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Am Cern-Beschleuniger wird eifrig repariert

Der Alice Detektor hat 20 m Durchmesser und 20 m Tiefe. swissinfo.ch

Im September hätten die Kernphysiker des Cern eigentlich den ersten Geburtstag der Anlage feiern wollen - mit ersten Resultaten aus ihrem Teilchenbeschleuniger Large Hadron Collider (LHC).

Doch statt mit Feierlichkeiten haben sie viel Zeit damit verbracht, den Collider zu reparieren. Und die Maschine, tief unter der Erdoberfläche der Genfer Vororte und des benachbarten Frankreichs versteckt, bleibt der möchtegern-weltgrösste Teilchenbeschleuniger.

Die Maschine, als stärkste ihrer Art, war gebaut worden, um die Bedingungen, wie sie zu Beginn des Universums herrschten, zu rekonstruieren. Bei der Einweihung erhofften sich die Erbauer einen besseren Einblick in die ersten Anfänge allen Seins.

Doch bisher erwies sich das funktionelle Leben des Beschleunigers als sehr kurz: Eine Woche nach dem ersten Beschleunigen der Teilchen stieg der LHC bereits wieder aus.

Er liess damit Tausende von Wissenschaftern im Stich, die auf die Daten aus dem Collider erpicht waren.

“Natürlich war die Enttäuschung sehr gross”, sagt die Cern-Experimental-Physikerin Edda Gschwendtner, “denn jedermann war interessiert an den neuen Daten.”

Das Cern erwartet, den Startknopf innert zwei Monaten zum zweiten Mal drücken zu können – bleibt aber vorsichtig. Der LHC soll vorderhand mit einer Spannung von nur 3,5 Billionen Volt laufen – der Hälfte dessen, war er eigentlich können sollte.

“Der Collider wird nicht zu einem Weissen Elefanten”, beruhigt Cern-Sprecher James Gillies swissinfo.ch. Mit dem Weissen Elefanten meint er etwas zwar Wertvolles, aber Nutzloses.

Mit Blick auf November

“Wir peilen nun den November für den Neustart an”, sagt Gillies. Er gibt zu, dass die Erwartungen letztes Jahr sehr hoch waren.

Gschwendtner und andere Wissenschaftler machen geltend, dass es sich beim LHC gleichzeitig um einen Prototyp und um ein Endprodukt handle. “Der LHC ist eine Art Flaggschiff. Nie zuvor hat es einen derartigen Beschleuniger gegeben.”

Im universitäts-ähnlichen Cern-Campus bei Genf herrscht die Meinung vor, dass der Teilchen-Beschleuniger in voller Kraft fahren wird – aber zu gegebener Zeit.

“Die Dinge werden sich mit der Zeit ergeben”, meint der technische Koordinator Werner Riegler. “Ob das schon im November der Fall sein wird, ist schwierig zu sagen.” Mit Blick auf die zahlreichen Komponenten, die beim LHC zusammen kämen, werde klar, dass es noch einige Zeit brauche.

Die Koordination der Alice Detektoren umfasst Hunderte von Millionen Sensoren. Diese sind in der betonierten Basis eingebaut. Alice sollte Daten von den Partikel-Kollisionen sammeln.

Big Bang

Gemäss Riegler arbeiten rund 1000 bis 2000 Leute zusammen: “Die gesamte Technologie und alle Detektoren wurden nur für diese Anwendung konstruiert. So eine Maschine können Sie nicht einfach als Serienprodukt kaufen.”

Hochgefahren auf sein Maximum von 7 Billionen Volt, lässt der LHC den anderen bestehenden Beschleuniger in der Nähe von Chicago als Zwerg erscheinen: Der 40-jährige Tevatron bringt es nur auf eine Billion Volt.

