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Zweite Umfrage: Zustimmung für Initiative “Pro Service public” bröckelt

Das Stimmvolk wünscht sich anscheinend mehr Markt, aber auch mehr Konsumentenschutz. So interpretieren die Forscher von gfs.bern die knappe Ausgangslage bei der Initiative "Pro Service Public". swissinfo.ch

Initiative "Pro Service Public" mit unsicherem Ausgang, Initiative "für ein bedingungsloses Grundeinkommen" wird klar abgelehnt, jene zur Verkehrsfinanzierung eher Nein und Revision Asylgesetz eher Ja. Dies ist die Momentaufnahme der 2. Welle der SRG-SSR-Trendbefragung des Forschungsinstituts gfs.bern zu vier Vorlagen vom 5. Juni 2016.

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Wäre zwischen dem 13. und 21. Mai bereits abgestimmt worden, hätte die Volksinitiative “Pro Service Public” 46% Ja-Stimmen und 41% Nein-Stimmen erhalten. Gegenüber der ersten Umfrage in der zweiten Aprilhälfte sei eine “erhebliche Veränderung” festgestellt worden, wie Claude Longchamp, Politologe und Leiter des Forschungsinstituts gfs.bern, sagt. Damals hatten sich noch 12% mehr dafür und 15% weniger dagegen ausgesprochen, also eine Verschiebung der Gewichte um ganze 27%.

“Diese Entwicklung ist stärker als im Normalfall”, betont Longchamp denn auch. Seine Kollegin, die Politologin Martina Mousson, erklärt sich die starke Veränderung durch die Wirkung der Gegner-Kampagne. “Die Service-Public-Initiative startete mit grossen Sympathien. Die brechen nun ein, wo die Gegner ihre Argumente aufs Tapet bringen.”

Die Grundstimmung sei gekippt. Trotzdem sei die Meinungsbildung bei dieser Vorlage noch relativ offen, betonen die Forscher. So haben sich ganze 13% noch nicht entschieden, wie sie abstimmen wollen.

Die Initiative verlangt von der Eidgenossenschaft, bei den Grundleistungen nicht gewinnorientiert zu arbeiten und mit allfälligen Überschüssen nicht die allgemeine Bundeskasse zu finanzieren. Zudem sollen Führungskräfte von Bundesbetrieben nicht mehr verdienen als ein Bundesrat (Regierungsmitglied).

Interessant ist die Verschiebung in den Sprachregionen. Während die Zustimmung in der deutschsprachigen Schweiz zwischen der ersten und der zweiten UmfrageExterner Link recht stark abgenommen hat, konnte sie in der italienischsprachigen Schweiz während der gleichen Periode etwas zulegen. Trotz dieser unüblichen Veränderung der Stimmungslage im Tessin stünden “die Chancen für ein Nein klar höher”, kommentiert Mousson.

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Grundeinkommen chancenlos

Eindeutig hingegen scheint der Ausgang des Urnengangs über ein bedingungsloses Grundeinkommen, eine Idee, die im Ausland bereits im Vorfeld zu einem grossen Echo führte. Hier konnte zwar das Ja-Lager “völlig entgegen den Erwartungen” um 2% auf 26% zulegen, das Nein-Lager verlor einen Prozentpunkt und könnte gegenwärtig immer noch auf eine Ablehnungsrate von 71% zählen. Die Meinungsbildung sei bei diesem Thema bereits sehr früh ausgeprägt gewesen, so die Forscher von gfs.bern. Das zeigen die tiefen Quoten der Unentschlossenen von 4% in der ersten und 3% in der aktuellen Umfrage.

Dass das Ja-Lager leicht zulegen konnte, erklärt Mousson mit dem Protest-Effekt: Da eine Ablehnung an der Urne sowieso klar sei, würden wohl einige denken, dass ein Ja keine grossen Konsequenzen habe.

Bemerkenswert ist hier einzig, dass nun auch die Zustimmung der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger mit dem tiefsten Haushaltseinkommen von unter 3000 Franken pro Monat um 10% auf noch 31% eingebrochen ist. Der Grund dafür sei “schwierig abzuschätzen”, so Mousson. “Offensichtlich verspricht sich diese Bevölkerungsgruppe keine Verbesserung ihrer Situation durch die Initiative.”

