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“Milchkuh-Initiative frisst Loch in Bundeskasse”

Swissinfo Redaktion

Sollen die Einnahmen aus der Mineralöl-Steuer nur für die Finanzierung der Strasse verwendet werden, wie es die sogenannte "Milchkuh-Initiative" verlangt? "Nein. Anstatt zu einer ausgewogenen, fairen und ökologisch nachhaltigen Verkehrspolitik führt diese Initiative genau zum Gegenteil", schreibt Jürg Grossen, Nationalrat der Grünliberalen Partei (GLP), in seinem Gastkommentar.

Für mich als auto- und bahnfahrender Bewohner einer Bergregion ist es zentral, dass der öffentliche Verkehr und der Individualverkehr nicht gegeneinander ausgespielt werden. Die Milchkuh-Initiative tut jedoch genau das. Sie reisst den Graben zwischen Strasse und Schiene neu auf. Nur wer nicht bereit ist, die von ihm verursachten Kosten selbst zu tragen, macht solche unverantwortlichen Vorschläge.

Jürg Grossen, Berner Nationalrat der Grünliberalen Partei (GLP), Mitglied der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen (KVF), Co-Geschäftsinhaber und Geschäftsführer einer Firma für Gebäudetechnik und Elektroinstallationen, lebt mit seiner Frau und drei Kindern in Frutigen (Berner Oberland). Keystone

Die Transportrechnung des Bundes, welche die Kosten mit den Erträgen vergleicht, weist beim motorisierten Strassenverkehr eine Unterdeckung von jährlich 7,8 Milliarden Franken aus. Diese ungedeckten Umwelt-, Gesundheits- und Unfallkosten werden von der Allgemeinheit und der öffentlichen Hand getragen. Nicht vom Automobilisten, wie es die Milchkuh-Initianten vorgaukeln. Der selbst gewählte Titel «Milchkuh» bekommt so eine ganz neue Bedeutung, denn wie die Milchkühe bei der Landwirtschaft, werden auch die Autofahrer beim Verkehr stark subventioniert.

Das Gejammer, dass Autofahrer geschröpft oder gar abgezockt werden, ist unberechtigt. Autofahren kostet heute pro Kilometer viel weniger als noch vor zehn oder zwanzig Jahren. Dank Fahrzeugen mit geringerem Verbrauch, günstigeren Erdölpreisen und stark gestiegener Kaufkraft. Die Verkehrsabgaben und -steuern sind bereits heute gesamteuropäisch betrachtet sehr tief. Ausser in Zypern und Norwegen müssen Automobilisten kaufkraftbereinigt in ganz Europa mehr bezahlen.

Eine Annahme der Milchkuh-Initiative würde ein Loch von 1,5 Mrd. Franken pro Jahr in die Bundeskasse reissen, ohne eine verkehrspolitische Verbesserung zu erzielen. Schmerzhafte Sparprogramme bei der Landwirtschaft, bei der Bildung und der Armee wären die Folge. Im Gegenzug würde die heute bereits bestehende Reserve von 2 Mrd. in der Strassenkasse völlig unnötig erhöht. Die Initiative schiesst weit über das Ziel hinaus, denn es stehen gar nicht genügend baureife Strassenprojekte bereit, um so viel Geld zu verbauen.

“Standpunkt”

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Intelligenz statt Beton

Für uns Grünliberale ist ein intelligent ausgestaltetes und mit dem Finanzhaushalt abgestimmtes Mobility-Pricing die einzige taugliche Lösung. Nur damit werden eine effiziente Verkehrsverteilung und eine langfristige und verursachergerechte Finanzierung möglich.

Wir brauchen nicht mehr Beton und Asphalt, sondern mehr intelligente Verkehrslösungen. Gerade wegen den neusten Entwicklungen bei den Elektroautos, den Fahrassistenzsystemen und den Carsharing-Angeboten. Tesla hat in den ersten Tagen über dreihunderttausend Bestellungen für das Elektrofahrzeug Model 3 erhalten, Norwegen will Autos mit Verbrennungsmotoren gar verbieten und der Fahrdienst-Vermittler Uber verbreitet seine Angebote rasend schnell. An diesen Entwicklungen muss sich die Politik orientieren!

Der NAF reicht

Deshalb werden wir Grünliberalen auf den Nationalstrassen- und Agglomerationsfonds (NAF) eintreten und mithelfen, eine nachhaltige und übersichtliche Strassenfinanzierung in Verfassung und Gesetz zu verankern. In der Frühjahrssession hat der Ständerat zusätzlich 700 Millionen pro Jahr für den Strassenbau gesprochen. Die Ständeratsversion wird sich durchsetzen, das bedeutet, dass mindestens eine „halbe Milchkuh“ beschlossen wird. Der Milchkuh-Initiativforderung – mehr Mittel für den Strassenbau – wurde damit bereits entsprochen und Engpässe können wirksam beseitigt und zahlreiche Agglomerationsprojekte realisiert werden. 

Gezielte Verbesserungen sind bei der NAF-Vorlage noch im Bereich der Elektromobilität und bei den Finanzquellen notwendig. Zuerst stimmen wir jedoch am 5. Juni ab. Und da haben wir es mit einem frontalen Angriff auf eine ausgewogene, faire und nachhaltige Verkehrspolitik zu tun. Deshalb ein klares „Nein zur unfairen Milchkuh-Initiative“.

Die in diesem Artikel geäusserten Ansichten sind ausschliesslich jene des Autors und müssen sich nicht mit der Position von swissinfo.ch decken.

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