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Einheitskasse: Kunstfehler oder Wundermittel?

Welche Krankenkasse bietet die niedrigsten Prämien und die besten Leistungen? Bringt gar eine Einheitskrankenkasse die beste Lösung? Keystone

Sollen die 60 privaten Krankenversicherungen in der Schweiz durch eine einzige öffentliche Kasse ersetzt werden? Die Frage, über die das Stimmvolk 2014 oder 2015 entscheiden wird, sorgt für ideologische Grabenkämpfe. Die kantonalen Gesundheitsdirektoren lehnen die Initiative und den Gegenvorschlag mehrheitlich ab.

Immer höhere Prämien, aber auch absurde Varianten im Wettstreit um günstige Risiken (junge und gesunde Versicherte) haben in den letzten Jahren dem Unmut über die privaten Krankenversicherer und dem Ruf nach Alternativen Auftrieb verliehen. Dazu gehört die “Initiative für eine öffentliche Krankenkasse”, die 2012 mit mehr als 120’000 gültigen Unterschriften zustande gekommen ist.

Das Volksbegehren, das nicht nur von der Sozialdemokratischen und der Grünen Partei, sondern auch von Patienten- und Konsumentenorganisationen unterstützt wird, will die privaten Versicherungsgesellschaften aus der obligatorischen Krankenpflege-Versicherung verdrängen und durch eine einheitliche, öffentliche Krankenkasse ersetzen. Den privaten Kassen bliebe nur das Geschäft mit Zusatzversicherungen.

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“Hat vielleicht Ihre Frau damit eingekauft?”

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Das war wieder sehr naiv, mich auf dieses Angebot einzulassen. “Wir durchleuchten Ihre Krankenkassen-Police”, hatte mir die Helsana-Versicherung geschrieben, obwohl ich bei der KPT versichert bin.   (Noch-)Nicht-Schweizer sollten wissen, dass hier erstens eine Krankenversicherung für alle obligatorisch ist und zweitens unter den privaten Krankenversicherern – auch Krankenkassen genannt – Wettbewerb herrscht. Deshalb buhlen die…

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Wettbewerb oder Monopol?

Der Bundesrat (die Schweizer Regierung) lehnt die Initiative für eine Einheitskasse ab. Das gegenwärtige System, das auf dem Prinzip des regulierten Wettbewerbs unter privaten Krankenversicherern basiere, habe gegenüber einem Monopol klare Vorzüge, begründet die Regierung ihre ablehnende Haltung.

Im Februar 2013 hat sie aber einen indirekten Gegenvorschlag präsentiert, mit dem der Wettbewerb zwischen den Kassen auf die Qualität der Angebote beschränkt und die Jagd nach günstigen Risiken beschränkt werden soll. Kernstück ist eine gemeinsame Kasse, die als Rückversicherung für die teuersten Patienten aufkommen soll. Dadurch würde die Risikoselektion für die Krankenkassen weniger interessant.

Der Entwurf des Bundesrats sieht auch eine strikte Trennung von Grund- und Zusatzversicherungen vor. Die beiden Geschäftsbereiche müssten von separaten juristischen Gesellschaften geführt werden. Ausserdem sollen die Massnahmen für einen Risikoausgleich unter den Kassen verfeinert werden.     

Die politischen Debatten zeigen, dass der Gegenvorschlag einen schweren Stand hat. Die Exponenten des bürgerlichen Lagers, die sich mehrheitlich gegen die Initiative aussprechen, lehnen auch den Entwurf der Regierung ab, weil sie die Rückversicherung und die Trennung von Grund- und Zusatzversicherung als Schritt zur Verstaatlichung der Krankenversicherung betrachten. Die Initianten kritisieren den Gegenvorschlag als halbherzig.

Kantone ziehen nicht am gleichen Strick

In der Schweiz müssen sich alle Einwohner eine “obligatorische Krankenpflegeversicherung abschliessen. Die privaten Krankenversicherungen (Krankenkassen) – derzeit rund 60 – sind gesetzlich verpflichtet, jede und jeden in der Grundversicherung aufzunehmen, die oder der in ihrem Tätigkeitsgebiet Wohnsitz hat.

Die Versicherungen müssen in der Grundversicherung die Diagnose, die Behandlung einer Krankheit und deren Folgen übernehmen.

Wer Leistungen gedeckt haben möchte, die über die Grundversicherung hinausgehen, kann eine Zusatzversicherung abschliessen. Darin lassen sich zum Beispiel komplementärmedizinische Behandlungen oder mehr Komfort bei einem Spitalaufenthalt versichern.

Im Zusatzversicherungsbereich können die Kassen aber Anfragen für Neuaufnahmen ablehnen.

