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Marschhalt beim E-Voting: Was bedeutet das für die Fünfte Schweiz?

E-Voting im Kanton Genf: Wahlunterlagen für die Wahlen 2015. Keystone / Martial Trezzini

7% der stimmberechtigten Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer forderten in einer Petition ein E-Voting-System. Es gibt viele, die sich diskriminiert fühlen. Aber mindestens ebenso viele, die sich nicht in die Schweizer Politik einschalten wollen. Die Fünfte Schweiz wird diesen Schlag verdauen. 

Angesichts der hohen Kosten, peinlichen Pannen und der potentiellen Schäden ist es in den letzten Monaten immer schwieriger geworden, der Schweizer Bevölkerung den Nutzen des E-Votings zu erklären. Es gab hier kein dringendes Problem, das mit E-Voting kleiner geworden worden wäre. Profitiert hätten in erster Linie die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer.

Diese stellen einen Zehntel der Schweizer Bevölkerung, es sind rund 760 000 Staatsbürgerinnen und Staatsbürger. Ein Viertel von ihnen haben sich als Stimmende registriert. Hunderte, vielleicht Tausende Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer sind aber von der Schweizer Demokratie abgeschnitten, weil das Hin- und Hersenden von Couverts auf dem Postweg bei ihnen zu langsam funktioniert.

 “Alle Bürgerinnen haben die gleichen Rechte”

Darum kämpft die Auslandschweizer-Organisationen (ASO) seit Jahren an vorderster Front für das E-Voting. Dass diese Bemühungen nun jäh gestoppt werden, ist für die betroffenen Auslandschweizer ärgerlich. Die ASO sieht sie auch eines Grundrechts beraubt: Sie sind von demokratischen Prozessen ausgeschlossen, diskriminiert. “Alle Bürgerinnen und Bürger haben die gleichen Rechte – egal ob sie in der Schweiz oder im Ausland wohnen”, betonte ASO-Direktorin Ariane Rustichelli immer wieder.

Erst im vergangenen Jahr hat die ASO eine Petition eingereicht, um in Bern Druck auszuüben: 11’500 Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer hatten unterschrieben. Das sind 7% der Stimmberechtigten im Ausland, aber nur 1,5% aller Schweizerinnen und Schweizer, die im Ausland wohnen. Es gibt viele, die sich diskriminiert fühlen – und mindestens ebenso viele, die sich nicht in die Schweizer Politik einschalten wollen, wenn doch Haus und Steueramt in einem anderen Land stehen. 

Der Marschhalt ist auch eine Chance

Die ASO reagierte umgehend “konsterniertExterner Link“. Jahre des politischen Lobbyings scheinen vernichtet, ein langer Kampf ist verloren. Aber der Entscheid des Bundesrats ist auch eine Chance.

E-Voting liegt auf Eis, der Druck zur baldigen und breiten Einführung besteht nicht mehr. Andere Lösungen sind bereits aufgegleist – etwa der Versand des Abstimmungsmaterials auf elektronischem Weg und die E-Identität. Diese wird von Expertinnen und Experten als Grundstein für allfällige neue Optionen beim E-Voting angesehen.

Bundeskanzler Walter Thurnherr informiert mit Danielle Gagnaux-Morel, Staatskanzlerin des Kantons Freiburg, dass der Bund seine Bemühungen zur Einführung von E-Voting einstellt. Keystone / Anthony Anex

Vor allem aber nimmt der Entscheid des Bundesrats den Gegnerinnen den Wind aus den Segeln. Ihre radikalen Moratoriums-Forderungen hätten ein sicheres Ende des E-Votings auf Jahrzehnte bedeutet. Das wäre schlimmer gewesen. Ein Ja zum Moratorium wird für sie nun schwieriger zu erreichen.

Sorge um die direkte Demokratie

Gleichzeitig ist es der Hartnäckigkeit und Präzision dieser Kritikerinnen und Kritiker zu verdanken, dass sie auf die Risiken des E-Votings aufmerksam machten. Dieser Job ist nicht einfach, etwa wenn es darum geht, zu erklären, warum E-Banking sicher sein kann, E-Voting aber nicht. Was man den Gegnern auch zugutehalten muss: Es ist nicht schlechter Wille gegenüber Auslandschweizerinnen und Auslandschweizern, was sie antreibt, sondern Sorge um die Integrität der direkten Demokratie.

Dieses wertvollste Gut der Schweiz mit modernen Lösungen auszustatten, bleibt vorderhand möglich. Die Auslandschweizer brauchen aber noch viel Geduld. Krypto-Expertinnen scheinen sich heute eins, dass das Internet nicht die geeignete Plattform sein kann, wenn Sicherheit das Kriterium ist. Uneins sind sie in der Frage, ob die Blockchain-Technologie die richtige Lösung bietet. 

Im Ausland leben heisst: abgeschnitten sein

Etwas ging in den bisherigen Diskussionen um Technik und Demokratie vergessen, das Selbstverständliche. Im Ausland leben heisst auch heute oft noch: abgeschnitten sein. Wer die Schweiz verlässt, verzichtet auf die Schweizer Infrastruktur. Das ist völlig klar in Bezug auf die meisten Annehmlichkeiten dieses Landes: Im Ausland gibt es kein Schweizer Trinkwasser, keine Schweizer Bahn und kein Schweizer Gesundheitssystem.

Was aber ist mit der Demokratie? Der Bund unternimmt grosse Anstrengungen, jeden einzelnen Staatsbürger, jede einzelne Staatsbürgerin an den demokratischen Entscheiden seiner Heimat teilhaben zu lassen. Er liefert Informationen und Abstimmungsunterlagen in alle Welt. Angewiesen ist er dabei auf fremde Infrastruktur, auf die Postunternehmen der Länder dieser Erde.

Es war nicht zu stemmen

Mit der Einführung von E-Voting hätte der Bund dafür auch eine eigene Schweizer Infrastruktur zur Verfügung gestellt. Wie kühn dieses Unterfangen war, zeigt die Tatsache, dass die Schweizer Post dafür auf Lösungen einer spanischen Firma zurückgreifen musste.

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​​​​​​​Sicher war diese nicht, aber teuer. Zu teuer war auch die Lösung, die der Kanton Genf aus eigener Kraft entwickelt hatte. Sowas zu bauen, ist das eine. Das Gebaute dann in einem Umfeld zu unterhalten, das ständig neuen Angriffstechnologien ausgesetzt ist: Terra incognita. Es war nicht zu stemmen.

Am politischen Willen und Goodwill für die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer hat es nicht gefehlt. Das Ende kam erst mit der Erkenntnis, dass E-Voting mit den heutigen Techniken ein ernstzunehmendes Risiko für die direkte Demokratie der Schweiz darstellt. Dieser Preis hätte das Volk hier kaum bezahlt.

So reiht sich ein funktionierendes Abstimmungssystem weiterhin ein in die vielen Annehmlichkeiten der Schweiz, die man verlässt, wenn man wegzieht. Einige bedauern das, einige fühlen sich diskriminiert oder ärgern sich.  Aber viele sehen dies auch entspannt: Sie verzichten ganz selbstverständlich – selbst auf das Beste, was die Schweiz zu bieten hat.

 

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