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Wieso Eingebürgerte trotz Schweizer Pass nicht wählen gehen

Swissinfo Redaktion

Eingebürgerte Migranten beteiligen sich in Europa weniger an nationalen Wahlen als Gebürtige. Die Unterschiede zwischen den europäischen Ländern sind gross. In der Schweiz ist der Graben zwischen der politischen Partizipation dieser Bürgergruppen besonders tief. Eine klare Rolle spielt das Einbürgerungsverfahren. 

In der Schweiz geht im Durchschnitt etwa jede zweite wahlberechtigte Person wählen. In den europäischen Nachbarländern liegt die Wahlbeteiligung höher, im Durchschnitt geben drei von vier Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Dies gilt aber nicht für Eingebürgerte in diesen Ländern. Bei Eingebürgerten liegt die Wahlbeteiligung tiefer. Dies ergab eine Befragung des European Social Survey aus dem Jahr 2012. 

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Politische Identitätsfindung

Eingebürgerte mit Migrationshintergrund werden trotz erworbenem Pass als “Ausländer” angesehen. Das erschwert die vollständige Identifikation mit dem Ansiedlungsland. Migranten – auch eingebürgerte – engagieren sich darum politisch öfter mit Bezug zu ihrem Herkunftsland, die Teilnahme an der Politik im Ansiedlungsland bleibt eher schwach.

Viele der heute eingebürgerten Migranten wanderten zudem als Gastarbeiter ein und hatten vor, irgendwann wieder in ihre Heimat zurückzukehren. Daher erschien ihnen die Teilnahme am politischen Geschehen im Ansiedlungsland lange Zeit als nicht besonders wichtig.

Blerta Salihi, Studentin der Politischen Wissenschaften an der Universität Zürich. zvg

Ausserdem setzt die politische Teilnahme auch die Auseinandersetzung mit teilweise komplexen lokalen politischen Institutionen sowie den zur Wahl angetretenen Personen voraus. Dabei können sprachliche Barrieren als Hindernis wirken.

Tiefer Graben in der Schweiz

In der Schweiz ist der Unterschied in der Wahlbeteiligung zwischen Personen mit und ohne Migrationshintergrund besonders gross. Die Wahrscheinlichkeit, an Wahlen teilzunehmen, liegt für gebürtige Schweizer um ein Viertel höher als für eingebürgerte Schweizer. 

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Dies liegt möglicherweise unter anderem an der restriktiven Einbürgerungspolitik. Es gibt kaum einen anderen Staat in Europa, der Ausländern die Einbürgerung derart schwer macht wie die Schweiz (Strijbis 2013). Etwa 22% der ständigen Wohnbevölkerung der Schweiz verfügt nicht über das Wahl- und Abstimmungsrecht auf nationaler Ebene; das ist eine der höchsten Zahlen innerhalb der OECD. In der Schweiz gilt das ius sanguinis Prinzip (siehe Infobox). Die Einbürgerung ist ein langwieriger Prozess, welcher sich zwischen Kantonen und Gemeinden stark unterscheidet.

Der schwierige Zugang zur Staatsbürgerschaft in der Schweiz und die häufige Gleichsetzung von Migranten mit Ausländern in der Gesellschaft erklären, weshalb sich Personen mit Migrations-Hintergrund hierzulande weniger politisch engagieren, dafür aber immer noch stark an der Politik ihres Herkunftslandes interessiert sind. 

Der schwierige Zugang zur Staatsbürgerschaft in der Schweiz und die häufige Gleichsetzung von Migranten mit Ausländern in der Gesellschaft erklären, weshalb sich Personen mit Migrationshintergrund hierzulande weniger politisch engagieren, dafür aber immer noch stark an der Politik ihres Herkunftslandes interessiert sind.

In Staaten mit dem ius soli Prinzip werden Einwanderer in der Regel schneller in die bestehende Gesellschaft integriert. In diesen Staaten ist der Erwerb der Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung verhältnismässig einfach. In Frankreich reichen beispielsweise fünf Jahre Wohnsitz, ein einwandfreier Leumund und die Kenntnisse der französischen Sprache und Kultur. 

Studien aus dem deutschen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Forschungsbericht BAMF 2012) weisen darauf hin, dass Einge­bürgerte durch bessere Teilhabechancen besser integriert sind als Nicht-Eingebür­gerte, daher erhöht eine verhältnismässig schnelle und einfache Einbürgerung die Integrationsbereitschaft. Dazu gehört beispielsweise die aktive Teilnahme am politischen Leben, unterem anderem die Wahlteilnahme. Dies bestätigt auch eine jüngste Studie, die auch vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützt wurde.

