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Widerborstiger Landesvater endgültig verstummt

Der populäre Otto Stich blieb seinen Überzeugungen ein Leben lang treu. Keystone

Alt Bundesrat Otto Stich ist in der Nacht auf Donnerstag gestorben. Der populäre Politiker der Sozialdemokratischen Partei (SP) hatte von 1983 bis 1995 das Finanzdepartement geleitet. Stich litt seit Jahren an Herzproblemen.

Alt Bundesrat Otto Stich war ein Sozialdemokrat, der sich selbst treu blieb und als Finanzminister oftmals widerborstig war.

Kaum ein ehemaliger Landesvater war nach seinem Rücktritt derart oft in der Öffentlichkeit aufgetreten und hatte sich für oder gegen eine Sache ins Zeug gelegt wie der SP-Politiker aus dem solothurnischen Dornach.

Er engagierte sich in Interviews, als Redner am 1. Mai oder als Kampagnen-Unterstützer für ein gerechtes Steuersystem, für die Kapitalgewinnsteuer wie auch für ein konstruktives Referendum.

Hartnäckig und “einfach einfach”

Vehement verteidigte Stich den Service Public gegen eine überbordende Privatisierung. Auch zum Thema Gentechnologie meldete er sich zu Wort, und er engagierte sich gegen den aufkommenden Rechtsextremismus.

“Ich blieb einfach einfach”, so lautet der Titel seiner 2011 erschienenen Autobiografie. Stich war ein populärer, beim Volk beliebter Bundesrat. Er genoss auch den Respekt seiner politischen Gegner.

Dem Bundesrat gehörte Stich von 1983 bis 1995 als Vorsteher des Eidgenössischen Finanzdepartementes (EFD) an. 1988 und 1994 war er Bundespräsident. Sein Einstieg in die Landesregierung war von Misstönen begleitet.

Das Parlament wählte ihn am 7. Dezember 1983 anstelle der offiziellen SP-Kandidatin Lilian Uchtenhagen zum Bundesrat. Stich galt als “Ladykiller” und provozierte bei seiner Partei heftige Diskussionen um die Regierungsbeteiligung.

In den Folgejahren etablierte sich der Handelslehrer und promovierte Staatswissenschafter Stich aber als beharrlicher – und auch von politischen Gegnern respektierter – eidgenössischer Kassenwart.

Als Finanzminister musste er die Trendwende zu hohen Haushaltsdefiziten erleben. Er konnte aber mit der Annahme der Treibstoffzoll-Erhöhung, des Beitritts zu den Institutionen von Bretton Woods und der Mehrwertsteuer auch grosse Abstimmungserfolge verbuchen.

Die Einführung der Mehrwertsteuer war für Stich mit einer enormen

Arbeitsbelastung verbunden. Nach einem Kollaps während einer Bundesratssitzung 1994 musste ihm ein Herzschrittmacher eingesetzt werden. Im Sommer 1995 warf er das Handtuch, als er das bundesrätliche Budget wegen Differenzen über die Buchführung nicht mittragen wollte.

Opfer einer Abrechnung?

Die grösste Kritik musste Stich ein Jahr nach seinem Rücktritt einstecken, als ihn eine Parlamentarische Untersuchungskommission als Hauptschuldigen am Debakel in der Pensionskasse des Bundes (PKB) bezeichnete. Der alt Bundesrat sah sich durch diese Kritik unfair behandelt und als Opfer einer politischen Abrechnung.

Nach seinem Rücktritt war Stich in verschiedenen Stiftungen aktiv. Er übernahm das Patronat für eine Stiftung, die das denkmalgeschützte “Aarberger-Haus” in Ligerz BE am Bielersee für die Ausbildung von Jugendchören herrichtete. Weiter präsidierte er während mehreren Jahren die Stiftungen des Klosters Dornach und des Forschungsinstitutes für biologischen Landbau (FiBL) in Frick AG.

Otto Stich litt seit Jahren an Herzbeschwerden. Im Herbst 2011 musste er sich einem Eingriff an den Herzklappen unterziehen.

Beileid der Regierung

Der Bundesrat nimmt Anteil an der Trauer über den Tod von Otto Stich und spricht der Familie sein herzliches Beileid aus. Der ehemalige Bundespräsident werde als markige, aber herzliche Persönlichkeit in Erinnerung bleiben, heisst es in einer Mitteilung.

Die Landesregierung erinnert an politische Höhepunkte, die Stich zunächst mit seiner Ernennung zum Gemeindeammann von Dornach erlebte, später mit der Wahl in den Nationalrat und schliesslich in den Bundesrat.

Stich habe schon nach kurzer Zeit seiner Amtsführung Freunde und Kritiker für sich einzunehmen vermocht. Überzeugt habe er vor allem mit Hartnäckigkeit und Sachverstand, mit welchem er sich für seine Überzeugungen einsetzte, schreibt der Bundesrat.

“Umsichtigster Finanzminister”

Die SP Schweiz hat “tief betroffen” auf den Tod ihres ehemaligen Bundesrats reagiert. Parteipräsident Christian Levrat bezeichnete ihn als einen der “glaubwürdigsten und volksnahesten Bundesräte der Geschichte”.

Stich “war der umsichtigste Finanzminister, den ich erlebt habe”, lässt sich Levrat in einem SP-Communiqué weiter zitieren. Zudem würdigte die Partei Stich als aufrechten Sozialdemokraten.

Gemäss einem Rückblick der SP auf den Werdegang ihres verstorbenen Mitglieds startete Stich 1953 als Mitglied der Rechnungsprüfungskommission in Dornach SO.

1957 wurde Stich Gemeinderat und Gemeindeammann. 1963 folgte der Schritt in den Nationalrat.

Im Nationalrat machte Stich vor allem in Wirtschafts- und Finanzfragen von sich reden.

Ab 1971 war er auch Präsident der Wirtschafts- und Finanzkommission. 1970 trat er bei Coop Schweiz die Stelle als Personalchef an und wurde später Mitglied der Direktion.

In den Bundesrat gewählt wurde Stich 1983 anstelle der offiziellen Kandidatin Lilian Uchtenhagen. Er ersetzte dort Willy Ritschard, der einige Wochen zuvor gestorben war – kurz nach dessen Rücktrittsankündigung.

In den Jahren 1988 und 1994 war er Bundespräsident.

Nach seinem Rücktritt 1995 meldete sich Stich hin und wieder “mit scharfsinnigen Analysen” zu Wort.

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