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Frauenquote in Deutschland in Kraft – wann zieht die Schweiz mit?

Swissinfo Redaktion

Deutschland führt ab 1. Januar 2016 eine Frauenquote von 30% bei börsennotierten Unternehmen in den Aufsichtsräten ein. Ein Entscheid, der aus Perspektive von Gender und Diversity zu begrüssen ist! Was spricht also dafür?

Wenn ich an der Universität St. Gallen mit Studierenden in Kursen zu Gender und Diversity die Quote für Frauen in Führungspositionen diskutiere, sind sie sich meist einig: Auf keinen Fall! Bei der Quote gehe es nicht um Leistungsbeurteilung, da gehe es um Bevorzugung aufgrund von Geschlecht. Und gerade die Studentinnen wollen dies keineswegs. Sie möchten als ernst zu nehmende Berufsfrauen wahrgenommen werden.

Weshalb braucht es nichtsdestotrotz eine Quote, um Frauen eine Chance zu geben, sich als leistungsfähige Berufsfrauen zu bewähren und aufzusteigen?

In Deutschland (wie auch in der Schweiz) besteht schon längst ein Rechtsanspruch auf die Gleichstellung der Geschlechter. Und dennoch greift das Gesetz, wenn es um Führungsaufgaben geht, nicht. In Deutschland (wie auch in der Schweiz) sind die Toppositionen der Vorstände der grössten Unternehmen heute zu 95% (resp. 94%) mit Männern besetzt.

Christa Binswanger ist Dozentin und Leiterin des Fachbereichs Gender und Diversity an der Universität St.Gallen (HSG). Ihre Forschungsschwerpunkte sind kulturwissenschaftliche Geschlechterforschung, Diversität und Inklusion, Care-Arbeit und Ökonomie, Sexualität und Affekt. unisg.ch

So erweist sich das von Wirtschaftsvertretern immer wieder geäusserte Votum, der Markt werde „fähige Frauen“ von selbst in Spitzenpositionen bringen, als Irrtum.

Weichenstellung schon bei Berufseinstieg

Obschon in Deutschland (wie auch in der Schweiz) Universitäten seit Jahren eine beachtliche Anzahl gut qualifizierter Studentinnen mit Bachelor- und Masterabschlüssen in Wirtschaftswissenschaften entlassen, stehen ihre Karrierechancen nach wie vor signifikant schlechter als diejenige ihrer männlichen Kollegen. Und dies unabhängig von ihren Leistungen, sondern alleine aufgrund ihres Geschlechts.

Denn Frauen werden nicht erst als Mütter weniger gefördert, sondern bereits in den ersten fünf Jahren nach ihrem Universitätsabschluss: rund 40 % der Männer steigen nach einer Untersuchung des Hochschul-Informations-Systems HIS schon während der ersten fünf Jahre auf – bei den Frauen sind es aber nur 24%.

Die Tatsache, dass sich Eliten gerne unter ihresgleichen reproduzieren, ist unbestritten. So fördern Männer also gerne Männer – wenn sie noch dieselbe Universität absolviert haben, umso besser. Umstrittener ist, welchen ökonomischen Effekt dies für ein Unternehmen zeigt. Bestehende Untersuchungen weisen in die Richtung, dass gemischte Führungsteams bessere Resultate erzielen als Teams, die sich ähneln; dass also die Old-Boys-Network-Praxis den Unternehmen eher schadet.

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Eine grossangelegte Studie der Universität St. Gallen von 2015 zum Bankensektor in Luxemburg kommt zum Schluss, dass Frauen in hohen Management-Positionen die Performance der Bank substantiell verbessern.

Immer mehr berufstätige Mütter und kinderlose Akademikerinnen

Aus Sicht von Chancengleichheit zählt aber vor allem das Gerechtigkeits-Argument: Viele Frauen haben heute nach wie vor auf dem Arbeitsmarkt nicht die gleichen Chancen und sie werden oft schon bei der Einstellung tiefer eingestuft als Männer – weil vorauseilend davon ausgegangen wird, dass eine Frau Mutter werden will und dann ihr Arbeitspensum reduziert oder ganz aussteigt.

Für diejenigen Frauen, die sich irgendwann tatsächlich für Mutterschaft entscheiden – wie auch für die Männer, die Väter werden wollen – stellt sich die Vereinbarkeitsfrage tatsächlich. Jedoch vorauseilend zu unterstellen, dass eine Frau aufgrund einer potentiellen Mutterschaft nicht Karriere machen will, ist unzulässig – wie auch immer sie ihr familiäres Arrangement später gestalten will. Ausserdem bleiben dreissig Prozent der Akademikerinnen heute kinderlos, Tendenz steigend. Auch diese Zahlen sprechen gegen die vorherrschende Praxis.

Norwegen machts vor

Die Frauenquote hat sich beispielsweise in Norwegen als wirksames Instrument gezeigt. 2003 wurde eine verbindliche Quote für Frauen in Verwaltungsräten von staatlichen und kommunalen Unternehmen, Genossenschaften und einigen privaten Aktiengesellschaften eingeführt – unter Androhung von Zwangsauflösung bei Nichtbefolgung. Gegner der Quote beschworen sofort den Untergang der Wirtschaft und des Wohlstandes des Landes herauf.

Doch nach wie vor ist Norwegen eines der reichsten Länder der Welt. Und: Ein Rekrutierungsproblem hat nie bestanden – dies gibt heute auch der norwegische Arbeitgeberverband zu. So hat die Quotenregelung tatsächlich bewirkt, dass der Frauenanteil in den Verwaltungsräten von 8 % im Jahr 2003 auf heute 40% angestiegen ist. 

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Ausschlaggebend für die Einführung der Frauenquote in Deutschland war das Einlenken der Bundeskanzlerin Angela Merkel. Bleibt zu hoffen, dass wir auch hierzulande bald ein Einsehen haben werden, auch wenn der Frauenanteil im Bundesrat derzeit stark gesunken ist.

Heute ist in der Schweizer Politik zwar gang und gäbe, die Parteizugehörigkeit und Sprachregionen bei der Verteilung von politischen Ämtern zu berücksichtigen – eine Quotenregelung! Diese scheint auf die Kategorie Geschlecht jedoch noch schwer anwendbar. So leistet das deutsche Beispiel vielleicht hier die nötige Übersetzungshilfe. 

Die in diesem Artikel ausgedrückten Ansichten sind ausschliesslich jene der Autorin und müssen sich nicht mit der Position von swissinfo.ch decken.

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