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“Ohne Geduld kann man das hier nicht machen”

Auf der Baustelle des internationalen Flughafens in Bangalore wird Tag und Nacht gearbeitet. swissinfo.ch

Ende März wird in der südindischen Metropole Bangalore ein internationaler Flughafen eröffnet. Geplant, entworfen, realisiert und betrieben unter Schweizer Führung.

Albert Brunner, der die indische Flughafenfirma leitet, sagt im Gespräch mit swissinfo, bei aller Flexibilität dürfe man nie das grosse Ziel aus den Augen verlieren.

swissinfo: Herr Brunner, Sie kommen gerade aus einer wichtigen Sitzung mit einem Minister. Wie fühlt man sich als Schweizer Manager einer indischen Firma bei einer Verhandlung mit der indischen Regierung?

Albert Brunner: Ich bin schon seit langer Zeit in Indien und habe mich daran gewöhnt, dass ich hier in manchen Sitzungen mit 30 oder mehr Personen als einziger Ausländer sitze. Für mich ist das kein Problem.

swissinfo: Und für die Inder?

A.B.: Einmal wurde ich zu einer Sitzung im Verteidigungsministerium in Delhi aufgeboten, und als die sahen, dass ich Ausländer bin, liessen sie mich nicht ins Gebäude rein.

Aber das sind Ausnahmen, im Allgemeinen wird man sehr gut aufgenommen von den Leuten hier.

swissinfo: Warum ist die ausländische Beteiligung an diesem Flughafenprojekt so gross?

A.B.: Vor einigen Jahren entschied die indische Regierung, ein ausländisches Konsortium zu suchen, das diesen Flughafen bauen und betreiben soll. Sie merkten, dass die Qualität der Flughäfen in Indien zu wenig gut war. Ausserdem hatten sie damals das Geld nicht, um den Flughafen zu bauen. Das sieht heute anders aus.

Der Unique Zürich Airport ist innerhalb des Konsortiums dafür verantwortlich, unsere indische Firma beim Aufbau der Organsation und beim Betrieb des Flughafens zu beraten und zu unterstützen. Deshalb wollte Unique sicherstellen, dass er gut organisiert wird und setzte zur Bedingung, das Management zu stellen.

swissinfo: Die Eröffnung des Flughafens ist für April 2008 geplant. Ist das realistisch?

A.B.: Ja, ich glaube daran. Allerdings hatten wir in den Verhandlungen um unsere Verträge riesige Verzögerungen und mussten drei Jahre verspätet mit dem Bau beginnen. Damals kündigten wir an, dass der Flughafen innerhalb von 33 Monaten eröffnet werde. Das wäre am kommenden 2. April.

Tatsächlich werden wir sogar drei Tage früher eröffnen, haben aber den Flughafen inzwischen um rund 70 Prozent vergrössert. Das ist wohl eines der wenigen Infrastrukturprojekte in Indien, die plangemäss fertig gestellt werden. Da sind wir schon ein wenig stolz darauf.

swissinfo: Sie hatten aber auch Schwierigkeiten. So wurde vergessen, eine Autobahnausfahrt zum Flughafen hin zu bauen.

A.B.: Ja, das stimmt. Wobei ‘vergessen’ noch höflich ausgedrückt ist. Die Regierung wusste, dass man eine Ausfahrt machen muss, aber niemand wollte sich darum kümmern und vor allem wollte sie niemand bezahlen. Deshalb haben wir die Sache schliesslich übernommen.

Bis zur Eröffnung des Flughafens sollten etwa 70 Prozent der Ausfahrt fertig sein, mehr kriegen wir nicht hin, obwohl die Arbeiter im Schichtbetrieb sieben Tage pro Woche Tag und Nacht daran arbeiten.

swissinfo: Gibt es auch eine Bahn, die von der Stadt zum Flughafen führt?

A.B.: Wir drängten die Regierung von Anfang an immer wieder, eine Bahn zu bauen. Wie so vieles in Indien wurde das auf die lange Bank geschoben, und niemand nahm sich dieses Problems an.

Wir brauchen diese Bahn dringend und hoffen, dass sie in den nächsten zwei, drei Jahren in Angriff genommen wird. Über längere Phasen können wir diesen Flughafen nicht betreiben ohne vernünftige öffentliche Verkehrsmittel.

swissinfo: Wie kommen Sie als Schweizer mit der indischen Mentalität und Bürokratie zurecht?

A.B.: Ich habe eine grosse Portion Geduld. Ohne Geduld kann man das hier nicht machen. Daneben habe ich aber auch Verständnis für die Bedingungen.

Viele Bürokraten (Bürokraten ist hier übrigens kein Schimpfwort) sind nicht an sich schlecht oder faul. Häufig sind sie sehr intelligent und gut ausgebildet, aber das bürokratische System, in dem sie leben, lässt Initiative und Entscheidungsfreude gar nicht zu.

