, der Ende 2013 zum Weihbischof der Diözese Lausanne, Genf, FreiburgExterner Link ernannt worden war. Von 2006 bis 2013 hatte er als Kaplan der Päpstlichen Schweizergarde gedient.

swissinfo.ch: Die Meinungen über Kommandant Anrig gehen weit auseinander. Sie standen mehrere Jahre in engem Kontakt mit Anrig: Welches Bild haben Sie von ihm?

Alain de Raemy: Er ist sicher ein fordernder Mensch, der sich seiner Rolle als Kommandant einer militärischen Truppe bewusst ist. Er stellt hohe Ansprüche an die Gardisten, ist aber gleichzeitig sehr verständnisvoll. Er weist diese beiden Aspekte auf, weil er früher selber zwei Jahre in der Haut eines jungen Gardisten gesteckt hatte und weiss, in welcher Lage sich diese jungen Männer befinden. So hat er zum Beispiel die Ausgangszeiten und das Recht auf Urlaub deutlich gelockert, aber zugleich die Ausbildung verstärkt, damit der Sicherheitsdienst auch glaubwürdig ist.

Es besteht also eine gewisse Ambivalenz; und ich kann mich nicht nur auf den fordernden, harten Kommandanten konzentrieren. Zu hart, das war er  nicht. Gewiss haben ihn einige als hart empfunden, vielleicht weil er sie nicht befördert hat oder einem Wunsch nicht nachgekommen ist. Doch in einem disziplinarischen Rahmen ist so etwas normal. 

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Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Betritt man den Vatikan, fallen einem die päpstlichen Garden sogleich auf. Die Gala-Uniformen sollen, so heisst es, von niemand anderem als Michelangelo selbst entworfen worden sein. Die kleinste Armee der Welt hat heute noch einen wichtigen Auftrag, nämlich die Sicherheit des Papstes zu gewährleisten. Fotos: Monika Flückiger, Keystone

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swissinfo.ch: Also steht hinter dem Abgang des Kommandanten keine Missbilligung?

Alain de Raemy: Richtig. Die Kommunikation war sehr schlecht gewesen, was zahlreichen Mutmassungen Auftrieb gab, aber es geht um einen normalen Rücktritt, der sich in die Reformbestrebungen des jetzigen Papstes einreiht. Man weiss noch nicht, was diese Reformen genau umfassen werden, aber der Papst will in der Lage sein, gewisse Dinge verändern zu können, ohne sie gleich abzuschaffen.

swissinfo.ch: Könnte die Kontroverse um den Kommandanten in Verbindung stehen mit der Rivalität zwischen der Schweizergarde und der Gendarmerie des Vatikans?

Alain de Raemy: Der Papst ist gewissen Sicherheitsvorkehrungen gegenüber, die er nicht sehr mag und als übertrieben betrachtet, kritisch eingestellt, egal ob sie auf die Gendarmerie des Vatikans oder die Schweizergarde zurückgehen. Bei seinem Wunsch nach Wandel macht er keinen Unterschied zwischen der einen oder der anderen Einrichtung.

Abgesehen davon war die Konkurrenz zwischen den beiden Korps in letzter Zeit eher kleiner, denn Anrig war vor seiner Zeit als Kommandant der Garde Polizeichef gewesen [Chef der Kantonspolizei Glarus, NdR], während seine Vorgänger keine solchen Berufserfahrungen hatten. Er wurde daher von seinen Kollegen bei der Gendarmerie des Vatikans respektiert und hatte auch mit der italienischen Polizei ausserhalb des Vatikans guten Kontakt.

swissinfo.ch: Hat die Schweizergarde noch einen realen Nutzen oder ist sie nur noch Folklore?

Alain de Raemy: Die Folklore, das heisst, der Ehrendienst für die Person des Papstes, wenn dieser in der Öffentlichkeit auftritt, ist der sichtbarste, zugleich jedoch der unwichtigste Aspekt der Schweizergarde. Falls der Papst also eine Reform anstrebt, bei der dieser sichtbare Aspekt mehr in den Hintergrund treten würde, wäre dies für die Garde keine grosse Sache, denn ihre Hauptaufgabe bleibt die Sicherheit des Papstes, für die Offiziere und Unteroffiziere in Zivil  zuständig sind.

Der militärische Aspekt ist ein geschichtliches Erbe. Man könnte gut darauf verzichten, auch wenn es eine grosse Umwälzung bedeuten würde.

swissinfo.ch: Man könnte also genau so gut auch auf die Schweizergarde verzichten…

Alain de Raemy : Ja und Nein. Man könnte den militärischen Aspekt aufgeben, weil es sich nicht um eine Armee im klassischen Sinn des Wortes handelt. Der Vatikan braucht keine Armee, um sein Territorium zu verteidigen. 

Weihbischof Alain de Raemy. Keystone

Hingegen ist das ausgewogene Verhältnis, das viele im Vatikan lieben, genau jenes, das sich aus einer Polizei ergibt, die aus Italienern und einer Garde, die aus Schweizern besteht. Dieses internationale Element wird sehr geschätzt, und ich glaube nicht, dass man darauf verzichten wird.

swissinfo.ch: Es ist nicht das erste Mal, dass es rund um den Kommandanten der Schweizergarde zu Wirbeln kommt. Man mag sich an die Ermordung von Kommandant Estermann durch einen Unteroffizier erinnern. Untergraben solche Geschehnisse letztlich nicht Ruf und Glaubwürdigkeit dieser Garde?

Alain de Raemy: Ich glaube, wenn jemand die Garde anders als nur aus den Zeitungen kennt, ist das nicht so. Aber sicher stellen sich gewisse Fragen. Man fragt sich, an welche Reform der Papst denken mag, da er diesen Wechsel an der Spitze der Garde offensichtlich wollte, aber ohne dass er etwas gegen die Person des Kommandanten zu sagen hatte. Das ist eine kleine Unsicherheit, aber gleichzeitig auch spannend.

So wie ich ihn kennengelernt habe, schätzt Papst Franziskus es sehr, dass für seine Sicherheit nicht nur Italiener zuständig sind, und dass es sich um junge Leute handelt. Und dass diese gemeinsam eine Glaubenserfahrung machen können, im Rahmen einer Kameradschaft, im Dienst des Nachfolgers von Petrus.   

(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)

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