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Unesco-Welterbe: Ehre, aber auch Verantwortung

Die Welterbestätte Monte San Giorgio ist grösser geworden. Keystone

Das Welterbekomitee der Unesco hat an seiner diesjährigen Tagung insgesamt 21 Stätten neu auf die Liste gesetzt. swissinfo.ch hat im Vorfeld des Treffens in Brasilia mit dem Schweizer Unesco-Botschafter Rodolphe Imhoof gesprochen.

Im Oktober 2009 wurde die Schweiz mit 104 von 140 Stimmen für die nächsten vier Jahre in das Unesco-Welterbekomitee aufgenommen, zusammen mit 20 anderen Ländern. Das ist zwar eine grosse Ehre, bedeutet aber auch Verantwortung.

In Brasilia wurde an der Tagung dieses Komitees unter anderem positiv über ein Projekt entschieden, das auch die italienische Seite des Monte San Giorgio miteinschliesst – die Tessiner Seite gehört bereits seit 2003 zum Weltkulturerbe.

Welche Herausforderungen warten auf das Unesco-Komitee, damit es seine Glaubwürdigkeit erhalten kann, und welche Rolle fällt dabei der Schweiz zu? swissinfo.ch hat sich darüber mit Botschafter Rodolphe Imhoof, dem ständigen Schweizer Botschaft bei der Unesco, unterhalten.

swissinfo: Was bedeutet es für die Schweiz, Mitglied im Unesco-Komitee zu sein?

Rodolphe Imhoof: Das Weltkulturerbe-Übereinkommen ist auf der ganzen Welt bekannt und wird von den Ländern besonders beachtet. Im Komitee Mitglied zu sein, heisst deshalb, die Gelegenheit zu haben, im internationalen Bereich eine wichtige Rolle einzunehmen.

Noch nie wurde ein Land mit einer derart überwältigenden Mehrheit ins Komitee gewählt wie die Schweiz 2009, bei 29 konkurrierenden Staaten. Deshalb sind jetzt auch die Erwartungen entsprechend hoch.

swissinfo: Das ist also das zweite Mandat der Schweiz im Komitee. Welches sind die Prioritäten?

R.I.: Zwischen 1978 und 1985 war die Schweiz bereits einmal im Komitee. Zwar blieb die Philosopie des Weltkulturerbes dieselbe. Doch in den letzten 30 Jahren hat sich die Konvention weiterentwickelt.

Die Schweiz möchte die folgenden fünf strategischen Prioritäten unterstützen: Glaubwürdigkeit, Erhaltung, Kapazitätserweiterung, Kommunikation und Gemeinschaft.

Das Anwenden des Übereinkommens wird immer schwieriger. Deshalb braucht es klare, allgemein verständliche und akzeptable Bestimmungen. Damit liessen sich gleichzeitig neue Dossiers eröffnen und die alten Welterbe-Stätten schützen.

Unser Ziel ist auch, Programme in jenen Bereichen zu unterstützen, in denen die Schweiz ihren eigenen Mehrwert beitragen kann. Zum Beispiel im Bereich der Expertenschulung oder bei den Verantwortlichen für Stätten ausserhalb Europas.

swissinfo: Zur Zeit umfasst die Unesco-Liste über 900 Stätten. Sind das zuviel oder zu wenig?

R.I.: Tausend wäre bestimmt eine magische Zahl. Im Jahr 2012 feiert die Konvention ihr 40-jähriges Bestehen.

Wie auch immer: Gedanken zur Zukunft der Konvention gibt es bereits. Es zählt weniger die Anzahl Stätten als die Kapazität, sie richtig zu bewirtschaften, respektive deren Qualität beizubehalten und ihre “universellen ausserordentliche Werte” zu erhalten.

swissinfo: Die Frage lautet, wie man das Gleichgewicht auf der Liste erhalten kann. Die bisherigen Massnahmen zur Glaubwürdigkeit führten nicht zu den erwünschten Resultaten. Was wäre zu tun?

R.I.: Gleichgewicht und Glaubwürdigkeit müssen nicht zwangsläufig dasselbe bedeuten. Sind die europäischen Stätten überrepräsentiert, oder sind die Stätten im Süden unterrepräsentiert? Soll man regionale Quoten einführen? Ich persönlich halte das nicht für nötig.

