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Iran und die Schweiz-Connection – ein Leitfaden

Teheran ist derzeit ein Anziehungspunkt für ausländische Führungskräfte, die vom Atomabkommen profitieren wollen. AFP

Wie zahlreiche andere Länder ist auch die Schweiz darauf bedacht, ihre Handelsbeziehungen zu stärken, die sich aus der Öffnung des iranischen Markts ergeben könnten. Die Schweiz hat eine Jahrzehnte lange, besondere Beziehung zu dem Land am Persischen Golf.

Der Besuch des Schweizer Bundespräsidenten Johann Schneider-Ammann in Teheran vom kommenden Wochenende fällt in eine spezielle Zeit, nämlich kurz nach der Umsetzung des Atomabkommens. Das von sechs Weltmächten unterzeichnete Abkommen soll Iran die Nutzung der zivilen Nukleartechnologie erlauben, aber sicherstellen, dass Iran keine Atomwaffen entwickeln kann. Im Gegenzug werden die gegen Iran verhängten Wirtschafts- und Finanzsanktionen schrittweise aufgehoben.

swissinfo.ch erklärt an dieser Stelle einige neue Möglichkeiten, die der Markt von fast 80 Millionen Menschen bietet, aber auch einige potenzielle Fallstricke in der theokratischen, islamischen Republik.

Was ist der Zweck der Reise von Schneider-Ammann?

Der Bundespräsident ist einer von mehreren Staatsmännern, die Iran besuchen, um die Möglichkeiten auszuloten und ein Zeichen zur Förderung neuer Investitionen zu setzen. Der chinesische Präsident war der erste, der Teheran nach Inkrafttreten des Abkommens einen Besuch abstattete.

Die Aufhebung der Sanktionen gegen Iran sowie die Freigabe von etwas über 100 Mrd. Franken blockierter iranischer Vermögen als Teil des Abkommens tragen zu einer Revitalisierung der iranischen Wirtschaft bei. Schneider-Ammann repräsentiert auch den wachsenden diplomatischen Verantwortungsbereich der Schweiz.

Was ist mit der Menschenrechtslage?

Im Umgang mit Iran hat die Schweiz eine Gratwanderung zwischen der Entwicklung der Handelsbeziehungen und dem Schutz der Menschenrechte gemacht. Die Schweiz und Iran führen regelmässig Gespräche, in denen Bedenken über die Meinungsfreiheit und die Todesstrafe in der Islamischen Republik zur Sprache kommen.
Laut Schweizer Staatssekretär Yves Rossier will Iran zurück in die internationale Gemeinschaft kommen. Das Land sei bereit, weitere Gespräche zu diesen Themen zu führen, aber die Diskussionen würden im Rahmen einer globalen Verbesserung der Menschenrechte stattfinden.

Welches sind diese neuen diplomatischen Verantwortungsbereiche?

Letzte Woche hat die Schweiz verlauten lassen, dass sie bereit sei, die Interessen Saudi-Arabiens in Iran zu vertreten, damit Iraner weiterhin das Königreich besuchen können. Die Schweiz bot ausserdem an, auch iranische Interessen in Saudi-Arabien zu vertreten, sobald die dortige Schweizer Vertretung etabliert ist.

Im Januar hatte Saudi-Arabien die diplomatischen Verbindungen mit Iran abgebrochen, weil aufgebrachte Demonstranten nach der Exekution eines prominenten schiitischen Geistlichen durch das Königreich einen Brandanschlag gegen die saudische Botschaft in Teheran verübten. Die Rolle der Schweiz dürfte vor allem darin bestehen, die Einreisen iranischer Muslime nach Saudi-Arabien für religiöse Wallfahrten zu erleichtern.

Wie gross sind die Möglichkeiten für die Schweiz?

Iran hat laut der Weltbank nach Saudi-Arabien die zweitgrösste Wirtschaft im Mittleren Osten und in Nordafrika. Iran hatte 2014 eine Wirtschaftsleistung von rund 406,3 Mrd. Dollar und eine Bevölkerung von 78,5 Millionen.

Die Schweizer Exporte nach Iran betrugen 2014 rund 610 Mio. Franken. Laut dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) könnten sie sich bis in zehn Jahren verdoppeln oder sogar verdreifachen, wobei auch eine Verdreifachung lediglich rund 1% der Schweizer Exporte ausmachen würde.

Wie gross sind die Herausforderungen?

In den letzten Jahren haben die Schweizer Direktinvestitionen in Iran signifikant zugenommen; zum Investitionsschutz, zur Doppelbesteuerung und zur Luftfahrt gibt es bereits je ein schweizerisch-iranisches Abkommen.

Iran hat die Schweiz – manchmal über schwer fassbare Vermittler – als Hub für Öllieferungen und Finanzdienstleistungen beansprucht, zum Teil weil die Schweiz nicht Mitglied der Europäischen Union ist. Bürokratie, Geldwäscherei und Korruption in Iran sind oft zitierte Hindernisse. Der Schweizer Finanzplatz könnte beim Versuch, in Iran Dienstleistungen anzubieten, Reputationsschaden nehmen.

Lassen sich in Iran tiefhängende Früchte ernten?

Hersteller von Uhren und Haushaltsgütern sowie einige der bedeutendsten Industrieproduzenten der Schweiz, wie Nestlé in der Lebensmittelherstellung, Novartis und Roche für pharmazeutische Produkte, sowie LafargeHolcim für Baustoffe, sind globale Giganten, die von den iranischen Konsumenten – zu denen 55 Millionen Mobiltelefon-Abonnenten gehören, also fast gleichviele wie in Frankreich oder Grossbritannien – profitieren könnten.

