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Künstlerisch und populär: Neue Direktorin bringt Locarno zurück zu den Wurzeln

Raphael Brunschwig, Chief Operating Officer, left, Lili Hinstin, Artistic Director, center, and Marco Solari, Festival President
(v.l.) Raphaël Brunschwig, operativer Leiter des Festivals, Lili Hinstin, künstlerische Leiterin, und Marco Solari, Festivalpräsident, bei der Programmpräsentation 2019. Keystone / Francesca Agosta

Lili Hinstin markiert ihr erstes Jahr als künstlerische Leiterin des Filmfestivals LocarnoExterner Link mit einem der kühnsten und aufregendsten Programme seit Jahren. Das Festival beginnt heute (Mittwoch).

Getreu seiner langjährigen Tradition als sorgfältig kuratiertes Schaufenster nicht nur für europäische, sondern auch für periphere Werke (Filme, die ausserhalb der europäischen Achse gedreht wurden), verspricht das diesjährige Festival einige Überraschungen und Veränderungen: Junge Filmemacher und experimentelle Werke erfahrener Regisseure nehmen einen prominenten Platz ein, ohne den Geschmack des grossen Publikums ausser Acht zu lassen.

Für die Hauptbühne mit den Open-Air-Abendvorstellungen auf der Piazza Grande mit ihren bis zu 8000 Sitzplätzen hatte Hinstin den Mut, dem Trend zu widerstehen, “Wohlfühl”-Filme ins Programm zu nehmen, die sich an ein breiteres Publikum wenden. 

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Einige Veränderungen

Sie stellte sich der Herausforderung, qualitativ hochstehende Filme zu präsentieren, die ein weites Spektrum des Publikums ansprechen können.

Dazu gehören Filme wie Quentin Tarantinos Once Upon a Time in … HollywoodExterner Link, der in Cannes Premiere hatte und dann vom Regisseur nochmals überarbeitet wurde; Diego MaradonaExterner Link, ein Dokumentarfilm über die dunklen Jahres des argentinischen Fussballers während seiner Zeit in Neapel, von Asif Kapadia, dem Regisseur des Films Senna; To the End of the EarthExterner Link des japanischen Kultgruselfilm-Regisseurs Kyoshi Kurosawa; der deutsch-österreichische Thriller 7500 von Patrick Vollrath, und, zur Eröffnung des Festivals MagariExterner Link, eine autobiografische Fiktion von Ginevra Elkann, der Enkelin des italienischen Grossindustriellen und jahrzehntelangen Fiat-Chefs Gianni Agnelli.

Um für noch mehr cinephiles Vergnügen zu sorgen, entschied sich Hinstin, die jeweils zweiten Vorstellungen des Abends auf der Piazza Grande in eine weitere kuratierte Sektion zu verwandeln, unter dem Titel “Crazy Midnight”. Gezeigt werden unter anderem Kultfilme des koreanischen Regisseurs Bong Joon-hoExterner Link und der US-Amerikaner Jack HillExterner Link und John WatersExterner Link.

Waters, der mit dem Pardo d’onore und einer ausgewählten Retrospektive für sein Lebenswerk geehrt wird, wird in einer Sondervorstellung auch einen seiner Lieblingsfilme präsentieren, King Vidors Show People (1928).

Hinstin änderte auch Titel und Rahmen der Experimentalfilm-Sektion: Aus “Signs of Life” wurde “Moving Ahead”, in einer Hommage an Jonas Mekas, den langjährigen Förderer von Experimentalfilmen und Gründer der New Yorker Anthology Film Archives, und selbst ein Kamerakünstler. Der neue Name bezieht sich auf Mekas’ Film As I Was Moving Ahead Occasionally I Saw Brief Glimpses of BeautyExterner Link (2000).

“Gender Bender”, eine neue Sektion, die der virtuellen Realität gewidmet ist, zeigt Werke aus der Schweiz, Kanada, Griechenland, der Ukraine und Frankreich. Diese wurden weniger aufgrund ihrer technologischen Leistung als ihrer “zeitgenössischen künstlerischen Perspektiven” ausgewählt, wie Hinstin erklärt. Diese Art von Werken soll in Zukunft am Festival wachsenden Raum einnehmen.