Manchmal wird kritisiert, die Konvention sei zu eurozentrisch. Also müssen wir alles Mögliche unternehmen, um Kandidaturen von aussereuropäischen Stätten zu motivieren.

Die Schweiz und verschiedene andere Länder bemühen sich darum und unterstützen die Länder bei der Eingabe und den administrativen Prozeduren. Doch es braucht noch etwas Zeit für mehr Gleichgewicht.

2003 wurde von der Unesco die Konvention zum Schutz des immateriellen Weltkulturerbes unterzeichnet. Dies würde es erlauben, auch andere Formen von kulturellen Äusserungen anzuerkennen, Formen, von denen es gerade im Süden sehr viele gibt.

Gefahren für die Glaubwürdigkeit der Konvention liegen weniger beim regionalen Ungleichgewicht als bei den kürzlich erfolgten Entscheiden, einige Stätten wieder von der Unesco-Liste zu streichen. Dies kommt einer Niederlage für uns alle gleich.

swissinfo: Die heutige Unesco-Konvention geht auf 1972 zurück. Falls die Kriterien nun angepasst werden, könnte dies auch Auswirkungen auf die bestehenden Stätten haben?

R.I.: Die Kriterien sind seit 1972 angepasst worden. Für jene Stätten, die bereits auf der Liste figurieren, gibt es individuelle Examen, falls sie gefährdet wären. Es existieren auch globale Ansätze in Form von periodischen Rapporten, die für einzelne Regionen verfasst werden.

Die Unesco-Konvention ist ein Gebilde, das weiterlebt und sich weiterentwickelt, indem es sich mit dem bereits Erreichten bereichert. Die Qualitätskriterien werden im Auswahlprozess festgesetzt, und es würde wenig Sinn machen, jetzt wieder von vorne zu beginnen.

swissinfo: 2009 feierte die Schweiz zwei Einträge in die Liste, nämlich die beiden Uhrenstädte La Chaux-de-Fonds und Le Locle. Sind weitere Kandidaturen auf dem Weg?

R.I.: Momentan sind in der Schweiz noch zwei Kandidaturen hängig. die frühgeschichtlichen Pfahlbauten im alpinen Bogen und Häuser und das Werk von Le Corbusier. Beides sind transnationale Projekte.

Weitere Kandidaturen wird es bis zum Ende des Schweizer Mandats im Unesco-Komitee keine mehr geben.

Stefania Summermatter, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Italienischen: Alexander Künzle)

Australien: Historische Strafgefangenenlager

Brasilien: Platz São Francisco in São Cristóvão

China: Dengfeng – Zentrum des Konfuzianismus

Frankreich: Bischofsstadt Albi

Indien: das Observatorium “Jantar Mantar” in Jaipur

Iran: Gebäude-Ensemble Scheich Safi al-din Khanegah in Ardabil

Iran: Historischer Basar in Täbris

Republik Korea: Historische Dörfer Hahoe und Yangdong

Marshallinseln: Atombombentestgebiet Bikini-Atoll

Mexiko: Historischer Handelsweg Camino Real de Tierra Adentro

Mexiko: Prähistorischen Höhlen von Yagul und Mitla im Tal von Oaxaca

Niederlande: Amsterdamer Grachtengürtel

Saudi-Arabien: Historischer Bezirk von At-Turaif in Ad-Diriyah

Tadschikistan: Archäologische Stätte Sarazm

Vietnam: Kaiserliche Zitadelle von Thang Long in Hanoi

China: Danxia-Landschaften

Frankreich: Vulkanlandschaft auf La Réunion

Kiribati: Meeresschutzgebiet Phoenixinseln

Sri Lanka: Zentrales Hochland

Russland: Sibirisches Putorana-Plateau

USA: Meeresschutzgebiet Papahanaumokuakea.

Die Vertreter der 21 Länder im Unesco-Komitee werden für eine Periode von 4 bis 6 Jahren gewählt.

Länder: Australien, Bahrein, Barbados, Brasilien, Kambodscha, China, Ägypten, Vereinigte Emirate, Estland, Äthiopien, Russland, Frankreich, Irak, Jordanien, Mali, Mexiko, Nigeria, Schweden, Südafrika, Schweiz und Thailand.

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