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Starpianistin macht Lugano weltbekannt

Martha Argerich in Lugano. A.Heitmann/rsi.ch

Die argentinische Starpianistin Martha Argerich wirbelt im Sommer jeweils drei Wochen lang mit ihrer Entourage durch Lugano. Das aussergewöhnliche Kammermusik-Festival hat weit über die Grenzen der Stadt hinaus Anerkennung gefunden.

Anfang Mai verlieh der Gemeinderat von Lugano einstimmig der argentinischen Pianistin Martha Argerich die Ehrenbürgerschaft.

Damit wollte man der Tastenvirtuosin dafür danken, dass sie die Tessiner Stadt als Austragungsort für ihr “Progetto Martha Argerich” gewählt hat.

Bereits zum neunten Mal treffen sich dieses Jahr Weltstars und weniger bekannte Künstler, vor allem junge Pianisten, um in Lugano gemeinsam zu musizieren.

In der Kirche San Rocco finden Klavierrecitals statt, im Studio des Schweizer Radios RSI Kammermusikabende und im Kongresshaus Sinfoniekonzerte.

Der Konzertmarathon dauert drei Wochen – in diesem Jahr bis 1.Juli. Martha Argerich lädt die Künstler ein, unter denen sich langjährige Freunde wie der weltbekannte Cellist Mischa Maisky, aber auch Familienmitglieder wie ihre Tochter Lyda Chen befinden.

Musizierende Grossfamilie

In immer neuen Zusammensetzungen trifft die “Grossfamilie” aufeinander. Dies sorgt für Vitalität und eine Reihe musikalischer Highlights, angesichts knapper Probenzeit aber auch für gelegentliche Patzer und überladene Programme.

An jedem Kammerkonzert und Orchesterabend tritt Argerich bei mindestens einem Stück selbst auf. Beim gemeinsamen Musizieren ist die Pianistin in ihrem Element; Solo-Recitals gibt sie schon lange nicht mehr. Ansonsten scheut die mittlerweile 69-Jährige das öffentliche Erscheinen.

Auch Interviews gibt Argerich praktisch nie. Bezeichnend ist, dass sogar im jüngsten Katalog zu ihrem eigenen Festival in Lugano kein aktuelles Interview erschienen ist, sondern nur die Transkription eines Gesprächs auf Radio Classique aus dem Jahr 2008.

Mühe mit Solistenkarriere…

Es ist allerdings ein sehr aufschlussreiches Interview, in dem die Pianistin offen und ehrlich über sich und ihre Karriere spricht. Ihr gefalle das Klavier, die Musik, aber nicht die Karriere, sagt sie beispielsweise.

Und fügt an, dass sie sich deshalb ein wenig schuldig fühle, weil andere Musiker nach nichts anderem strebten, als eine Top-Karriere zu machen. “Es tut mir auch Leid, dass ich die Kunst der Improvisation nicht beherrsche”, meint sie.

Sie gibt zu, auf Künstler mit diesem Talent neidisch zu sein, etwa auf ihren einstigen Lehrer Friedrich Gulda oder die junge Pianistin Gabriela Montero, die am Festival von Lugano regelmässig in Erscheinung tritt.

… und Faible für Kammermusik

Seit den frühen 1980er-Jahren orientierte sich Martha Argerich, die hauptsächlich in Brüssel lebt, aber auch eine Wohnung in Genf hat, weg von der Konzert- und Klaviermusik und hin zur Kammermusik. Ihr natürlicher Wunsch des gemeinsamen Musizierens gab auch den Ausschlag für das “Progetto Martha Argerich”.

Argerich gefällt in Lugano der familiäre Rahmen, das Orchester der italienischen Schweiz, der Konzertsaal Stelio Molo im Radio und das Haus Pantrovà von Carona, das ihr zur Verfügung gestellt wird.

“Ich glaube, Martha fühlt sich wirklich im Tessin zu Hause”, sagt ein enger Vertrauter. Sie geniesse es, hier in aller Normalität leben zu können. Mit der Bank BSI, dem Radio und Fernsehen RSI und der Stadt Lugano kann sie auf verlässliche Partner setzen.

