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“Die Menschen behandelten uns wie Götter”

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Es war die Faszination für den Schweizer Künstler Paul Klee, die Osamu Okuda aus Japan nach Europa brachte. Aus dem ursprünglich geplanten Aufenthalt von einem Jahr wurden 30 Jahre. Heute ist Okuda Forscher und Archivar im Zentrum Paul Klee in Bern, macht aber auch selber Kunst.

Okuda ist sehr schüchtern. Er scheint zu zögern, mich in der Eingangshalle des Museums zu empfangen. Er versucht sogar, mich an einen Kollegen zu verweisen, der mehr zur aktuellen Ausstellung beigetragen habe. Dieser springt für ein paar Minuten als Gesprächspartner ein, während Okuda allmählich aufzutauen beginnt.

Inmitten der Bilder, die er so liebt, kommt langsam Leben in ihn. Der adrette 62-Jährige trägt eine Brille mit einem Gestell aus feinem Stahl und einen schmalen Kinnbart, der wie die Schläfen angegraut ist. Er kichert leise und gestikuliert zurückhaltend, wenn er über die Werke des Meisters spricht.

Das Buch

“Es war ein Geheimnis, versteckt in einer Schachtel”, beginnt Okuda mit leiser Stimme vom Buch zu erzählen, das er in Winterthur in der Hinterlassenschaft des verstorbenen Schriftstellers Hans Bloesch gefunden hatte.

Der Titel lautete schlicht “Das Buch”, und es enthält Gedichte von Bloesch und Klee. Dazu hatte Klee groteske, teils gewagte Illustrationen gezeichnet. “Darunter sind auch erotische Bilder, einige sehr interessante Sachen”, bemerkt Okuda verschmitzt und hebt dazu verschwörerisch die Augenbrauen. Man muss seinen Worten Glauben schenken, denn das 110 Jahre alte Buch ruht als wohlgeschütztes Exponat in einer Glasvitrine.

“Wir feierten den Fund mit Bier und Wein”, erinnert sich Okuda, der momentan an einer Publikation arbeitet, die 2014 erscheinen soll. Sie enthält einerseits “Das Buch” als Faksimile, andererseits auch den Briefwechsel zwischen Bloesch und Klee.

Namen und Daten hat der Japaner exakt im Kopf. Spricht er über Klee, kommen ihm die Worte leicht über die Lippen, was umso erstaunlicher ist, als Deutsch für ihn eine Fremdsprache darstellt.

Der Weg zu Klee

“Klee ist in Japan sehr bekannt, und sogar beliebter als hier”, berichtet Okuda. Er war um die 20, als er in seiner Heimatstadt Osaka erstmals eine Klee-Ausstellung sah. Okuda studierte Kunstgeschichte und schrieb seine Master-Arbeit über Paul Klee.

1980 arbeitete er an einer grossen Klee-Ausstellung in Tokio mit. Dies sollte zu seinem Sprungbrett für Europa werden. Eine Kontaktperson in Bern war ihm behilflich, dass er ein Stipendium an der Universität Bern erhielt. Als er 1983 in die Schweiz kam, plante er einen Aufenthalt von rund einem Jahr.

“Aber dann traf ich einen deutschen Klee-Spezialisten, der mich für die Mitarbeit an einem Projekt anfragte. Wir arbeiteten zehn Jahre daran, bis wir es vollendet hatten!”, bemerkt der Japaner trocken. Sie erforschten, wie Klee seine Bilder oft zerschnitt, um daraus zwei oder mehrere kleinere Werke zu machen. “Das war clever, konnte er doch so mehr Bilder verkaufen”, scherzt Okuda, der mittels Computerprogramm rekonstruierte, wie die unzerschnittenen Originalbilder ausgesehen hatten.

Die aus dem Projekt hervorgegangenen Ausstellungen in Düsseldorf und Stuttgart wurden zu Riesenerfolgen, so dass sie um zwei Wochen verlängert werden mussten. Adobe Photoshop sei damals noch nicht so hoch entwickelt gewesen, bemerkt er, den damaligen Katalog durchblätternd. Die Dokumentation über Klees “geteilte” Werke war rasch vergriffen und musste ein zweites Mal aufgelegt werden.

