Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Das (fast) nördlichste Reisfeld der Erde

swissinfo.ch

Im Tessin wird seit einigen Jahren Reis angebaut. Der "Riso Nostrano Ticinese" hat sich als einheimisches Nischenprodukt etabliert. Im weltweiten Vergleich ist das Schweizer Reisanbaugebiet aber verschwindend klein.

Mit nur 198 Metern über Meer ist das Maggia-Delta bei Ascona und Locarno das tiefstgelegene Gebiet der Schweiz.

Aber dies ist nicht der einzige Superlativ des am Lago Maggiore gelegenen, sandig-lehmigen Schwemmlandes.

Seit 1997 wird hier auch Reis angebaut. Es ist das einzige Reisanbau-Gebiet der Schweiz.

Immer wieder ist zu lesen, es handle sich gar “um die nördlichsten Reisfelder der Welt”.

Doch Renato Altrocchi, Direktor des zuständigen Landwirtschaftsbetriebs Terreni alla Maggia, winkt ab: “In Ungarn gibt es einige Reisfelder, die noch nördlicher liegen.”

Der 62-jährige Tessiner ist die treibende Kraft hinter der Reisinitiative. Er wurde seinerzeit an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich als Agronom diplomiert.

Lange Experimentierphase

Die Idee mit dem Reis kam Altrocchi, als vor Jahren die Preise für Mais, Getreide und Soja einbrachen. Die Terreni alla Maggia S.A., ein Besitztum der Familien Anda und Bührle, mussten sich nach Alternativen umschauen.

“Der Anbau von Reis schien mir eine mögliche Lösung”, erinnert sich Altrocchi. Er ging jedoch behutsam vor. Denn einige Versuche in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, im Tessin Reis anzubauen, waren allesamt gescheitert.

Um die eigentliche Tropenpflanze so hoch im Norden kultivieren zu können, war es besonders wichtig, die richtige Reissorte zu finden, die unter den geologisch-geografischen Gegebenheiten noch einen guten Ertrag abwirft.

Loto hat die Nase vorn

Altrocchi experimentierte mit Baldo, Loto, Pegaso, Savio und Selenio. Aber schnell zeigte sich, dass für den kommerziellen Reisanbau im Maggia-Delta die Sorte Loto die besten Eigenschaften aufwies. Sie macht heute 90 Prozent der Anbaufläche aus.

Bei Loto handelt es sich um den Reistyp “Lungo A”, eine Sorte mit langem, konvexem Korn, die sich hervorragend für Risotto eignet, während des Kochprozesses lange al dente bleibt und die Flüssigkeit gut bindet.

“Dieser Reis entspricht unserer Tradition, denn in jeder Tessiner Familie wird ein oder zwei Mal pro Woche Risotto gekocht”, sagt Altrocchi.

Starkes Wachstum

Tatsächlich steigerte der Landwirtschaftsbetrieb die Produktion Jahr um Jahr.

Als 1997 mit dem Reisanbau begonnen wurde, betrug die Anbaufläche zwei Hektaren. Inzwischen sind es 80 Hektaren. Rund 400 Tonnen Rohreis werden eingefahren.

Krankheitsanfällig

Da Reiskulturen leicht krankheitsanfällig sind, ist laut Altrocchi eine Behandlung mit Fungiziden nötig. Während einheimische Getreide wie Gerste oder Roggen während einer Wachstumsphase einmal mit einem Fungizid gespritzt werden, sind bei Reis “mindestens zwei Behandlungen” nötig.

Bei der Unkrautvertilgung unterscheidet sich Reis hingegen nicht von einheimischem Getreide. Beide Kulturen müssen ein bis zwei Mal gespritzt werden.

Die Ernte findet in der Regel um den 10. Oktober herum statt. Nach einem langen und warmen Sommer wurde dieses Jahr früher mit der Ernte begonnen – bereits in der letzten Septemberwoche.

Der Reis wird maschinell geerntet und auf dem Landwirtschaftsbetrieb mit einer Spezialmaschine entspelzt. Die weitere Verarbeitung des Halbrohreises zu Weissreis – Schälen, Sortieren und Polieren – findet in den Reismühlen Brunnen (Kanton Schwyz) und Taverne (Tessin) statt.

Vom Tessin bis nach London

Von der eingebrachten Ernte bleiben zirka 60 Prozent als Weissreis übrig und gelangen unter dem Label “Riso Nostrano Ticinese” in 1-kg-Packungen in den Verkauf.

Zwar liegt der Preis mit 4,50 Franken über den in der Schweiz bekannten Ladenpreisen, doch bereits im Vergleich zu italienischem Qualitätsreis gibt es kaum Preisunterschiede.

Während Privatkunden den einheimischen Loto-Reis lieben, hat er sich in der Gastronomie noch nicht durchgesetzt. Denn viele Profiköche wollen nach wie vor Reissorten, die stärker Flüssigkeit aufsaugen, wie Carnaroli oder Arborio.

75 Prozent wird im Tessin verkauft, der Rest gelangt in die Deutschschweiz – oder darüber hinaus. Vor kurzem habe er gehört, dass der Tessiner Reis im Warenhaus “Harrods” in London verkauft wurde, erzählt Altrocchi. Doch wie er dorthin gelangte, könne er sich nicht erklären.

Gerhard Lob, Ascona, swissinfo.ch

Das Getreide ist eine der wichtigsten Nutzpflanzen der Erde und für einen grossen Teil der Menschheit Grundnahrungsmittel.

Für mehr als die Hälfte der Erdbevölkerung ist es sogar das Hauptnahrungsmittel. In einzelnen Ländern Asiens stellt Reis etwa 80% der gesamten Nahrung.

In den Schweizer Küchen steht Reis nur an 3. Stelle. Der durchschnittliche Konsum liegt bei zirka 5,5 kg Reis pro Kopf und Jahr. Über das Jahr verteilt werden acht Mal so viel Kartoffeln und doppelt so viel Teigwaren verzehrt.

Beim Tessiner Reis handelt es sich um Trockenkulturen. Wer überflutete Felder mit im Wasser stehenden Pflanzen sucht, wie man sie aus Asien oder der Po-Ebene kennt, sucht vergebens.

Die Pflanze sieht aus wie eine herkömmliche Getreidesorte.

Zwar ist eine künstliche Beregnung der Reisfelder nötig. Doch gegenüber Sumpffeldern ist der Wasserverbrauch geringer. Im Tessin sind es 300 bis 500 Millimeter Wasser pro Reifungsperiode, in der Poebene 1500 bis 3000 mm.

Asien ist mit mehr als 95% des Ertrags das wichtigste Anbaugebiet. Bedeutende Anbaugebiete liegen auch in den USA.

Insgesamt wurden 2007 gemäss UNO-Ernährungs- und Landwirtschafts-Organisation FAO weltweit 651,7 Mio. Tonnen geerntet.

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft