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Mit Maus und Mäusefalle nach Berlin

Die vier Kinder mit Alice Schmid (r.) auf der grossen Bühne in Berlin. Paola Carega

"Die Kinder vom Napf" läuft mit grossem Erfolg in den Schweizer Kinos. Nun feiert der Film seine internationale Premiere an der Berlinale. Vier Kinder aus dem Film durften nach Berlin reisen und haben dem Festivalpublikum die Bergwelt näher gebracht.

Nicht alle Menschen halten gerne Ansprachen. Schon gar nicht vor über 1000 Menschen in einem ausverkauften Kinosaal.

Der 11-jährige Thomas Bucher meisterte die Aufgabe souverän. Thomas ist einer der Hauptprotagonisten im Film “Die Kinder vom Napf”, der diesen Winter erfolgreich in den Schweizer Kinos lief.

Nun hat es der Dokumentarfilm von Alice Schmid über die Bergbauernkinder aus dem Napfgebiet an die Berlinale geschafft. Vier Filmkinder – neben Thomas die gleichaltrige Carolin, die 9-jährige Julia und die 8-jährige Laura – durften dafür nach Berlin reisen, um zusammen mit der Regisseurin den Streifen vorzustellen.

Jetzt, nach dem Abspann, kommen sie alle auf die Bühne. “Liebes Publikum, ich bin ganz nervös”, beginnt Thomas seine Begrüssungsrede. Er macht eine kleine Pause und grinst. Ihm sei nämlich gerade eine Maus abgehauen. Und die habe sich bestimmt bei jemandem unter dem Sitz verkrochen, vermutet Thomas. “Zum Glück habe ich immer eine Ersatzmaus dabei.”

Der Bub kramt in seiner Hosentasche, zieht eine graue Stoffmaus hervor, hält sie am Schwanz hoch und schwenkt sie unter dem Gelächter des Publikums hin und her.

Die Napfkinder im Wettbewerb

Insgesamt vier Mal läuft “Die Kinder vom Napf” in der Reihe “Generation”. Eine Kinderjury wird entscheiden, ob Thomas, Carolin, Julia und Laura den “Gläsernen Bären” in die Schweiz mitnehmen dürfen. Alle Vorstellungen sind ausverkauft.

Wenn die vier Kinder nach Filmende auf die Bühne treten, tragen sie die Entlebucher Trachtenkleidung. Sie erzählen von ihrer Heimatgemeinde Romoos im Kanton Luzern, spielen Handorgel und singen das Lied vom Napf.

Aus dem Nest in die Mega-City

Und natürlich darf auch die berühmte Mäusefalle aus dem Film nicht fehlen. Thomas hat sie eigens nach Berlin mitgebracht, um dem Publikum die Kniffe des Mäusefangens zu erläutern. Gerade einmal 709 Einwohner hat Romoos – für die vier Kurzen ist der Besuch der Millionenstadt Berlin denn auch ein riesiges Abenteuer.

Die kleine Laura hat dafür sogar auswärts schlafen geübt. “Bei einem Schulkollegen, der ganz oben auf dem Napf wohnt”, erzählt sie stolz. Alle vier sind zum ersten Mal in ihrem Leben geflogen. “Wir haben die Berge von oben gesehen”, schwärmt Carolin. “Und wir durften ins Cockpit schauen.”

Die breiten Strassen und die vielen Häuser Berlins haben die Kinder erstaunt; dass es keine Berge, dafür viel Beton gibt, das wussten sie dagegen schon.

Stress für die Kids

In den kommenden Tagen steht noch ein Besuch des Zoos an – mehr Sightseeing gibt der Zeitplan nicht her. Bewusst plant Alice Schmid auch Ruhestunden im Hotel ein, denn das Filmfestival ist für die Knirpse vom Napf auch ganz schön anstrengend.

Zum Glück gibt es im Hotel einen Swimmingpool. Schon um sieben Uhr morgens seien sie schwimmen gegangen, meint Julia. Danach hätten sie gefrühstückt, am riesigen Büffet. “Da gab es Nutella in einem ‘Kübeli’, das man essen konnte.”

Die Bergbauernkinder sind nicht die einzigen, die an der Berlinale in eine andere Welt eintauchen. Der Alltag auf dem 1408 Meter hohen Napf ist umgekehrt für die Berliner Kinder eine völlig fremde Welt.

Da staunt das Stadtkind

“Wie wurden denn die Berge gemacht?” lautet die Frage eines kleinen Jungen an die “Filmcrew”. Die sehen sich erst ratlos an, weil sie die Frage nicht verstehen, dann müssen sie kichern. Das seien echte Berge, versichert Regisseurin Alice Schmid dem kleinen Zuschauer. “Beim Filmen habe ich darauf geachtet, dass die Kinder im Vordergrund sind und hinten die Berge.”

Die 8-jährige Malika, die sich den Film mit ihrer Schulklasse angeschaut hat, fand die Szene mit dem Schlachten der Truthähne “nicht so schön”. Ausserdem sei es in den Bergen zu einsam. Gut gefallen haben der kleinen Berlinerin dagegen die vielen Tiere, mit denen die Bauernkinder spielen können.

365 Tage lang

Für Alice Schmid ging mit der Einladung an die Berlinale ein Traum in Erfüllung. Ihre Filme, für die sie unter anderem in Liberia und Indien unterwegs war und die sie stets aus Kinderperspektive erzählt, liefen zwar an bedeutenden Festivals, aber bislang nie im Hauptprogramm. Dass sie es ausgerechnet mit einem Film aus ihrer Heimat schafft, freut die 60-Jährige besonders.

365 Tage lang hat Schmid die Kinder aus Romoos begleitet, morgens in der Schule, nachmittags zu Hause. Alleine, mit Kamera und auf dem Rücken festgeschnallter Tonstange. Am Ende hatte sie 400 Stunden Material, aus denen 90 Minuten Film entstanden.

Der Film habe die Kinder ein Stück verändert, meint Alice Schmid. Das Interesse und die Wertschätzung, die man seither ihrer Heimat entgegenbringe, sei eine wertvolle Erfahrung. “Die Kinder vom Napf sind dadurch selbstbewusster geworden.”

Noch bis zum 19. Februar findet die 62. Berlinale statt. Erstmals seit zehn Jahren ist die Schweiz dieses Jahr auch wieder im Wettbewerb vertreten, und zwar mit “L’ enfant d’en Haut” der Westschweizer Regisseurin Ursula Meier.

Auch drei weitere Schweizer Produktionen feiern in Berlin ihre internationale Premiere. Neben “Die Kinder vom Napf” sind das der Dokumentarfilm “Hiver nomade” von Manuel von Stürler, der in der Sektion Forum läuft, und der kurze Animationsfilm “Der kleine Vogel und das Blatt” von Lena von Döhren.

Ausserdem werden in der Reihe German Cinema drei Schweizer Koproduktionen gezeigt, nämlich “Hell” von Tim Fehlbaum, “Joschka und Herr Fischer” von Pepe Danquart sowie “Raising Resistance” von Bettina Borgefeld und David Bernet.

Und schliesslich wurde der 18-jährige Berner Schauspieler Max Hubacher (“Der Verdingbub”) zu einem der zehn europäischen Talente beim Shooting-Stars-Event 2012 erkoren.

Die Berlinale ist das weltweit grösste Publikums-Festival und zeigt in seinen verschiedenen Reihen insgesamt fast 400 Filme aus aller Welt.

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