In einer Bürokratie wird alles dem Entscheidungsträger oben in der Hierarchie vorgelegt und kommt dann wieder zurück. Das ist verheerend. So kann keine Firma und kein Staat gut funktionieren.

swissinfo: Wie kann man dieses System durchbrechen?

A.B.: Man muss den Leuten mehr Kompetenz und Eigenverantwortung zugestehen.

swissinfo: Könnte der Wirtschaftsboom in Indien und der Zustrom von ausländischen Unternehmen einen Einfluss auf diese Mentalität haben?

A.B.: Die Öffnung Indiens in Richtung des Weltmarktes hat zweifelsohne zur Folge, dass ein Umdenken stattfindet. Dabei ist zu bedenken, dass wir es in Indien mit ungeheuren Menschenmassen zu tun haben, und da braucht dieses Umdenken viel Zeit.

In der Privatindustrie geht das schneller, weil die Leute Erfolg haben, wenn sie’s richtig machen; das schlägt sich nieder und wird wahrgenommen. Aber in der staatlichen Bürokratie dauert das.

swissinfo: Seit sechs Jahren leben und arbeiten Sie in Indien, was haben Sie hier gelernt?

A.B.: Geduld, Beharrlichkeit, Verständnis, Fachkenntnis, Integrität. Ich denke, unser Schweizer Management ist nicht nur auf Grund unserer Fachkompetenz akzeptiert worden, sondern weil die Leute sehen, dass wir am selben Strick ziehen, intensiv arbeiten und unbestechlich sind.

Man muss vielleicht auch mal nachgeben und die zweit- oder drittbeste Lösung akzeptieren können, aber man darf nie das grosse Ziel aus den Augen verlieren.

swissinfo: Wie sehen Sie Ihre persönliche Perspektive, wollen Sie in Indien bleiben oder zurück in die Schweiz gehen?

A.B.: Es gibt noch eine dritte Möglichkeit, nämlich irgendwo sonst im Ausland zu leben. Ich könnte mir sehr gut vorstellen, noch ein paar Jahre länger hier in Indien zu arbeiten.

Es würde mich aber auch reizen, in einem anderen Land zu leben, besonders in Asien, wo es mir gut gefällt. Doch in die Schweiz zieht es mich nicht. Vor allem, wenn ich jetzt an den Winter und den Schnee denke, bin ich doch sehr glücklich hier.

swissinfo-Interview: Susanne Schanda, Bangalore

Die Flughafengesellschaft Bangalore International Airport Limited (BIAL) ist ein internationales, teils privates, teils staatliches Konsortium unter der Leitung des Schweizer CEO Albert Brunner.

Der indische Staat ist zu 26% an BIAL beteiligt (der Gliedstaat Karnataka und die Zentralregierung zu je 13%).

40% hält der deutsche Elektronikkonzern Siemens Project Ventures.

Mit je 17% sind der Unique Zürich Airport und der indische Baukonzern Larsen and Tourbo beteiligt.

Von Europa fliegen Lufthansa, British Airways und Air France bereits heute Bangalore an. Lufthansa hat sich zudem offiziell um einen Slot für eine zweite Verbindung nach Frankfurt beworben.

Für die Lufthansa-Tochter Swiss Airlines ist keine Verbindung nach Bangalore geplant, doch fliegt Swiss täglich Bombay und Delhi an.

Der neue Flughafen liegt 35 km nördlich von Bangalore.
Er erstreckt sich über eine Fläche von 182’000m2.
Die Start- und Landebahn ist 4km lang.
Bei der Eröffnung wird der Flughafen eine Kapazität für 11 Mio. Passagiere haben.
Pro Stunde können 27 Flugzeuge abgefertigt werden.

Der 57-jährige Manager lebt und arbeitet seit Januar 2002 in der südindischen Metropole Bangalore als Chef der Bangalore International Airport Limited (BIAL).

Der in Wilen bei Wollerau im Kanton Schwyz geborene Albert Brunner studierte an der Fachhochschule Siedlungsplanung und schloss später an der ETH Zürich als diplomierter Bauingenieur ab. An der Universität Zürich machte er eine betriebswirtschaftliche Weiterbildung.

Nach mehreren Jahren in Ingenieurbüros, in der Industrie und in der Entwicklungs-Zusammenarbeit in Indonesien wechselte er 1991 an den Flughafen Zürich zur Flughafendirektion.

Dort leitete Brunner ab 1995 die 5. Etappe des Ausbaus und wurde Mitglied der Geschäftsleitung der Flughafendirektion.

In Bangalore leitet er zusammen mit einem Team aus weiteren ehemaligen Managern von Unique und Swissair die indische Firma BIAL, an der die Flughafen Zürich AG mit 17% beteiligt ist.

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