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Alptransit: Ein Rekord im Berginnern

Die Arbeiter streben ein gemeinsames Ziel an. swissinfo.ch

Unter dem Gotthard-Massiv wird Tag und Nacht am längsten Eisenbahntunnel der Welt gearbeitet. Ab Dezember 2017 sollen Züge mit 250 Sachen durch die 57 Kilometer lange Röhre rasen und die Reisezeit zwischen Mailand und Zürich um eine Stunde verkürzen.

Helm, orange Schutzkleidung, Stiefel: Der Einstieg ins Innere des Berges beginnt in einem Container von Faido im Leventina-Tal (Tessin). Jeder Besucher der Alptransit-Baustelle erhält einen speziellen Rucksack. Er enthält Sauerstoff, um im Notfall 50 Minuten lang atmen zu können.

Alle, die als Besuchende in den Tunnel fahren, hoffen natürlich, dieses Gerät nie gebrauchen zu müssen.

Es geht los: Ein Kleinbus bringt die Besucher in den Tunnel. Es wird immer wärmer. Schliesslich sind es 28 Grad. Am Ende des steilen Zugangsstollens erreicht man eine Art Bahnhof – auf dem Niveau des neuen Tunnels. Hier steigen wir auf den kleinen Betriebszug um, der uns in Richtung Norden fährt.

Die Fahrt mit diesem Bähnlein dauert nochmals 20 Minuten. Dann geht es zu Fuss weiter bis zum Bohrkopf der Tunnelbohrmaschine (TBM). Sie ist ein wahres Monstrum von rund 400 Metern Länge, 3000 Tonnen Gewicht und einem Durchmesser von einem Dutzend Metern.

Die TBM durchbohrt den Fels zwischen den Zwischenangriffen von Faido und Sedrun. Rund acht Kilometer sind noch zu bohren, bis die letzte Wand fällt. Mit dem neuen Gotthard-Basistunnel unterstreicht die Schweiz ihre Pionierrolle im internationalen Tunnelbau.

Epochales Bauwerk

Die verantwortlichen Ingenieure sind optimistisch, raten aber zu Vorsicht. Auch wenn die Arbeiten nach Plan verlaufen, sind unliebsame Überraschungen nie auszuschliessen. In keinem anderen Bauabschnitt türmt sich mehr Fels über der Tunnelröhre auf als zwischen Faido und Sedrun. Und mit bis zu 50 Grad sind auch die Temperaturen im Inneren besonders hoch.

Die Besucher können selber erleben, wie gewaltig dieses Bauwerk ist. Es reicht, die Augen zur Decke zu erheben und daran zu denken, dass 2000 Meter Fels über einem lagern.

Schweizer Tradition

Die Schweiz kann auf eine lange Tradition zurückschauen, wenn es darum geht, in den Alpen die Verkehrswege zu beschleunigen und natürliche Hindernisse zu überwinden. Bereits 1708 wurde mit dem 64 Meter langen “Urnerloch” in der Nähe von Andermatt der Anfang gemacht. Es war der erste Tunnel für den Transit von Personen und Waren auf einer Alpenstrasse.

Fast 200 Jahre später schafft es auch die Eisenbahn, die Alpen zu durchqueren. 1882 wurde der Gotthard-Eisenbahntunnel eingeweiht. 10 Jahre lang hatte man daran gebaut. Fast 200 Menschenleben kostete dieses Bauwerk. Mit einer Länge von 15 Kilometern war der Gotthardtunnel für einige Jahre der längste Eisenbahntunnel der Welt.

Dieser Rekord wurde dann von einem anderen Schweizer Tunnel übernommen. Der 1906 eröffnete 19 Kilometer lange Simplontunnel übertraf den Gotthard um ganze 4 Kilometer. Bis in die 1980er-Jahre hielt der Simplontunnel diesen Rekord.

Grosses Interesse

Der Bau des vorläufig längsten Eisenbahntunnels der Welt stösst im In- und Ausland auf grosses Interesse. An unserer Führung nehmen auch fünf Journalisten des russischen Fernsehens teil.

Mit Hilfe eines Dolmetschers bombardieren sie Jens Classen, den Baustellenleiter von Faido, mit Fragen.

Sie wollen wissen, was das Werk kostet, ob die Marschtabelle eingehalten wird und welche geologischen Probleme es gibt. Der Dokumentarfilm über den Tunnel wird in ganz Russland ausgestrahlt.