Die Versicherten zahlen monatliche Prämien an die Krankenkassen. Die Kassen können die Prämien vom Alter, Gesundheitszustand oder vom Geschlecht der Versicherten abhängig machen. Die Höhe der Prämien variiert nicht nur von Kasse zu Kasse, sondern auch von Kanton zu Kanton.

Kantone mehrheitlich dagegen

Wenig Unterstützung hat die Regierung auch von den Kantonen zu erwarten. Die 26 kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und –direktoren, unter welchen 16 den bürgerlichen Parteien und 10 dem links-grünen Lager angehören, sprachen sich am Donnerstag gegen die Volksinitiative und den indirekten Gegenvorschlag aus. Eine starke Minderheit unterstützt allerdings die beiden Vorlagen.

Die Bürgerlichen sind mehrheitlich gegen die Initiative und den Gegenvorschlag. Christian Rathgeb, Gesundheitsdirektor des Kantons Graubünden, empfiehlt die Initiative zur Ablehnung, “weil die Versicherten die Wahlfreiheit verlieren würden. Heute können alle Versicherten die Kasse wechseln, wenn sie mit der Leistung nicht zufrieden sind.” Eine Einheitskasse würde auch mit der langjährigen Tradition der Vielfalt im Versicherungsbereich brechen, argumentiert der Bündner.

Sein Westschweizer Amtskollege, der Waadtländer Regierungsrat Pierre-Yves Maillard, sieht in dieser Vielfalt vor allem Nachteile: “Es gibt einen Berg administrativer Aufgaben nicht nur für die Kassen, sondern auch für die Ärzte und Spitäler, die einzig wegen der Existenz der 60 Kassen entstehen”, sagt Sozialdemokrat Maillard, der auch Mitglied des Initiativkomitees ist.

Das Argument der Initianten, zwischen den Kassen herrsche kein echter, sondern nur ein Pseudowettbewerb um günstige Risiken, lässt der Bündner Regierungsrat der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP.Die Liberalen) nicht gelten. “Ich glaube schon, dass die Kassen unterschiedliche Leistungen erbringen, insbesondere im Servicebereich. Das zeigen zum Beispiel Umfragen zur Kundenzufriedenheit”, sagt Rathgeb.

Eine staatliche Kasse würde nicht effizienter arbeiten als private Unternehmen. Ausserdem machten die Verwaltungskosten der Krankenkassen heute nur einen geringen Teil der Ausgaben aus.

“Wenn es nur noch eine Kasse gibt”, kontert Maillard, “dann hat diese grosses Interesse an einer Politik der Prävention und der koordinierten Pflege, weil sie die gesamten Gesundheitskosten der Bevölkerung übernehmen muss.” Heute, sagt der Romand, würden die Kassen lediglich die teuren Versicherten verjagen, weil sich dies für sie mehr lohne.

Dass die Kassen hohe Risiken abzustossen versuchen, sei nicht von der Hand zu weisen, bestätigt Rathgeb. Aber um dem Problem zu begegnen, brauche es keine Einheitskasse. Es sei Sache der Aufsicht, bei Exzessen einzuschreiten. “Hier gibt es durchaus einen gewissen Handlungsbedarf. Die Verordnung über den Risikoausgleich muss so ausgestaltet werden, dass sich eine Risikoselektion für die Versicherer nicht mehr lohnt.”

Einheitskasse zum ersten, zum zweiten, zum …

Die Sozialdemokraten versuchen dem Anliegen nicht zum ersten Mal an der Urne zum Durchbruch zu verhelfen. 2007 hat das Volk eine Einheitskasse mit 70 Prozent der Stimmen abgeschmettert.

Auf die Frage, weshalb sich die Genossen jetzt bessere Chancen versprechen, sagt Regierungsrat Maillard: “Damals hatten die Westschweizer Kantone mit 45   Prozent Ja gesagt. In der Deutschschweiz waren nur  23 Prozent dafür, weil sie den Eindruck hatten, dass sie mit einer nationalen Kasse für die ‘teureren’ Versicherten in der Romandie bezahlen müssten”.

Inzwischen sei aber bekannt geworden, dass die Versicherten in den Kantonen Waadt und Genf (und Zürich) deutlich mehr bezahlt hätten, als sie kosteten. “Und in gewissen Deutschschweizer Kantonen mussten die Prämien massiv erhöht werden, weil sie dort die Kosten nicht deckten.” Den zweiten grossen Unterschied zu 2007 sieht Maillard darin, dass die Prämien nicht mehr vom Einkommen abhängig wären.

Ob der Souverän das neue Rezept schlucken wird, scheint derzeit eher fraglich zu sein. Laut dem “Gesundheitsmonitor 2012” des Forschungsinstituts Gfs.bern befürworten 40 Prozent der Befragten einen Wechsel zur Einheitskasse, 45 Prozent möchten beim Status quo bleiben.

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