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Die Schweiz begräbt das Bankgeheimnis auch für EU-Bürger

Nach den Worten von Finanzminister Ueli Maurer kann der Finanzplatz Schweiz auch ohne Bankgeheimnis konkurrenzfähig bleiben. Keystone

Nach den USA wird auch die EU von einem automatischen Informationsaustausch in Steuerfragen mit der Schweiz profitieren. Am Dienstag hat das Schweizer Parlament das neue Abkommen mit den 28 EU-Staaten gut geheissen. Damit wird das Bankgeheimnis zwischen der Schweiz und der EU beerdigt und ein Schlussstrich unter einen lang anhaltenden Steuerstreit mit Brüssel gezogen.

Im Jahr 2009 hatte der damalige deutsche Finanzminister Peer Steinbrück erklärt, dass man die Kavallerie (schwarze Listen) ausreiten lassen könnte, um die Indianer (die Schweizer) zur Aufgabe des Bankgeheimnisses zu zwingen. Die damaligen Sätze schlugen in der Schweiz wie eine Bombe ein und sorgten in Bern für eine gewisse Irritation.

Doch am Ende wurde die Schweiz in Sachen Bankgeheimnis tatsächlich in die Knie gezwungen. Die USA, die EU und die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) setzten ihre Kavallerie ein. Und diese hat in Form von wirtschaftlichen Sanktionsdrohungen und Strafverfahren gegen Schweizer Banken ganze Arbeit geleistet.

Nach dem Ständerat (Kantonskammer) im März hat der Nationalrat an diesem Dienstag als Zweitrat denn auch das Abkommen zum automatischen Informationsaustausch gutgeheissen – mit 122 Ja-Stimmen, 58-Nein-Stimmen und 8 Enthaltungen. Damit wird 2017 der automatische Informationsaustausch in Steuerfragen gemäss den OECD-Standards eingeführt. Der effektive Austausch von Bankdaten soll im Jahr 2018 beginnen.

Bisher haben fast 100 Länder die Einführung dieser Standards zugesagt. Technisch gesehen lag dem Nationalrat ein Protokoll zur Änderung des Zinsbesteuerungsabkommens zwischen der Schweiz und der EU vor. Neben dem automatischen Informationsaustausch und dem Austausch auf Anfrage umfasst es Bestimmungen zur Quellensteuerbefreiung von grenzüberschreitenden Zahlungen zwischen verbundenen Unternehmen.

Steuerabkommen Schweiz-EU

Das neue Steuerabkommen zum Automatischen Informationsaustausch (AIA) zwischen der Schweiz und der EU tritt am 1. Januar 2017 in Kraft. Der effektive Datenaustausch wird aber erst 2018 auf der Basis der 2017 erhobenen Daten erfolgen. 

Jeder EU-Staat und die Eidgenossenschaft übermitteln sich damit jährlich gegenseitig Daten zu jenen Steuerpflichtigen, die ein Konto im jeweils anderen Land haben. Dazu gehören Namen, Adressen, Steuernummern und Geburtstage sowie Informationen zu Finanzen und Kontostand.

Meldepflichtig sind nicht nur die Banken , sondern auch Investmentunternehmen und bestimmte Versicherungsgesellschaften.

Nach Auffassung der Schweizer Regierung erfolgt durch die Einführung des AIA auch eine Regularisierung der Vergangenheit mit den wichtigsten EU-Ländern. Allerdings sind in einigen Ländern noch Untersuchungen gegen Schweizer Banken hängig.

In den Verhandlungen ist es der Schweizer Regierung nicht gelungen, einen besseren Zugang für die Schweizer Bankinstitute zu den EU-Finanzmärkten zu erreichen. Dies war anfänglich als Gegenleistung für die Einführung des AIA verlangt worden. 

 “Der OECD-Standard ist heute ein internationaler, weltweiter Standard, der für alle die gleichen Regeln des Informationsaustausches vorsieht. Die Schweiz als wichtige Volkswirtschaft, als Finanzplatz, der zu den Top Ten der Welt gehört, kann es sich nicht leisten, hier abseitszustehen”, sagte der Schweizer Finanzminister Ueli Maurer während der Debatte, in der er das Parlament zu einer Ratifizierung des Abkommens aufrief.

Ironie des Schicksals: Ausgerechnet die Partei des Finanzministers, die rechts-nationale Schweizerische Volkspartei (SVP), hat sich am entschiedensten für die Beibehaltung des Bankgeheimnisses eingesetzt und gegen ein Aufweichen gewehrt. Im Jahr 2009 verzichtete Maurer, damals noch Verteidigungsminister, als Zeichen des Protestes gegen die Äusserungen Steinbrücks sogar auf seinen Mercedes-Dienstwagen, um ein französisches Modell anzuschaffen.

Lange Widerstand geleistet

Die Streitigkeiten um den automatischen Informationsaustausch zwischen der Schweiz und der EU reichen bis auf den Beginn dieses Jahrtausend zurück. Im Jahr 2004 sah sich die Schweizer Regierung gezwungen, ein erstes Abkommen über die Zinsbesteuerung mit der EU abzuschliessen. Dieses ist bis heute in Kraft. Es erlaubt den EU-Staaten, Steuern auf Zinsen zu erheben, die ihre steuerpflichtigen Bürger durch Anlagen in der Schweiz erhalten.