Asylgesetz kommt wohl durch

Während Revisionen und namentlich Verschärfungen des Asylrechts im Normalfall von der Linken bekämpft und von der Rechten unterstützt werden, ist es diesmal gerade umgekehrt. Die nationalkonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) hat die Gesetzesrevision mit einem Referendum an die Urne gebracht. Mit dem revidierten Gesetz sollen Asylverfahren beschleunigt und Kosten reduziert werden.

Bei dieser Vorlage sind 60% (+1%) dafür, 29% (-1%) dagegen; eine stabile Ausgangslage, wie die Forscher betonen. “Das Potenzial der Nein-Sager ist gespalten”, betont Longchamp. Der Grund dafür sei, dass die “Parolentreue nicht einheitlich” sei, was bedeutet, dass ein wesentlicher Teil der befragten SVP-Wähler, nämlich satte 43%, ihrer Partei nicht folgen mag und ein Ja einlegen würde.

Es gebe laut der Umfrage gegenwärtig “kein tragfähiges Argument, das ein Nein stützt”, betont der Politologe. Zudem habe sich die Situation in der Asylfrage entschärft, was zusätzlich eine wichtige Rolle spiele. “Im Normalfall” also werde die Vorlage deshalb angenommen.

Knappes Nein für Verkehrsfinanzierung

Die Umfrage

Für die zweite Umfrage zu den Volksabstimmungen vom 5. Juni 2016 befragte das Institut gfs.bern zwischen dem 13. und 21. Mai 1419 Personen aus allen Schweizer Sprachregionen. Die Fehlerquote liegt bei +/-2,9 Prozentpunkten.

Die Umfrage im Auftrag der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG SSR), zu der auch swissinfo.ch gehört, untersuchte vier der fünf Vorlagen, über die am 5. Juni abgestimmt wird. Die SRG SSR erachtete eine Befragung zur Revision des Gesetzes über die FortpflanzungsmedizinExterner Link als überflüssig. Diese wird nach der Annahme des entsprechenden Verfassungsartikels vor einem Jahr mit 61,9% höchstwahrscheinlich ebenfalls angenommen.

Bei der vierten Vorlage schliesslich, die verlangt, die Einnahmen aus der Mineralöl-Steuer ausschliesslich für die Finanzierung der Strassen zu verwenden, erhielt das Nein-Lager leicht Auftrieb. Während bei der ersten Umfrage noch 42% dafür waren, sind es nun 40%, 49% (+2%) sind dagegen.

“Im Normalfall hätte der Ja-Anteil stärker zurückgehen sollen”, kommentiert Lukas Golder vom Institut gfs.bern. Allerdings rechnen die Forscher damit, dass die Ablehnungstendenz im Abstimmungskampf zunehmen wird, während die Zustimmung wohl in der Minderheit bleibe. Die Umfrage habe ergeben, dass es “keine wirklich überzeugenden Argumente auf der Ja- wie auch auf der Nein-Seite gebe”, so Golder weiter.

Hervorzuheben ist der Umstand, dass in der zweiten Umfrage in der italienischsprachigen Schweiz die Zustimmung zu dieser Vorlage um 10% zugenommen hat, während sie in den anderen Landesteilen zurückgegangen ist. “Hier könnte man von einer Protest-Stimmung sprechen”, kommentiert Golder und nimmt dabei Bezug auf die kantonale Abstimmung im Tessin über eine Einführung von Parkplatzgebühren bei Unternehmen und Einkaufszentren mit über 50 Parkplätzen, eine Massnahme zur Reduzierung des Verkehrs, insbesondere in der Grenzregion zu Italien.

Beteiligung etwas über Normwert

Bei der Befragung fanden die Forscher auch heraus, dass die Stimmbeteiligung in den verschiedenen Landesteilen recht unterschiedlich ausfallen könnte. Gesamtschweizerisch wollen 48% der Befragten ganz bestimmt an der Abstimmung teilnehmen. Ein leicht überdurchschnittlicher Wert.

Betrachtet man allerdings die verschiedenen Sprachregionen, liegt dieser Wert in der französischsprachigen Schweiz bei “unüblich” hohen 54%, in der Deutschschweiz bei 50% und in der italienischsprachigen Schweiz bei lediglich 38%.

Das Forschungsinstitut betont, dass es sich bei der Befragung wie immer um eine Momentaufnahme handle. “Die Ergebnisse können im Wellenvergleich allerdings auch als Trends interpretiert werden. Eine Prognose folgt daraus nicht automatisch”, heisst es im Bericht zur Umfrage.

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