“Die Menschen behandelten uns wie Götter. Das war für mich ein Wendepunkt.” Okuda begriff, wie clever es für seine Karriere war, sich auf Paul Klee als Hauptthema zu konzentrieren. 1996 berief ihn das Kunstmuseum Bern zum wissenschaftlichen Mitarbeiter von dessen Paul-Klee-Stiftung.

Er arbeitete dort weitere zehn Jahre zusammen mit anderen Klee-Spezialisten an einem wichtigen Projekt, an dessen Ende die neunbändige Klee-Enzyklopädie Catalogue raisonné Paul Klee..Verzeichnis des gesamten Werkes stand. Spricht Okuda von Paul Klee, tönt Bewunderung aus jedem Wort für den Künstler, der am Ende seiner Laufbahn an einer schweren Hautkrankheit Krankheit litt, die später als Sklerodermie bekannt wurde.

“Er musste sparsam mit seiner Energie umgehen, aber er malte grosse Bilder”, berichtet der Japaner und erwähnt dessen einfallsreiche Verwendung von Zeitungspapier und Jute, beides billige Materialien, und von Farbpaste, die schneller trocknet als Ölfarbe.

2005 war klar, dass die Macher des neuen Paul Klee Zentrum das Wissen und die Erfahrung des japanischen Kunstexperten für das neue Haus gewinnen wollten. Der Bau des italienischen Architekten Renzo Piano mit der typischen Silhouette von drei Wellen zählt zu den bemerkenswertesten Museumsbauten der Schweiz.

“Wäre ich in Japan geblieben, würde ich heute wahrscheinlich als Assistenzprofessor arbeiten. Aber dort ist es so hierarchisch”, findet Okuda. Hier schätzt er sehr, dass die Menschen zwischen beruflichem und privatem Leben einen klaren Trennstrich ziehen können.

Viele Pläne

Dafür, dass er den ganzen Tag im Kunstlicht des Museumsinneren verbringt, sind seine Hände erstaunlich braun. Des Rätsels Lösung: Eines seiner Hobbys ist das Gärtnern im Schrebergarten unweit des Museums, wo er ein Stück Stadtberner Boden bebaut.

Der leidenschaftliche Koch zieht dort Kräuter, Bohnen und Kürbisse. Selbst in seinem Garten fand er einen Bezug zu Klee, obwohl er dies lange gar nicht bemerkt hatte.

“Mein Stück Land liegt genau unter jenen Eichen, die Klee in einem seiner Werke gezeichnet hatte!”, sagt er und erwähnt, dass er in Bern auch schon andere Plätze entdeckt habe, die ihm von den Bildern her bekannt vorkämen.

Klee ist für Okuda zwar eine Schlüsselperson, aber nicht der Mittelpunkt des Lebens. Da der Japaner im Zentrum Paul Klee teilzeitlich angestellt ist, bleibt ihm genug Zeit, sich anderen Dingen zu widmen, wie etwa einem von ihm initiierten Poesie-Projekt.

“Sprechendes Wasser” heisst ein Band, den Okuda zusammen mit dem bernischen Autor Jürg Halter alias Kutti MC und dem japanischen Lyriker Tanikawa Shuntarō schrieb. Dafür erhielt das Team den diesjährigen Literaturpreis des Kantons Bern.

Beim Stichwort Wasser vermisst Okuda den Ozean und dessen Fische. Trotz seines Heimwehs reist er aber nur ab und zu aus beruflichen Gründen in seine Heimat.

Neben Gedichten macht Okuda auch Skulpturen und tritt als Performance-Künstler auf. Er arbeitet mit Vorliebe mit zufällig gefundenen Objekten, etwa ausrangierten Karussell-Pferden, die er in einen anderen, künstlerischen Kontext stellt. So stellte er unter anderem 2002  in der Kunsthalle Bern aus.

Okuda steht wenige Jahre vor der Pensionierung. Nichtsdestotrotz aber ist sein Kopf voller Ideen, etwa, einen Film zu drehen. “Mein Bruder komponiert elektronische Musik. Ich möchte auch etwas mit ihm zusammen machen”, sagt er und räumt lächelnd ein, dass seine Liste mit den Dingen, die er noch erledigen will, immer noch sehr lang ist.

“Alte Träume warten darauf, verwirklicht zu werden”, sagt er mit feiner Ironie zum Abschied.

(Übertragung aus dem Englischen: Renat Kuenzi)

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