Dank der Unterstützung von Österreich und Luxemburg gelang es der Schweiz aber, das Bankgeheimnis zu retten. Die drei Länder beschränken sich nämlich darauf, eine Quellensteuer in Höhe von 35 Prozent auf die Zinserträge zu erheben, diese Steuer an die EU-Länder zu überweisen, ohne aber die Namen der Kunden preis zu geben.

Als Folge dieses Systems überweist die Schweiz jedes Jahr rund eine halbe Milliarde Franken an die Steuerbehörden der EU-Länder. Dies mag viel erscheinen. Doch in den Augen Brüssels ist es viel zu wenig angesichts der milliardenschweren Vermögen von europäischen Steuerzahlern, die auf Schweizer Banken vermutet werden.

Das geltende Abkommen hat zudem einen grossen Nachteil: Es gilt nur für natürliche Personen, nicht aber für Unternehmen. Wie jüngst durch die so genannten “Panama Papers” bekannt wurde, haben Finanzintermediäre in der Schweiz und Luxemburg – aber auch in Grossbritannien, jahrelang Off-Shore-Firmen gegründet, die Tausenden von europäischen Steuerzahlern erlaubten, den heimischen Fiskus zu umgehen.

Um auf den steigenden Druck von Seiten der EU zu reagieren, war 2012 dann die Idee einer so genannten Abgeltungssteuer (Modell “Rubik”) aufgekommen. Demnach hätte Bern hohe Summen an Länder bezahlt, um für die in der Vergangenheit nicht bezahlten Steuern von Bürgern mit Konten in der Schweiz aufzukommen. Im Gegenzug hätte die Schweiz ihr Bankgeheimnis behalten können. Doch der deutsche Bundesrat (Länderkammer) sagte damals Nein zu dieser Strategie. Damit was das Schicksal von “Rubik” besiegelt.

Ein neues Kapitel

Vor einem Jahr musste die Schweiz schliesslich klein begeben und das revidierte Zinsbesteuerungsabkommen mit der EU unterzeichnen, das nun vom Parlament ratifiziert wurde. Der Entscheid wurde von den Mitteparteien, insbesondere aber von der Linken unterstützt, die schon seit Jahrzehnten eine Abschaffung des Bankgeheimnisses forderte.

Der sozialdemokratische Abgeordnete Christophe Schwaab sagt: “Es handelt sich um ein sehr wichtiges Abkommen; nicht nur für unseren Finanzplatz, sondern auch für das ganze Land. Dieses Abkommen beweist, dass die Schweiz wirklich gewillt ist, ein neues Kapitel aufzuschlagen und sich vom nicht-deklarierten Kapital und von Steuerhinterziehung – den Grundlagen eines langjährigen Geschäftsmodells der Banken – verabschiedet. Dank des Automatischen Informationsaustausches gibt es künftig keine Schlupflöcher mehr für Steuerhinterzieher.”

Ganz anders tönt es auf Seiten der SVP. “Dieses Abkommen erlaubt es, dass Millionen von Bankdaten unbescholtener Bürger in die Welt gesandt werden. Und niemand weiss mit Sicherheit, ob sie nur zur steuerlichen Zwecken verwendet werden oder nicht doch in falsche Hände gelangen. Einige europäische Länder geben keinerlei Garantien hinsichtlich des Datenschutzes. Und wir wissen nicht einmal, wie die wichtigsten konkurrierenden Finanzplätze dieses Abkommen anwenden werden”, sagt SVP-Nationalrat Thomas Matter.

Strenge Kontrollen

Während der Debatte im Nationalrat stellte Matter einen Antrag auf Rückweisung. Man solle mit der Ratifizierung des Abkommens zumindest so lange zuwarten, bis alle wichtigen Finanzplätze definitiv entschieden hätten, den Automatischen Informationsaustausch (AIA) einzuführen. Doch Finanzminister Ueli Maurer sprach sich dagegen aus. Das AIA-System unterstehe einer strengen Kontrolle. Sogar Sanktionen bei Verstössen seien vorgesehen. Die Effizienz dieses Systems könne im Übrigen schon 2017 verifiziert werden, da rund 50 Staaten ein Jahr vor der Schweiz mit dem effektiven Datentausch beginnen werden.

Für FDP-Nationalrat Christian Lüscher warnte davor, auf diese Argumentation einzugehen: “Panama war das letzte Land, das die Devise aufstellte: Wir wenden die OECD-Standards an, sobald dies alle anderen Finanzplätze tun.” Man habe gesehen, was aus dieser Strategie geworden sei. “Und ich glaube nicht, dass wir auf dem internationalen Parkett so behandelt werden wollen wie vor kurzem Panama”, so Lüscher. Der Rückweisungsantrag scheiterte denn auch mit 123 zu 63 Stimmen bei einer Enthaltung. 

Garantiert das Bankgeheimnis den Datenschutz oder schützt er die Steuerhinterzieher? Teilen Sie uns im Kommentarfeld Ihre Meinung mit!

(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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