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Angebote für junge Talente

Seit vielen Jahren schon fördert das Festival auch parallele Programme für Jungtalente. “Locarno Academy” umfasst Programme für Nachwuchs-Filmemacherinnen und Filmemacher, Produzenten und Kritikerinnen. Neben Filmexplorer.ch, Film Bulletin, MUBI, Variety und Indiewire ist auch swissinfo.ch Medienpartner der Critics Academy (siehe Kasten).

Neu in diesem Jahr ist zudem ein Projekt unter dem Namen “Base Camp”. In einer alten Armeekaserne werden 200 kreative Talente (FilmemacherInnen, Kunstschaffende, Designer, DichterInnen etc.) im Alter zwischen 18 und 30 Jahren aus aller Welt einquartiert. Ihre Aktivitäten sind nicht verplant, sie werden aber vollen Zugang zu allen Veranstaltungsorten des Festivals und zu Vorgängen hinter den Kulissen haben.

Was genau dabei herauskommen wird, ist offen. Die neue Leitung des Festivals scheint jedoch absolut bereit, einige kreative Risiken einzugehen. Wir von swissinfo.ch werden genau hinschauen, um unseren Lesern und Leserinnen die besten Ergebnisse vorstellen zu können. 

Internationale Ausrichtung

“Swiss Panorama”, eine Sektion, die traditionellerweise dem Schweizer Film gewidmet ist, bleibt bestehen. Hinstin machte aber deutlich, dass die “Swissness” eines Films unter ihrer Leitung nicht einfach eine Garantie für dessen Selektion ist.

Hinstin sprach von der “beeindruckenden Qualität der Arbeit einer neuen Generation von Filmemachern in der Schweiz”; ihre Auswahl an Schweizer Filmen ist in unterschiedlichen Sektionen des Festivals zu sehen, Seite an Seite mit internationalen Werken. “Ein sehr kluger Schachzug”, finden Giuseppe Salvatore und Ruth Baettig, Gründer von Filmexplorer.chExterner Link, einer Online-Publikation mit Sitz in Basel.

Zu den Schweizer Filmen, die in Locarno gezeigt werden, gehören 21 Koproduktionen der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG), der Muttergesellschaft von swissinfo.ch. Viele befassen sich mit aktuellen Themen wie Migration, Diaspora und interkulturellen Fragen. So zum Beispiel O Fim do MundoExterner Link (Das Ende der Welt) des Genfer Regisseurs portugiesischer Herkunft, Basil da Cunha, der in der Sektion “Internationaler Wettbewerb” präsentiert wird.

Weiter gezeigt werden unter anderem Baghdad in my ShadowExterner Link von Samir, dem in Irak geborenen Zürcher Regisseur, und Shalom AllahExterner Link von David Vogel, in dem Recherchen über Schweizer, die zum Islam konvertieren, den Regisseur zu einer Auseinandersetzung mit seinen eigenen jüdischen Wurzeln führen.

swissinfo.ch nimmt Sie mit nach Locarno

swissinfo.ch hat sich in diesem Jahr mit der Critics AcademyExterner Link des Festivals Locarno zusammengetan. Diese ist ein Parallelprogramm, für das zehn junge Filmjournalistinnen und Filmjournalisten – vier aus der Schweiz und sechs aus dem Rest der Welt – für ein kritisches Eintauchen in das Festival ausgewählt wurden.

swissinfo.ch wird auf all seinen englischsprachigen Kanälen ausführlich über das Festival berichten: Sie können die wichtigsten Nachrichten, Backstage-Infos und Höhepunkte auf dem Liveblog auf unserer Website verfolgen; dazu kommen Texte, Videos und weitere Beiträge, die in einem speziellen Dossier aufgeschaltet werden. 

Beiträge zum Festival werden auch in den anderen Sprachen von swissinfo.ch – Deutsch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Portugiesisch, Arabisch, Russisch, Chinesisch und Japanisch – produziert.

Auf Instagram können Sie den täglichen Video-Feeds der Critics Academy folgen, mit Einblicken zu den Filmen und Kuriositäten aus Locarno. Auch auf Twitter und Facebook können Sie sich über neuste Entwicklungen informieren. Kommen Sie mit, schauen Sie rein!

(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

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