Am nächsten Tag sind zwei Journalisten aus den USA zu Gast. Und kürzlich waren Kamerateams vom Discovery Channel und von National Geographic auf Tunnel-Inspektion. Jedes Jahr werden die Baustellen am Tag der Offenen Tür von Tausenden Besuchern besucht. Das gleiche gilt für die Visitor-Centers von Bodio und Erstfeld.

Insgesamt haben seit dem Beginn der Arbeiten im Jahr 1996 bis Juni 2008 mehr als eine halbe Million Menschen die Jahrhundertbaustelle besucht.

Ein Mehrwert für die Schweiz

Gemäss Alptransit-Sprecherin Monica Knapp stösst vor allem die Dimension des Projekts auf grosses Interesse im Inland: “Viele Schweizer sind stolz, dass ein Werk dieser Dimension in einem kleinen Land wie der Schweiz verwirklicht wird.”

Die Schweizer haben eben ein besonders inniges Verhältnis zu ihrer Eisenbahn. Nach den Japanern sind sie Vizeweltmeister im Bahnfahren. Jeder Bürger legt im Jahr zirka 2000 Kilometer mit dem Zug zurück.

Der Bau der Flachbahn durch die Alpen hat zudem eine grosse symbolische Bedeutung, da die Eisenbahn stets ein wichtiges Element für den Zusammenhang des Landes und den Zusammenhalt der einzelnen Sprachregionen war.

Über die Grenze hinaus

Mit dem Projekt der Neuen Eisenbahn-Alpentransversalen (Neat) verbindet sich auch die Hoffnung, die Luft- und Lebensqualität im Alpentraum zu verbessern, da man mehr Lastwagen auf den Zug verladen und auch Autofahrer im Nord-Süd-Verkehr zum Umsteigen bewegen möchte.

Nach unserem Tunnelbesuch geben wir in Faido unsere Schutzkleidung mitsamt Helm zurück. Im Umkleideraum fallen uns die Namen der Arbeiter an den Schränken auf.

Nur wenige Schweizer arbeiten im Inneren des Tunnels. Die Mineure stammen fast alle aus Deutschland, Österreich und Italien. Auch aus diesem Grund ist der Gotthard-Basistunnel ein kontinentaleuropäisches Werk.

Andrea Clementi, Faido, swissinfo.ch
(Übertragen aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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Neat

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Neue Eisenbahn-Alpentransversale (Neat) umfasst mehrere Grossprojekte zur Verbesserung des Eisenbahn-Transitverkehrs auf der Nord-Süd-Achse. Die beiden Hauptprojekte sind der Gotthard-Basistunnel (57 km) und der Lötschberg (35 km). Ziel: Verlagerung des Schwerverkehrs von der Strasse auf die Schiene. Die Projekte sind höchst umstritten, da das Gesamtbudget bereits mehrmals erhöht werden musste und die Fertigstellung in immer…

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Das Schweizer Volk hiess im Jahr 1992 mit 63,3% Ja-Stimmen den Bau einer Neuen Alpentransversalen (Neat) gut. Sie besteht aus den beiden Basistunnels am Gotthard und Lötschberg und den jeweiligen Zufahrtsrampen.

Der Lötschberg-Basistunnel verbindet die Kantone Bern und Wallis, ist 34,6 km lang und wurde am 15. Juni 2007 eröffnet.

Ab Dezember 2017 wird der Gotthard-Basistunnel mit 57 km der längste Eisenbahntunnel der Welt sein.

Die Neat wird als Flachbahn durch die Alpen durch den 15,4 km langen Monte-Ceneri-Basistunnel vervollständigt. Seine Inbetriebnahme ist für 2019 vorgesehen.

Die Kosten für die gesamte Neat könnten – inklusive Teuerung, Mehrwertsteuer und Zinsen auf Baukredite – 24 Mrd. Fr. erreichen. Sie wird finanziert durch die Schwerverkehrsabgabe LSVA (65%), Mineralölsteuer (25%) und Mehrwertsteuer (10%).

Nach der Inbetriebnahme des Gotthard-Basistunnels wird die Schweiz wieder über den längen Eisenbahntunnel der Welt zu verfügen. Im Moment steht Seikan in Japan (54 km) noch auf Platz Eins.

Der Gotthard-Basistunnel übertrifft auch andere wichtige Bauwerke wie den Eurotunnel zwischen Frankreich und England (53 km) oder den Strassentunnel Laerdal in Norwegen (25 km). Letzterer wurde 2000 eingeweiht und löste den Gotthardtunnel als längsten Strassentunnel der Welt ab.

Der Gotthard-Basistunnel wird auch die im Bau befindlichen Brennerbasistunnel (55km) und den Mont-Cenis-Basistunnel (53 km) übertreffen.

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