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Schweizer sagen laut Nein zu mehr Steuer-Entlastung für Familien

Familien mit Kindern werden nicht zusätzlich steuerlich entlastet: Die Schweizer Stimmbürger sagen Nein zur Initiaitive "Familien stärken!" der Christlichdemokraten. Keystone

Volk und Stände haben die Volksinitiative "Familien stärken! Steuerfreie Kinder- und Ausbildungszulagen" der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) abgeschmettert: 75,4% der Stimmenden waren gegen die zusätzliche steuerliche Entlastung von Familien, ebenso wie alle Kantone. Die Stimmbeteiligung betrug 42%.

1’650’200 Stimmende legten ein Nein in die Urne. Lediglich rund 537’700 sagten Ja. Somit müssen Eltern Kinder- und Ausbildungszulagen weiterhin versteuern. Das klare Scheitern eines Kernanliegens der CVP als Kämpferin für die Werte der Familie bedeutet für die Partei im Wahljahr eine herbe Niederlage.

Das wuchtigste Nein stammt aus dem Kanton Glarus, wo über 83 Prozent der Stimmberechtigten Nein sagten. In Bern, Zürich und Appenzell Ausserrhoden waren nahezu 80 Prozent gegen die Initiative, in fast allen anderen Kantonen lag der Anteil Nein-Stimmen über 70 Prozent.

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Am besten kam das Anliegen im Jura an, wo die CVP stark vertreten ist. Dort lag der Ja-Stimmenanteil bei fast 43 Prozent. In den CVP-Hochburgen Freiburg und Wallis stimmten immerhin über 32 Prozent der Initiative zu. 

Bundesrat erleichtert

Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf, die das Ergebnis für die Schweizer Regierung kommentierte, zeigte sich über die deutliche Ablehnung der CVP-Initiative erleichtert. Es habe sich um ein populäres Anliegen gehandelt, sagte sie. Aber Bund, Kantone und Gemeinden hätten mit hohen Steuerausfällen rechnen müssen. Zudem hätten laut der Bundesrätin die falschen Familien von der Steuerbefreiung profitiert hätten, weil Familien mit tiefen Einkommen ohnehin wenig oder gar keine Steuern zahlen.

Der Bundesrat wolle aber die Unterstützung für Familien mit Kindern ausbauen, unabhängig von der Ablehnung der CVP-Initiative, sicherte Widmer-Schlumpf zu. Ein Bericht, der in den nächsten Wochen verabschiedet werde, gehe der Frage nach, ob Steuerabzüge durch Steuergutschriften ersetzt werden könnten. Im anderen Bericht würden Massnahmen zur Unterstützung von Familien geprüft, unter anderem bedarfsabhängige Kinderzulagen.

In den letzten Jahren sei viel für die Entlastung von Familien mit Kindern getan worden, betonte die Bundesrätin. Allein die steuerlichen Entlastungen summierten sich auf rund 3,5 Milliarden Franken pro Jahr. “Wir haben in der Schweiz eine soziale Familienpolitik”, lautete das Fazit von Widmer-Schlumpf. 

“Niederlage des Mittelstandes”

CVP-Vertreterin Lucrezia Meier-Schatz, die eigentliche Urheberin der Volksinitiative, zeigte sich ob des klaren Scheitern ihres Projekts erwartungsgemäss enttäuscht. “Es ist uns offensichtlich nicht gelungen, eine Mehrheit der Bevölkerung davon zu überzeugen, dass es steuersystematisch keinen Sinn macht, Familienzulagen zu besteuern.” Dies sei eigentlich eine Niederlage des Mittelstandes. Trotzdem sagt Meier-Schatz: “Wir werden weiterhin am Ball bleiben.”

E-Voting für die 5. Schweiz

Bei der Abstimmung vom 8. März 2015 haben insgesamt 14 Kantone die Abstimmung per Mausklick für Auslandschweizer angeboten.

Schweizweit haben sich in den Kantonen insgesamt 142’000 Auslandschweizer als Stimmberechtigte registriert.

Von diesen übten an der jüngsten Abstimmung 99’224 Personen ihr Stimmrecht aus.

Vom Angebot des E-Voting konnten in dieser Abstimmung total 194’000 Stimmberechtigte profitieren. 

Die Differenz rührt daher, dass die Kantone Genf und Neuenburg auch dieses Mal wieder Inlandschweizer Stimmberechtigte in den Versuch mit der elektronischen Stimmabgabe einbezogen.

Seine E-Voting-Premiere erlebte der Kanton Glarus.

Der Kanton Zürich nahm erstmals seit 2011 das E-Voting wieder auf.

Bund und Kantone haben somit das 2011 festgelegte Ziel erreicht, der Mehrheit der Auslandschweizer Stimmberechtigten bis zu den Wahlen 2015 den elektronischen Stimmkanal anzubieten.