Schweizer Firmen, die Verbesserungen für Dienstleistungen, Industrie und Landwirtschaft bieten, ob Hightech oder andere, gehören zu jenen, die am ehesten profitieren können. Grosse Möglichkeiten gibt es im Lebensmittelbereich, bei sanitären, pharmazeutischen, kosmetischen Produkten, sowie für Versicherungen, Banken und Luftfahrt. Irans Wirtschaft wird von der Erdöl- und Erdgasindustrie, der kleinräumigen Landwirtschaft und dem Dienstleistungssektor dominiert. Laut Seco macht Letzterer 45%, der Industriesektor 44,5%, der Landwirtschaftssektor 10,5% aus.

Was ist mit dem Öl- und Gassektor?

Iran liegt auf dem zweiten Platz im Ranking der Länder mit den grössten Erdgasvorkommen und auf dem vierten Platz der Länder mit den grössten nachweisbaren Erdölvorkommen. Bemerkenswert ist die staatliche Präsenz in der Produktion und bei Finanzdienstleistungen.

Einige der weltweit grössten Ölhändler wie Vitol, Glencore und Trafigura haben ihren Hauptsitz in der Schweiz. Die meisten Händler stoppten ihren Handel mit iranischem Öl und Ölderivaten in den letzten fünf Jahren nach der Verhängung der US- und EU-Sanktionen. Aber mit der Aufhebung vieler Sanktionen plant Iran den Verkauf von 300’000 Barrel Öl pro Tag auf dem europäischen Markt, und Glencore ist die erste westliche Firma, die wieder mit iranischem Erdöl handelt.

Wie wettbewerbsfähig ist die Schweiz?

Zu einer Zeit, als die Weltwirtschaft hohe Volatilität aufwies, erzielte die Schweiz Topplatzierungen im globalen Wettbewerbsbericht für 140 Länder des World Economic Forums in den Bereichen Innovation, Unternehmenskultur und Arbeitsmarkteffizienz. Singapur, die USA, Deutschland und die Niederlage folgten auf den nächsten Plätzen.

Der Bericht über die Wettbewerbsfähigkeit der in Lausanne domizilierten IMD Business School, in dem die Länder von 6000 globalen Führungskräften bewertet werden, erteilt der Schweiz ebenfalls gute Noten. 2014 gründeten iranische und Schweizer Geschäftsleute eine Handelskammer für die beiden Länder. Sie führten Seminare für künftige Geschäfte durch, die auch Gespräche mit Vertretern der Regierung und der Privatwirtschaft über mögliche Hindernisse beinhalteten.

Was ist der Stand der Schweizer Sanktionen?

Im Januar hob die Schweiz einen Teil ihrer Sanktionen gegen Iran im Einklang mit der UNO und der EU auf.

Die geltenden Restriktionen basieren auf UNO- und EU-Massnahmen zur Beschränkung des Handels mit Waffen und anderen Ausrüstungen, die zur Unterdrückung der Gesellschaft eingesetzt werden können. Andere Sanktionen betreffen nukleare Güter und sogenannte Dual-Use-Güter in Verbindung mit Nukleartechnologie. Es gibt auch Finanz- und Reisebeschränkungen für gewisse Leute und Firmen.

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Warum haben die Schweizer spezielle Beziehungen?

Seit Jahrzehnten pflegt die Schweiz diplomatische und geschäftliche Beziehungen sowie andere gemeinsame Interessen mit Iran. Die Schweiz hat als Brücke zu Iran gedient, die eine wichtige Rolle bei der Rückführung des gasreichen Mittleren Ostens in den Schoss der internationalen Gemeinschaft gespielt hat.

Die Schweiz hat ab 1980 – als Washington die formellen Beziehungen mit Teheran abgebrochen hat, weil eine aufgebrachte Gruppe iranischer Studenten 1979 die US-Botschaft angegriffen und während mehr als 400 Tagen 52 Amerikaner in Geiselhaft genommen hatte – die Interessen der USA in Iran vertreten. Die Schweiz hat auch seit 1979, seit der iranischen Revolution gegen den Schah von Persien, die iranischen Interessen in Ägypten vertreten.

Erdgas-Deal beerdigt

Die Bilder des Treffens gingen um die Welt: Im Jahr 2008 war die damalige Aussenministerin Micheline Calmy-Rey mit einem Kopftuch bedeckt nach Iran gereist, um dem Vertragsabschluss über Erdgaslieferungen des Irans mit der Schweizer Firma EGL beizuwohnen. Inzwischen ist das Geschäft aber geplatzt.

Der damals ausgehandelte Vertrag wurde heimlich beerdigt. Aus politischen Gründen, wie die Axpo, die Muttergesellschaft der EGL, gegenüber der Nachrichtenagentur SDA sagte.

Der Axpo-Konzern setzt inzwischen nicht mehr auf Erdgas aus Iran, sondern nunmehr zu 100 Prozent auf Gas aus Aserbaidschan, wie ein Mediensprecher erklärt.

Der Vertrag zwischen der Elektrizitätsgesellschaft Laufenburg (EGL) mit der iranischen Staatsfirma National Iranian Gas Export Company (Nigec) sei zwar nicht gekündigt worden, aber er könne nach Aufhebung der Sanktionen gegen die Islamische Republik trotzdem nicht mehr aktiviert werden.

Details, weshalb das so ist, wolle man zwar nicht preisgeben, aber Axpo habe sich mit Iran hauptsächlich nicht über die Preise für das Erdgas und die Transportwege einigen können, was aber zwingende Bedingungen im Abkommen gewesen waren. Damit sei das Geschäft – trotz des immensen Aufwandes – geplatzt.

(Übertragung aus dem Englischen: Peter Siegenthaler)

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