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Bern löst sich sachte aus der Corona-Starre

Einsamer Marktstand vor dem (derzeit ungenutzten) Parlamentsgebäude. ZvG

“Die Exit-Strategie weist uns den Weg aus der bleiernen Corona-Ära. Wie aber wird diese neue Normalität aussehen?”, fragt sich Gaby Ochsenbein. Die ehemalige Redaktorin von swissinfo.ch schreibt in dieser beispiellosen Zeit über ihre persönlichen Beobachtungen.

Noch nie habe ich die Bundesstadt so gespenstisch und trostlos erlebt wie in den letzten Wochen. Noch nie habe ich so oft meine Hände gewaschen und so wenige Hände geschüttelt wie in dieser Ausnahmezeit.

Jetzt aber kehrt wieder Leben ein: Auf der Plattform hinter dem Münster spielen vier ältere Herren Boules – unter Einhaltung des nötigen Abstands. Ein paar Kleinkinder sitzen im Sandkasten, nahe beieinander.

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Der grosse Wochenmarkt findet wieder statt, allerdings nicht wie sonst nur vor dem Bundeshaus, sondern über die ganze Stadt verteilt. Käse holt man auf dem Münsterplatz, Gemüse und Blumen auf dem Bundesplatz, das Brot vor dem Zeitglockenturm, wo in normalen Zeiten Touristen aus aller Welt ihre Smartphones zücken und Fotos schiessen und den Verkehr behindern würden.

Grün und blond

Auch Blumenläden und Gärtnereien haben geöffnet, Balkone und Gärten werden bepflanzt, es blüht und spriesst in und um Bern – eine wahre Freude. Trams und Busse sind voller als auch schon. Die am Radio verlesenen Staumeldungen auf den Schweizer Strassen mehren sich.

Und seit die Coiffeursalons anfangs Woche öffnen durften, sind mehr kecke Frisuren unterwegs – und weniger Grauhaarige. Und so manche Tondeuse dürfte jetzt in der Schublade verschwinden.

Es werden Schaufenster dekoriert und Fenster geputzt.  Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren, denn ab nächster Woche dürfen alle Läden sowie Restaurants und Cafés wieder öffnen –unter strengen Hygienebedingungen, versteht sich.

Das eidgenössische Parlament tagt auch wieder – nach siebenwöchigen Zwangsferien – und hat, so steht es in der Zeitung, seine politische Streitlust wieder gefunden.

Was ist „normal?“

Haben wir jetzt dank der Lockerungen unser altes Leben wieder? Ist der Ausnahmezustand vorbei? Wird die jetzige Übergangsphase zur neuen Normalität? Wird es ein „Normal“ wie früher je wieder geben? Werden wir überhaupt wieder unbeschwert miteinander umgehen können? Wird Distanz zur Norm?

Und wollen wir dieses Vor-Corona-Leben überhaupt zurück? War es normal? Ein Leben im Zeichen von Leistung, Konsum, Wachstum und Überfluss? Ist die Krise ein Weckruf? Sollten wir bescheidener und achtsamer werden? Mit weniger vielleicht gar zufriedener sein? Nicht alles als gegeben hinnehmen?

Wenn nicht nur die Vögel zwitschern

Fragen über Fragen. Aber eins ist klar: Das neuartige Virus wird nicht einfach verschwinden, wir werden noch Monate, vielleicht Jahre mit dieser unkalkulierbaren Gefahr leben müssen. Und auch einsehen, dass der Mensch – Corona hin oder her – nicht alles unter Kontrolle hat.

Auf ein Stück Normalität freue ich mich allerdings: Ab nächster Woche werde ich um acht Uhr in der Früh nicht nur fröhliches Vogelgezwitscher hören, sondern wieder, wie vor dem Lockdown, das quirlige Lachen und Plappern der Kinder, die am Haus vorbeirennen, um rechtzeitig in der Schule zu sein.

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SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

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