Quelle: Bundeskanzlei

Die Schweizerische Volkspartei, die das CVP-Begehren unterstütze, sprach die Berner SVP-Nationalrätin Nadja Pieren von einer “vertanen Chance vertan, Familien zu stärken”. Angesichts der Frankenstärke wäre dies umso wichtiger gewesen.

Aus ihrer Sicht haben die Gegner der Initiative die Stimmbevölkerung mit den möglichen Steuerausfällen verängstigt. Dabei wären diese “problemlos” verkraftbar gewesen.

“Kuckucksei erkannt”

Der freisinnige Nationalrat Ruedi Noser, dessen Partei FDP das Begehren ablehnte, sprach von der “CVP-Familieninitiative als einem “Kuckucksei”. “Die Stimmbürger haben erkannt, dass die Initiative nur auf den ersten Blick die Familien entlasten würde”, so Noser. Bei einer Annahme wäre etwa die steuerliche Belastung auf Gemeindeebene gestiegen.

Laut dem FDP-Politiker hat die Bevölkerung auch durchschaut, dass die CVP mit der Initiative vor allem Wahlkampf im Hinblick auf die eidgenössischen Wahlen im Herbst betreibe.

Keine Trauer über das Verdikt herrschte auch bei der sozialdemokratischen Partei. Die Absicht der CVP-Familieninitiative sei aus Sicht der SP zwar gut, sagte die Waadtländer SP-Nationalrätin Rebecca Ruiz. “Die geplante Ausgestaltung war aber grundlegend ungerecht.”

Besser wäre es, die monatlichen Familienzulagen zu erhöhen. Ruiz möchte eine entsprechende parlamentarische Initiative möchte bald einreichen. “Ich schlage eine Erhöhung von 50 Franken pro Monat vor.”

“Keine Experimente nach SNB-Entscheid”

In seiner Analyse nannte Claude Longchamp, Abstimmungs-Experte der SRG/SSR und Leiter des Forschungsinstituts gfs.bern, zwei Hauptgründe für die sich abzeichnende deutliche Abfuhr für die Familien-Vorlage. Die Aufhebung des Euro-/Franken-Mindestkurses durch die Schweizerische Nationalbank von Mitte Januar ist laut Longchamp “klimaprägend” und werde dies bis zu den eidgenössischen Wahlen im kommenden Oktober bleiben. Aus wirtschaftlichen Ängsten heraus wünschten die Bürger keine finanziellen Experimente, sagte der Politologe. 

Dazu komme eine allgemeine “Initiativen-Müdigkeit” – nach der Rekordzahl von nicht weniger als 14 Volksabstimmungen über Initiativen im letzten Jahr. Ob all dieses Reformeifers zeigten sich die Schweizerinnen und Schweizer ermüdet, so der Experte am Schweizer Fernsehen.

Dieselben Gründe führte Longchamp auch zum Debakel der Grünliberalen mit ihrer Initiative zur Einführung einer Energiesteuer an (siehe separater Artikel). Mit 92% Nein-Stimmen fuhr die Kleinpartei einen historischen Minusrekord ein: Seit Einführung des Initiativrechts 1891 hat lediglich ein Begehren aus dem Volk weniger Unterstützung erreicht als jetzt die Energiesteuer-Initiative.

Familie als politisches Dauerthema

Der Abstimmungs-Flop der CVP vom 8. März 2015 zeigt einmal mehr: Mit Volksbegehren zu familienpolitischen Anliegen lassen sich keine Lorbeeren holen. Immerhin wurden unter dem Druck von Initiativen schon einige Reformen in Gang gebracht.

Vor der Kinderzulagen-Initiative der CVP erlitt letztmals im November 2013 eine Familienvorlage Schiffbruch. Das Stimmvolk sagte damals deutlich Nein zu Steuerabzügen für die Kinderbetreuung zu Hause, wie sie von der SVP verlangt wurden.

2005 war eine Volksinitiative “Für die Familie – Kinder sichern Zukunft!” des Vereins “Familie 3 plus” bereits im Sammelstadium versandet. Auch sie wollte eine steuerliche Entlastung für Familien mit Kindern erreichen.

Mehr Resonanz fand das 1985 lancierten Begehren “für ehe- und familiengerechtere Bundessteuern”. Die FDP konnte ihre erste Initiative 1990 zurückziehen, nachdem sie ihre Forderungen durch ein Sofortprogramm des Parlaments und ein geplantes Bundesgesetz erfüllt gesehen hatte.

Weitere familienpolitische Vorlagen gab es in den Jahren 1945 (Familienschutz), 1981 (Gleichstellungsartikel), 1985 (Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Ehe), 2004 (Mutterschaftsversicherung), 2006 (Harmonisierung der Familienzulagen). 2013 scheiterte der Verfassungsartikel zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf am Ständemehr. Die Stimmbürger nahmen den Passus an.

Die nächste CVP-Vorlage ist bereits in der Abstimmungs-Pipeline: Die Initiative gegen die steuerliche Benachteiligung von Ehepaaren. Der Urnengang dürfte nach den Schweizer Parlamentswahlen von kommenden Oktober stattfinden.

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