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“Gesittete Wahl”

Nach der Wahl scharten sich sowohl Medienleute wie auch Politiker um Calmy-Rey. Keystone

Die Wahl von Micheline Calmy-Rey war die ruhigste der letzten Jahre. Ein neues Sicherheitskonzept brachte die guten Sitten zurück in die Wandelhalle.

Einzig die Schweizerische Volkspartei sorgte mit ihrer Attacke gegen die Zauberformel für etwas Unruhe im Bundeshaus.

Das hektische Gedränge blieb aus, ungewöhnlich ruhig ging es zu und her in der Wandelhalle des Bundeshauses. Ruedi Baumann, Präsident der Grünen Partei, gönnte sich mit seiner Frau – ebenfalls Nationalrätin – zwischen zwei Wahlgängen eine kurze Pause.

“Wir haben uns sogar überlegt, der Wahl fernzubleiben, nach der Unruhe beim letzten Mal”, meinte er halb im Scherz. Doch diesmal hätten die Parlamentsdienste die Sache besser im Griff, es sei viel angenehmer für die Parlamentarier.

Weniger Medienleute, strengere Kontrollen

Der neue Chef der Sicherheitsdienste wollte nichts dem Zufall überlassen. “Die Selbstbeschränkung der Medien funktioniert gut”, sagte Hans Peter Gerschwiler, der “Zeremonienmeister” der Bundesratswahl, gegenüber swissinfo.

Man habe diesmal die Medien um Zurückhaltung gebeten. Denn bei der Wahl von Bundesrat Samuel Schmid vor einem Jahr hätten sich zu viele Leute ohne Zugangsberechtigung in der Wandelhalle aufgehalten.

Ein Gedränge wie damals konnte damit diesmal vermieden werden. Dies bestätigten auch viele der hier arbeitenden Journalisten. Von “gesittet” war die Rede. Einzig beim Haupteingang sei so etwas wie ein “Flughafen-Feeling” aufgekommen.

Keine Überraschungen

Die Ruhe dürfte auch der klaren Ausgangslage zuzuschreiben sein: Beide der offiziellen Kandidatinnen galten als valable Anwärterinnen auf das hohe Amt. Toni Bortoluzzi, der Sprengkandidat der Schweizerischen Volkspartei (SVP), hatte nicht die geringste Chance.

Trotz des klaren Ausganges, es war eine trügerische Ruhe. Denn die SVP stellte sich quer und gab nach Bortoluzzis Ausscheiden nach dem 4. Wahlgang mehrheitlich leere Stimmzettel ab.

“Die SVP hat sich mit 44 leeren Stimmen heute als Opposition gebärdet”, sagte Nationalrätin Trix Heberlein, derzeit im Gespräch ums Parteipräsidium der Freisinnigen, gegenüber swissinfo.

Und sie doppelte nach: “Wenn die SVP diese Rolle wirklich haben will, müsste sie aber die entsprechenden Konsequenzen ziehen.” Doch die SVP will ihren Bundesrat nicht abziehen, im Gegenteil: Sie verlangt lautstark einen zweiten Sitz.

SVP-Parteipräsident Ueli Maurer ärgerte sich medienwirksam vor der Bundesversammlung: “Die Mehrheit des Parlaments hat sich von der Konkordanz und der Zauberformel verabschiedet, weil sie der stärksten Partei den zweiten Regierungssitz verweigert.”

Bröckelnde Zauberformel

Die jetzige Bundesrätinnenwahl ist im Zusammenhang mit den Gesamterneuerungs-Wahlen vom nächsten Herbst zu sehen. Am Ende der vierjährigen Legislaturperiode wird der ganze Bundesrat (im Normalfall) wiedergewählt.

Die SVP, derzeit wählerstärkste Partei, will im nächsten Herbst nichts unversucht lassen, einen zweiten Sitz im Bundesrat zu erzwingen.

“Wir werden mit Sicherheit einen Sitz verlangen, falls wir so stark bleiben, wie wir es im Moment sind”, sagte Parteipräsident Ueli Maurer gegenüber swissinfo.

Und er machte auch gleich klar, von welcher Partei er diesen Sitz möchte: “Wir möchten den Sitz der schwächsten Partei haben – das dürfte wahrscheinlich die CVP sein.”

Christdemokraten stark im Parlament

Der angegriffene Präsident der Christlichdemokratischen Partei, Philipp Stähelin, will davon nichts wissen: “Die Sitze in der Bundesversammlung sind entscheidend”, sagte er. Im Parlament verfügt die SVP nämlich nur über einen Vertreter mehr als die CVP.

Und Stähelin machte auch gleich klar, was er von der Politik der SVP hält: “Sie sucht die Konfrontation und nicht die Zusammenarbeit.” Daher habe sie auch kein Anrecht auf einen zweiten Sitz.

“Wenn die SVP die Regierungstätigkeit blockiert – und das tut sie in diesem Jahr ganz konkret – dann kann sie nicht stärker in die Regierung eingebunden werden.”

SVP in die Opposition?

Etwas versöhnlicher gibt sich FDP-Nationalrätin Heberlein: “Das ist eine Frage, die nach den nächsten Wahlen diskutiert werden muss.” Doch auch für sie ist klar, dass die SVP hinter ihren Bundesräten stehen müsste.

SP-Nationalrat Andrea Hämmerle von den Sozialdemokraten zweifelt grundsätzlich an einer Mitarbeit der SVP in der Regierung: “Für mich ist klar, dass die SVP, die keine konstruktiven Ansätze bietet, für einen zweiten Sitz nicht in Frage kommt”, sagte er gegenüber swissinfo.

Und Hämmerle geht noch einen Schritt weiter: “Mit ihrer Politik und der Polemik gegen den eigenen Bundesrat wäre es konsequent, auch auf diesen einen Sitz zu verzichten.”

swissinfo, Christian Raaflaub

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