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Kein Geld für Auslandschweizer

Ein Soldat vor den Pyramiden
Wer im Ausland Opfer einer Straftat wird - beispielsweise von einem Terroranschlag wie in Luxor - bekommt kein Geld mehr von der Schweizer Opferhilfe. Im Bild patrouilliert ein ägyptischer Soldat im Jahr 1997 bei den Cheops-Pyramiden. Keystone/EPA/ANP/Raymond Rutting

Dank der direkten Demokratie hat die Schweiz eine grosszügige staatliche Opferhilfe. Doch nicht für alle: Auslandschweizer und ihre Angehörigen in der Schweiz fallen durch die Maschen.

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Die Schweiz hat seit 25 Jahren eines der grosszügigsten Opferhilfe-Systeme der Welt. Während die Opferhilfe in Deutschland beispielsweise gänzlich auf Spenden angewiesen ist, handelt es sich in der Schweiz um eine staatliche Einrichtung.

Die Schweiz kennt ein so genanntes 3-Säulen-ModellExterner Link der Opferhilfe: Die Opfer einer Straftat bekommen unentgeltliche medizinische, psychologische und juristische Beratung, sie werden im Strafverfahren geschützt und erhalten vom Staat eine Entschädigung und Genugtuung, wenn sie vom Täter und Versicherungen nicht genügend entschädigt werden.

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Das Opfer kann die Beratung der Opferhilfe auch in Anspruch nehmen, ohne den Täter anzeigen zu müssen – diese fortschrittliche Regelung kommt besonders den Opfern von häuslicher Gewalt zu Gute.

Mit Volksrechten Missstände beheben

Dieses fortschrittliche Modell der Opferhilfe verdankt die Schweiz der direkten Demokratie: Die Beratungszeitschrift “Beobachter” erhielt in den 1970er-Jahren viele Anfragen von verzweifelten Opfern, die nach einer Gewalttat keine Unterstützung erhielten. Die Zeitschrift lancierte daher im Alleingang eine Volksinitiative zur Entschädigung der Opfer von Gewaltverbrechen – keine Partei, kein Verband und keine Interessengruppe unterstützten die Initiative.

Das Parlament nahm das Anliegen ernst und erarbeitete einen Gegenentwurf, der sogar noch weiterging als die Volksinitiative: Auch Opfer von fahrlässig begangenen Straftaten gegen Leib und Leben sollten staatliche Hilfe erhalten. Die Stimmbevölkerung nahm 1984 den Gegenvorschlag mit über 81 Prozent Ja-Stimmen an. 1993 trat schliesslich das OpferhilfegesetzExterner Link in Kraft.

“Dank der direkten Demokratie wurde das Thema aufs Tapet gebracht”, sagt Sandra Müller GmünderExterner Link, Leiterin der kantonalen Opferhilfestelle Zürich. Mit Hilfe der Volksrechte konnte ein Missstand aufgezeigt werden, so dass die Schweiz vom Entwicklungsland zum MusterschülerExterner Link avancierte. Inzwischen gibt es eine EU-RichtlinieExterner Link, welche die europäischen Länder zu einer Opferhilfe verpflichtet.

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Attentat von Luxor war zu teuer

Doch 2009 wurde das Opferhilfegesetz totalrevidiertExterner Link. Und zwar zu Ungunsten der Opfer im Ausland. Neu ist die Opferhilfe territorial ausgestaltet: Entschädigung und Genugtuung erhalten auch Touristen und Illegale, die in der Schweiz Opfer einer Straftat werden, nicht aber Schweizer und Schweizerinnen, die im Ausland Opfer einer Straftat werden.

“Das Attentat von Luxor war mit ein Auslöser für die Änderung”, sagt Müller Gmünder. Zur Erinnerung: 1997 starben bei einem Anschlag islamistischer Extremisten im ägyptischen Luxor 36 Schweizer Staatsangehörige, 10 wurden verletzt.

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Die Kantone mussten Entschädigungen von rund 100’000 Franken sowie Genugtuungen von etwa 2,5 Millionen Franken ausrichten. Das war den betroffenen Kantonen zu teuer – obwohl der Bund ihnen mit Abgeltungen zu Hilfe kam. Sie forderten in der Vernehmlassung zur RevisionExterner Link, dass Entschädigungen und Genugtuungen nach Straftaten im Ausland nicht mehr gewährt würden.

Keine Hilfe für Auslandschweizer

Auslandschweizer erhalten – wie bereits vor der Revision – keine finanzielle Unterstützung aus der Schweiz, wenn ihnen im Ausland ein Täter etwas antut. Schweizer Touristen, die im Ausland Opfer einer Straftat werden, erhalten immerhin noch eine kostenlose Beratung durch die Schweizer Opferhilfe – Auslandschweizer nicht.

Das hat auch für die Angehörigen von Auslandschweizern und Auslandschweizerinnen Folgen: “Wir erhalten bei Tötungsdelikten im Ausland – vor allem in Brasilien – immer wieder Anfragen von Angehörigen des Opfers in der Schweiz”, erzählt Müller Gmünder. “Doch diese fallen durch die Maschen, wir können ihnen nicht helfen.” Der Opferhilfe bleibt in solchen Fällen nichts anderes übrig, als die Betroffenen an das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) weiter zu verweisen.

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Lücken und Probleme in der Schweizer Opferhilfe

Entschädigung und Genugtuung wurden in den letzten zehn Jahren aus Spargründen sukzessive gesenkt.

Von den gerichtlich zugesprochenen Genugtuungszahlungen erhalten die Opfer oft nur einen Bruchteil.

Reiche Opfer bleiben auf Anwalts- und Therapiekosten sitzen, weil der Staat nur Bedürftige entschädigt und die Täter häufig kein Geld haben. 

Die Opferhilfestellen sind nur während Bürozeiten erreichbar, es gibt keinen Pikettdienst. 

Die Opferhilfe ist bei der Schweizer Bevölkerung noch recht unbekannt. Viele Opfer wissen nicht, dass sie sich dort Hilfe holen können.

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