Finanzierbar ist die Veranstaltung allerdings nur, weil die Stars auf grosse Gagen verzichten. Alle Künstler – ob bekannt oder unbekannt – erhalten pro Abend das gleiche Honorar.

“Festival de Lugano” in Paris

Inzwischen exportiert Argerich die Formel des Musizierens von Lugano sogar in andere Städte. Im März 2010 gestaltete sie in Paris zwei Konzerte in der Salle Pleyel unter dem Namen “Festival de Lugano”. Und das gleiche ist für das kommende Jahr anlässlich der Salzburger Festspiele geplant.

Für die Stadt Lugano, die dabei ist, sich mit dem Bau des Neuen Kulturzentrums als Kulturstadt zu positionieren, ist die Präsenz von Martha Argerich ein Glücksfall: “Es handelt sich zweifellos um eine optimale Voraussetzung im Hinblick auf die Verwirklichung des Kulturpols von Lugano”, meint Stadtpräsident Giorgio Giudici.

Denn ähnlich wie man das sommerliche Festival mit klassischer Musik von Gstaad im Berner Oberland mit dem legendären Violinisten Yehudi Menuhin verbindet (Menuhin Festival), ist Martha Argerich zum Markenzeichen für Lugano geworden. Ihr sehr persönlich gestaltetes “Progetto” schliesst sich jedes Jahr an das klassische “Lugano-Festival” an.

Gerhard Lob, Lugano, swissinfo.ch

Geboren am 5.Juni 1941 in Buenos Aires. 1957 gewann die erst 16-Jährige die Klavierwettbewerbe von Genf und Bozen.

Doch die anschliessende Konzerttätigkeit trieb sie in die Einsamkeit: Mit 21 litt sie an einer tiefen Depression und zog sich von der Bühne zurück.

1965 feierte sie mit einem Sieg am Chopin Wettbewerb in Warschau ihr triumphales Comeback. Argerich bezeichnet die Unterstützung von Stefan Askenase und seiner Frau als entscheidend bei der Überwindung ihrer Depression und der Rückkehr ins Musikleben.

Argerich war drei Mal verheiratet und hat je eine Tochter aus jeder Ehe. Ihr zweiter Ehemann war der Schweizer Dirigent Charles Dutoit.

Martha Argerich ist nicht die erste ausländische Pianistin von Weltrang, die sich im Tessin zu Hause fühlt. Andere Tastenvirtuosen haben das Tessin sogar zu ihrer Wahlheimat gemacht.

Der deutsche Konzertpianist Wilhelm Backhaus (1884-1969) siedelte mit seiner Frau 1930 nach Bioggio, lebte in der Villa Wellington und gab im Tessin zahlreiche Konzerte.

Der legendäre italienische Pianist Arturo Benedetti Michelangeli (1920-1995) lebte seit Ende der 1960er-Jahre bis zu seinem Tod in Pura im Malcantone. Dort befindet sich auch sein Grab.

Der französische Pianist bulgarischer Herkunft Alexis Weissenberg (*1929 in Sofia) lebt seit 1993 in Muzzano im Haus des Malers Felice Filippini. Weissenberg ist allerdings sehr krank und gebrechlich. Gleichwohl kann man ihn gelegentlich an Konzerten treffen.

Zuletzt hat der kroatische Pianist Ivo Pogorelich (*1958) im Luganese Domizil genommen.

Das Progetto Martha Argerich besteht 2010 aus 18 Konzerten (7 Klavierrecitals, 9 Kammermusikabende, 2 Sinfoniekonzerte). Dazu kommt noch eine Master-Class mit dem israelischen Violinisten Ivry Gitlis im Konservatorium.

Teilnehmer: 32 Pianistinnen und Pianisten, 9 Geiger, 3 Bratscher, 5 Cellisten, 1 Klarinettist, 2 Schlagzeuger, 7 Sänger, zwei Ensembles (Saxophon- und Streichquartett), Chor und Orchester der Italienischen Schweiz.

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