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Zivilgesellschaft nähme Flüchtlinge eher auf als Regierungen

Die Bürger vieler Länder sind offener gegenüber Flüchtlingen als ihre Regierungen. Zu diesem Schluss kommt die NGO Amnesty International aufgrund einer Umfrage in 27 Ländern. Die Schweiz war nicht darunter. (Archivbild) KEYSTONE/AP/DARKO VOJINOVIC sda-ats

(Keystone-SDA) Bürger sind eher bereit als Politiker, Flüchtlinge willkommen zu heissen in ihrem Land, ihrer Stadt, ihrem Quartier oder ihrem Zuhause. Das zeigt eine weltweite Studie im Auftrag von Amnesty International (AI) über die Akzeptanz von Flüchtlingen.

27 Länder von allen Kontinenten sind in der Untersuchung enthalten, deren Resultate am Donnerstag in London veröffentlicht wurden. Die Schweiz ist nicht darunter. Der “Refugees Welcome Index” (Willkommens-Index für Flüchtlinge) basiert auf einer Umfrage der Strategieberatungsfirma GlobScan. Befragt wurden insgesamt 27’000 Menschen.

Gemäss der Studie zeigen die Chinesen, die Deutschen und die Briten die höchste Bereitschaft, Flüchtlinge aufzunehmen. Die Schlusslichter bilden Polen und Russen.

Weltweit gesehen würden 32 Prozent der befragten Menschen Flüchtlinge in ihrer Nachbarschaft willkommen heissen, 47 Prozent in der eigenen Stadt oder im Dorf und 80 Prozent in ihrem Land.

Die Menschen in 20 von 27 untersuchten Ländern (75 Prozent der Befragten) sagen, dass sie Flüchtlinge im eigenen Land willkommen heissen würden. Nur 17 Prozent der Befragten weltweit wollen keine Flüchtlinge im eigenen Land. In Russland sagte mehr als ein Drittel der Befragten, dass sie keine Flüchtlinge im Land wollen.

Regierungen sollen mehr tun

66 Prozent der Befragten stimmen weltweit der Aussage zu, dass die Regierungen mehr tun sollten, um Flüchtlingen zu helfen. In zahlreichen Ländern, die direkt von der aktuellen Flüchtlingskrise betroffen sind, fordern drei Viertel der Befragten, dass ihre Regierung noch mehr unternimmt, um Flüchtlingen zu helfen. (Deutschland 76 Prozent, Griechenland 74 Prozent, Jordanien 84 Prozent)

Hingegen wollen in Russland (26 Prozent), Thailand (29 Prozent) und Indien (41 Prozent) die befragten Menschen nicht, dass ihre Regierungen mehr unternehmen, um Flüchtlingen zu helfen.

Gemäss Amnesty International zeigt die Umfrage, dass die Mehrheit der Menschen weltweit eine deutlich grössere Bereitschaft zeigt, Flüchtlinge aufzunehmen, als bisher angenommen. Die Ergebnisse würden darauf hinweisen, dass die politische Rhetorik gegen Flüchtlinge an der öffentlichen Meinung vorbeigehe.

“Die Zahlen sprechen für sich selbst”, sagt Salil Shetty, Generalsekretär von Amnesty International. “Die Menschen würden Flüchtlinge willkommen heissen, aber die unmenschliche Antwort vieler Regierungen auf die Flüchtlingskrise geht an der Einstellung der eigenen Bevölkerung vorbei”.

Schweizer ähnlich wie Deutsche

Obwohl die Schweiz in der Studie nicht erfasst wurde, erinnert die Schweizer AI-Sektion daran, dass die Schweiz sich bezüglich der Zahl der Asylgesuche pro Einwohner gleich hinter Deutschland gesellt. In der Schweiz sind es 479 Gesuche pro 100’000 Einwohner, in Deutschland sind es 587, gemäss Eurostat-Zahlen vom November 2015.

“Das politische Klima erlaubt die Annahme, dass die Schweizer bereit wären, Flüchtlinge in ihrem Land, ihrer Stadt, ihrem Quartier und bei sich zuhause aufzunehmen”, sagte Nadia Boehlen, Sprecherin von AI Schweiz.

Amnesty International ruft die Regierungen dazu auf, 1,2 Millionen Flüchtlinge bis Ende 2017 neu anzusiedeln, um die Flüchtlingskrise zu lindern. Das ist deutlich mehr als die 100’000 Menschen pro Jahr, die einige Länder im Moment pro Jahr aufnehmen, aber nicht einmal ein Zehntel der weltweit 19,5 Millionen Flüchtlinge.

Die Regierungen, die sich am 23. und 24. Mai 2016 in Istanbul zum World Humanitarian Summit treffen, fordert AI dazu auf, ein neues, dauerhaftes Verfahren zu implementieren. Demnach solle die Verantwortung für die Flüchtlingshilfe und die Aufnahme von Flüchtlingen “gerecht” geteilt werden.

Dieser “Global Compact on responsibility sharing”, der von der UNO bereits am 9. Mai vorgeschlagen wurde, könnte dann bei einem UNO-Gipfeltreffen der Regierungschefs am 19. September verabschiedet werden.

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

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