In Frankreich und Deutschland sind eingebürgerte Migranten politisch besser integriert. So gibt es In Frankreich beispielsweise in der Wahlbeteiligung keinen bedeutenden Unterschied zwischen Gebürtigen und Eingebürgerten. Auch in Deutschland fällt der Unterschied kleiner aus als in der Schweiz, ist aber grösser als in Frankreich.

Die Einbürgerungs-Prinzipien

ius sanguinis Prinzip: Dieses, auch Abstammungsprinzip genannt, beruht auf der Abstammungsangehörigkeit. Dabei verleiht ein Staat seine Staatsbürgerschaft an alle Kinder, deren Eltern schon aus diesem Staat stammen. Die Staatsangehörigkeit dieser Nationen ist ein natürliches, angeborenes Recht. Die einzige Voraussetzung, sie zu erlangen ist, dass man aus einer bestimmten Gruppe stammt. Der Erwerb der Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung bildet einen langjährigen und komplexen Prozess.

ius soli Prinzip: Dieses, auch Geburtsortprinzip genannt, steht für die einfachere Art des Erwerbs der Staatsangehörigkeit. Dabei verleiht ein Staat seine Staatsbürgerschaft an alle Kinder, die auf seinem Staatsgebiet geboren wurden. Das ius soli stellt nicht nur durch das Geburtsortprinzip eine einfachere Einbürgerung dar, auch für Zuwanderer ist der Erwerb der Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung verhältnismässig leicht zugänglich. Meist nach wenigen Jahren und basierend auf einen reinen Verwaltungsakt.

Verschiedene Länder – unterschiedliche Staatsideen

Frankreich und Deutschland gründen auf unterschiedlichen Staatsideen. Frankreich gilt als eine typische Staatsnation, in der der gemeinsame Wille des Volkes zur Bildung einer politischen Gemeinschaft entscheidend ist. Merkmale wie Kultur, Abstammung und Sprache spielen nur eine minimale oder keine Rolle. In solchen Ländern ist es für Migranten einfacher, sich mit dem Erlangen der Staatsbürgerschaft als Teil der Gemeinschaft zu fühlen. Das Volk ist typischerweise sehr heterogen und es gibt nicht ein einziges Verständnis von nationaler Identität.

Deutschland hingegen versteht sich als Kulturnation. In Kulturnationen erfolgt die Entwicklung des “Wir-Gefühls” auf Grund einer gemeinsamen Sprache, Religion oder Kultur. Für Personen, die erst als Erwachsene in ein solches Land immigrieren, ist es wesentlich schwieriger, sich mit diesem zu identifizieren. Daher ist es nachvollziehbar, dass der Unterschied in der Wahlbeteiligung zwischen Gebürtigen und Eingebürgerten in Deutschland grösser ist als in Frankreich.

Die Schweiz gilt ebenfalls als Staatsnation. Sie beruht auf dem gemeinsamen Willen des Volkes, eine Nation zu bilden – trotz der bestehenden sprachlichen, kulturellen und religiösen Vielfalt. Die Staatsbürgerschaft wird jedoch nach dem ius sanguinis Prinzip verliehen.

Dass auch eingebürgerte Migranten im neuen Heimatland politisch weniger aktiv sind, liegt also nicht nur daran, dass diese politisch weniger interessiert sind oder im Durchschnitt tieferen sozialen Schichten angehören, wie das einige bisherige Studien aufzeigten (Cueni und Fleury 1994). Einen wesentlichen Einfluss auf die politische Partizipation von Migranten hat auch die “neue Heimat”: Das, was sie den Eingebürgerten anbietet und wie stark diese sich in Bezug auf politische Partizipation mitgemeint und eingeladen fühlen.

Nations-Typen

Staatsnationen: Entscheidend ist der gemeinsame Wille zur politischen Gemeinschaft. Merkmale wie Kultur, Abstammung und Sprache spielen eine sekundäre oder gar keine Rolle. Dieses Nationenverständnis findet sich in der Amerikanischen und der Französischen Revolution, sowie auch in der Helvetischen Eidgenossenschaft.

Kulturnationen: Sie verstehen sich als eine Kultur- und Abstammungsgemeinschaft, definiert durch gemeinsame ethnische Merkmale wie Sprache, Kultur oder Religion, in die man in der Regel schicksalhaft hineingeboren wird. Den klassischen Fall einer Kulturnation in Europa stellt Deutschland dar.

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