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10 Rappen mehr Lohn für “Mode-Opfer” in Asien

Näherinnen an der Arbeit in Phnom Penh. Die Textilindustrie in Kambodscha hat im ersten Halbjahr 2010 um 12 Prozent zugelegt. Reuters

Eine "10-Rappen-Kampagne" stellt Schweizer Kleiderfirmen an den Pranger. Sie zahlten den Näherinnen in Asien keine existenzsichernden Löhne. Druck machen dort vor allem Gewerkschaften und NGO. Sie fordern ein Lohnmodell für alle.

“Trotz 13 Stunden Arbeit pro Tag deckt der Lohn einer Näherin gerade mal 20 bis 60 Prozent der Lebenskosten”, kritisiert die Erklärung von Bern (EvB). Die Entwicklungsorganisation vertritt in der Schweiz die “Kampagne für saubere Kleidung” CCC (Clean Clothes Campaign), die sich zusammen mit Gewerkschaften und NGO weltweit für bessere Arbeitsbedingungen und Löhne in den Produktionsländern einsetzt.

Die prekäre Lage der rund 30 Millionen Beschäftigten in der Bekleidungsindustrie hat sich laut CCC in den letzten drei Jahren verschärft.

Dies zeigten unlängst Proteste von Näherinnen in Bangladesh. “Die Dumping-Löhne dort gelten als Standortvorteil, um Firmen und Investoren ins Land zu locken. Die Kleidungsexporte Bangladeshs stehen dabei auf einem Rekordhoch”, sagt EvB/CCC-Sprecherin Christa Luginbühl. “Von den Gewinnen profitieren Textilmarkenfirmen.”

Löhne reichen nicht einmal fürs Nötigste

Den Preis für die immer härter werdende Konkurrenz zahlen die Fabrikangestellten, meist Frauen. Ob China, Indien, Pakistan oder Sri Lanka, die in den jeweiligen Ländern festgelegten Mindestlöhne reichen oft kaum für Nahrung und erst recht nicht für Transport, Medizin oder Schulausgaben, zudem fehlt den Frauen die Zeit für die Kinderbetreuung.

“Wenn die Arbeitenden um ihre Löhne und Arbeitsbedingungen in einem Land kämpfen, ziehen Unternehmen in ein anderes, wo die Löhne niedriger sind”, beklagt die asiatische Lohn-Kampagne “Asia Floor Wage Campaign” (AFW), ein Zusammenschluss von rund 70 Gewerkschaften, NGO und Wissenschaftlern. “Alle Näherinnen in Asien brauchen eine Lohnerhöhung”, fordert die AFW.

Länderübergreifender Existenzlohn

Die Gewerkschaften der AFW haben als Antwort auf das Dumping-Problem ein eigenes Lohnmodell erarbeitet. Der Existenzlohn nach AFW sieht eine normale Arbeitszeit von maximal 48 Stunden pro Woche ohne Überstunden vor. Der Lohn soll den Bedarf der Arbeiterin und zumindest eines Teils ihrer Familie decken.

Die Kosten für Nahrungsmittel dürfen 50 Prozent der Gesamtausgaben nicht überschreiten und sollen einen “Warenkorb” von rund 3000 Kalorien pro Person und Tag decken.

“Dass jetzt ein Modell für den Existenzlohn auf dem Tisch liegt, ist ein grosser Fortschritt”, wertet EvB/CCC-Specherin Luginbühl. Bisher behaupteten die Firmen, es gäbe kein breit abgestütztes Modell zur Berechnung eines Existenzlohns. Bemerkenswert sei, dass das AFW-Modell regional von unten entstanden ist, um Verlagerungen in noch billigere Produktionsländer zu verhindern.

EvB und CCC fordern nun Schweizer Bekleidungsfirmen auf, das AFW-Lohnmodell und Umsetzungsschritte für Lohnerhöhungen zu diskutieren. “Bisher haben sich die meisten Markenfirmen nicht verpflichtet, einen Existenzlohn zu bezahlen. Sie orientieren sich am gesetzlichen Mindestlohn, wohl wissend, dass dieser nicht zum Leben reicht”, kritisiert Luginbühl.

Dialogbereit

Angeprangert werden Konzerne wie H&M, Esprit, Charles Vögele, Coop, Migros oder Tally Weijl. Auf der 10-Rappen-Webseite sind innert einer Woche seit dem Kampagnenstart über 3200 Proteststimmen gegen Lohdumping zusammengekommen. Bis zum Herbst, wenn die AFW-Vertreterinnen zu Arbeitsbesuchen in die Schweiz kommen, sollen es deutlich mehr werden.

Die Grossverteiler Migros und Coop seien zu einem Dialog bereit, sagen die Medienstellen.

Druck über Firmen-Rating

Bei der Protest-Aktion der ersten Augustwoche zu Dessous und Bademode punktete Calida besonders tief. “Wir wollen aber nicht einzelne Firmen brandmarken. Alle Unternehmen sind Teil des Problems”, betont Luginbühl.

Die EvB/CCC bewertet seit 2004 Firmen der Bekleidungsbranche zu Transparenz in der Produktions- und Lieferkette, zu Sozialstandards, Umsetzung und Kontrolle.

“Die Missstände in der Mode-Bekleidungsbranche sind seit langem bekannt”, resümiert Christa Luginbühl. Obwohl die CCC ihre Forderungen wiederholen müsse, habe die Kampagne erreicht, dass die Arbeitsbedingungen und Löhne auf der Agenda der Firmen stünden.

“Die Frage, was wie produziert wird, ist für Schweizer Firmen relevant geworden. Das war vor 20 Jahren noch nicht der Fall”, zieht Luginbühl Bilanz. Ein Fortschritt sei, dass Kinderarbeit weitgehend aus den Fabriken verbannt sei.

Viera Malach, swissinfo.ch und InfoSüd

Die 2003 gegründete “Business Social Compliance Initative” (BSCI) will die Sozialstandards in den Lieferländern verbessern und fordert von ihren Mitgliedern die Einhaltung aller gültigen nationalen Gesetze und Vorschriften, industrieller Mindeststandards sowie der Konventionen der Arbeitsorganisation ILO und der UNO.

Dass die Sozial- und Umweltstandards eingehalten werden, überprüft die BSCI mit Sitz in Brüssel zunehmend durch unabhängige externe Kontrollen.

Aus Sicht der Kampagnen-Organisationen CCC und AFW geht der BSCI-Kodex zu wenig weit, weil er auf Mindestregeln beruhe.

“Mindestlöhne genügen nicht. Wir fordern Existenzlöhne, damit eine Näherin in Würde leben kann”, sagt CCC-Kampagnensprecherin Christa Luginbühl.

Zur Forderung “10 Rappen mehr Lohn pro T-Shirt” äussern sich etwa Coop und Migros zwar “zum Dialog bereit”, aber “bei der Umsetzung skeptisch”.

Dass 10 Rappen mehr pro Shirt direkt bei der Näherin ankommen, sei nicht wahrscheinlich und die Schweiz zu klein, um in der globalen Kleiderproduktion etwas zu bewirken.

Die Sprecherinnen von Coop, Migros und auch Calida betonen, dass sie dem BSCI-Verhaltenskodex verpflichtet seien.

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