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“Wie Alice im Wunderland”

Christina Aus der Au leitet als Präsidentin den Deutschen Evangelischen Kirchentag im grossen Reformations-Jubiläumsjahr 2017. kirchentag.de

Die Schweizerin Christina Aus der Au leitet als Präsidentin den Deutschen Evangelischen Kirchentag im grossen Jubiläumsjahr 2017. Mehrere hunderttausend Besucher werden dazu vom 24. - 28. Mai in Berlin und Wittenberg erwartet. Ein Porträt der Ostschweizer Theologin und Philosophin.

Mittlerweile läuft die Planung für das Grossereignis auf vollen Touren. Für die Thurgauer Theologin bringt ihre öffentliche Aufgabe eine Welt voller spannender und zuweilen unerwarteter Begegnungen mit sich. Wie “Alice im Wunderland” habe sie sich anfangs zuweilen gefühlt, sagt sie und lacht. Ihre Mitstreiter sind derweil voll des Lobes über sie: Offen und begeistert sei sie, kompetent und kommunikativ. “Genau die richtige Person für einen Job, in dem man alle überzeugen muss”, so ein Präsidiumsmitglied im Gespräch mit swissinfo.

Im Jahr 2007 erlebte Christina Aus der Au als Moderatorin einer Veranstaltung auf dem Kölner Kirchentag zum ersten Mal dessen Geist und Ausstrahlung. “Das hat mich total begeistert.” Im gleichen Jahr wurde sie als einzige Nicht-Deutsche in das 30-köpfige Präsidium gewählt, 2013 dann für sechs Jahre in den leitenden Vorstand. Dort bildet sie seither ein Trio mit dem früheren deutschen Aussenminister Frank-Walter Steinmeier, der am 12. Februar zum Bundespräsidenten gewählt wurde, sowie Andreas Barner, ehemals Vorsitzender des Pharmakonzerns Boehringer Ingelheim.

Die drei übernehmen nacheinander die Präsidentschaft des Kirchentages. Im gross gefeierten Jubiläumsjahr 2017 ist nun Aus der Au Präsidentin der Kirchentage in Berlin und Wittenberg.

Diskutieren, beten, feiern

Auf den Evangelischen KirchentagenExterner Link kommen Menschen unterschiedlicher Herkunft zum Diskutieren, Beten und zum Feiern zusammen. Staatschefs nehmen ebenso teil wie einfache Gemeindemitglieder, Nicht-Christen ebenso wie Gläubige. Kirche, Zivilgesellschaft, Politik, Kultur und Wirtschaft sollen hier den Raum zu einem unvoreingenommen Austausch über glaubensrelevante gesellschaftliche Fragen finden. Allein zum Schlussgottesdienst des letzten Kirchentags in Stuttgart im Jahr 2015 kamen 95’000 Besucher.

2017 wird ganz im Zeichen des 500-Jahr-Reformationsjubiläums stehen. Die Schweiz gedenkt erst in einigen Jahren ihrer Reformatoren Zwingli und Calvin. Und so ist die Eidgenossin Christina Aus der Au als deren Vertreterin zugleich auch eine Erinnerung daran, wie “lutherlastig” im Jubiläumsjahr das deutsche Bild der Reformation daher kommt. “Meinem Eindruck nach drehen sich viele Veranstaltungen um Luther. Er ist als Mensch einfach sehr gut vermarktbar”, sagt sie.

Calvin und Zwingli im Schatten

Dabei schwingt ein wenig Kritik mit, dass Luther zur alle überstrahlenden Gallionsfigur der Reformation erhoben wurde und seine Weggefährten bis heute in den Schatten stellt. Calvin und Zwingli haben es in der Konkurrenz um die öffentliche Wahrnehmung ungleich schwerer. “Aber sie gehören natürlich genauso dazu”, sagt Aus der Au.

Dass der Deutsche Evangelische Kirchentag das auch so sehe, zeige sich ja unter anderem in der Wahl Aus der Aus zur Präsidentin. “Es ist doch ein netter Twist, eine Schweizer Nicht-Lutheranerin an die Spitze zu wählen”, sagt sie. Und merkt sogleich schmunzelnd an, wie schweizerisch diese Begründung sei, weil sie ihre eigenen Fähigkeiten in den Hintergrund stelle.

“Ich wurde auch gewählt, weil ich persönlich mit meinem wissenschaftlichen Hintergrund und meiner theologischen Klugheit etwas zum Gelingen des Kirchentags beitragen kann”, ergänzt sie. Sie müsse sich erst daran gewöhnen, dass man hier klarer und selbstbewusster kommuniziere als sie es aus ihrer Heimat gewöhnt sei. “In Deutschland darf man seine Fähigkeiten auch herausstreichen.” Das sei einfach ein anderer Kommunikationsstil. “In der Schweiz würde man mir das umgekehrt als Arroganz auslegen.”

Ungewohnte Nähe von Politik und Kirche

“Du siehst mich”, lautet die Losung des 36. Kirchentags, und Aus der Au hält sie für gut gewählt. Denn Gott sehe auch jene, die nicht oder nicht mehr an ihn glaubten. Jene Menschen zu erreichen, liegt ihr besonders am Herzen. “Wir möchten ins Gespräch kommen.” Jemanden zu sehen, bewusst wahrzunehmen, sei dafür die Voraussetzung.

Der Kirchentag ist dazu prädestiniert. Auf ihm treffen sich seit Jahrzehnten jene, die den kritischen Dialog zwischen Religion und Gesellschaft schätzen, die gemeinsam ihren Glauben feiern wollen, aber auch solche, die einfach nur neugierig und auf der Suche sind.

Dabei würde die Nähe, die Politik und Kirche auf dem deutschen Kirchentag demonstrieren und die sich auch im Präsidium spiegelt, in der Schweiz so wohl nicht funktionieren, vermutet sie. In ihrer Heimat seien beide Seiten sehr um Distanz bemüht. “Die Schweiz ist säkularer als Deutschland.” Kirchentage seien dort eher eine binnenkirchliche Angelegenheit und Religion Privatsache. 

Für ihre Aufgabe reist Aus der Au regelmässig nach Berlin. Sie mag die Vielfältigkeit der Metropole sehr. “Man kommt dort so schnell mit den Menschen ins Gespräch.” In ihrem Wohnort Frauenfeld im Kanton Thurgau ist es im Vergleich dazu sehr beschaulich. Von dort pendelt die 50-Jährige zu ihren Arbeitsstätten an den Universitäten Zürich und Basel. Denn die Position als Kirchentagspräsidentin ist ehrenamtlich: In Basel arbeitet die Theologin und Philosophin als Dozentin an der Theologischen Fakultät, in Zürich ist sie seit 2010 Geschäftsführerin des Zentrums für Kirchenentwicklung der dortigen Universität. Dort widmet sie sich ähnlichen Aufgaben wie der Kirchentag: Wie lassen sich Theologie und gelebter Glaube zusammen bringen?

In Frauenfeld lebt Christina Aus der Au mit ihrem norddeutschen Mann und ihrer achtjährigen Tochter. “Die kommt derzeit leider etwas zu kurz”, sagt sie mit Bedauern. Ihr Amt bringt es mit sich, dass sie zwei Jahre lang viel unterwegs ist. Danach wechselt die Präsidentschaft und sie wird wieder mehr Zeit für sich und ihre Familie haben – und für ihre Hobbies. “Einen richtig schönen Krimi lesen, dazu bin ich schon lange nicht mehr gekommen.

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