Um die Energie an die mehr als tausend Magnete im Ring um den LHC zu transportieren, braucht es Kabel von kupferüberzogenen Niobium-Titanium-Fasern. Diese werden mit flüssigem Helium auf eine Temperatur von knapp über dem absoluten Gefrierpunkt abgekühlt. Bei normalen Temperaturen wären sie nicht imstande, den Strom zu transportieren.

“Eine neue Maschine am Limit des bestehenden Wissens drückt nicht nur die Grenze im Sachverstand weiter hinaus, sondern auch die Grenze der Technologie”, sagt Gillies. Und das Kühlen einer 27 km langen Röhre auf eine tiefere Temperatur als sie im Weltall herrscht, ist nicht einfach. Als das flüssige Helium schon bald nach dem ersten Start des Beschleunigers ein Leck fand, mussten 53 Magnete ausgebaut werden.

Jedes ist mehr als 10 m lang und hat einen einzigen Platz entlang der Ringröhre. Und jedes Magnet musste zur Reinigung an die Oberfläche transportiert werden.

Dan Brown hat Cern popularisiert

Das LHC habe es fertig gebracht, so Gillies, selbst ein ehemaliger Physiker, dass sich das Interesse an Kernphysik stark verbreitet habe. Dank Bestseller-Schriftstellern wie Dan Brown wurde das Cern für viele Leute ein konkreter Begriff. Und zahlreiche Medien nahmen das Thema ebenfalls auf.

Die Medienstelle des Cern habe im vergangenen Jahr rund 800 Besuche von Journalisten erhalten – doppelt so viele wie normalerweise.

Viele Leute befürchteten, dass das LHC durch die Partikel-Beschleunigung ein Schwarzes Loch erzeugen könnte, das den ganzen Planeten Erde zerstört. In Hawaii kam es gar zu eine Anklage, die aber keinen Erfolg hatte.

Gillies sagt, dass der erste Beschleuniger des Cern, der Proton Synchrotron, nach 50 Jahren immer noch funktioniert.

Zur Zeit sind die Physiker intensiv mit dem Studium kosmischer Strahlen beschäftigt und bereiten die Wiederinbetriebnahme des Colliders vor. “Gefordert sind im gegenwärtigen Zeitpunkt in erster Linie die Konstrukteure des Beschleunigers”, sagt Riegler.

Justin Häne, Genf, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Englischen: Alexander Künzle)

Im Teilchen-Beschleuniger LHC sollen zwei Strahlen von Protonen gegenläufig zirkulieren.

Prallen sie aufeinander, sollten neue Teilchen entstehen wie das Higgs-Teilchen, das bisher aber erst in der Theorie existiert.

Das Aufeinanderprallen der Protonenstrahlen simuliert den Big Bang, den Urknall.

Die Strahlenbündel enthalten Milliarden von Protonen. Sie bewegen sich leicht unter Lichtgeschwindigkeit und werden durch Supermagneten geleitet.

Die Bündel bewegen sich durch zwei Vakuum-Ringe. An vier Punkten kollidieren sie – im Zentrum der Experimente.

Die Detektoren finden bis 600 Mio. Kollisionen pro Sekunde. Daraus ergeben sich Daten, die vielleicht Auskunft geben über neue Teilchen.

Das Magnetsystem enthält mehr Eisen als der Eiffel Turm.

Das Cern wurde 1954 von 12 Staaten inklusive der Schweiz gegründet. Heute sind 20 Länder Mitglieder. Ein Cern-Wissenschaftler hatte auch das Internet erfunden.

Die Kabel für den LHC enthalten 6300 superleitende Niobium-Titanium-Fasern von 0,006 mm Dicke. Insgesamt erstrecken sich die Kabel also mehr als zehn Mal über die Distanz der Erde bis zur Sonne.

Der LHC (Beschleuniger) birgt auch den weltgrössten Kühlschrank. Dessen Temperatur liegt unter jener im Weltall.

Die jährliche Datenmenge, die der LHC erzeugt, hat auf 100’000 DVDs Platz.

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