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Schweizer Hightech gegen gefälschte Medikamente

Serge Rudaz, einer der Väter des Apparats. swissinfo.ch

Handel und Einnahme gefälschter Medikamente sind eines der grossen Probleme für das Gesundheitswesen in Entwicklungsländern. Ein von drei Schweizer Universitäten entwickelter Apparat zur Erkennung von Falsifikaten könnte das Leben von Tausenden retten.

“Das Phänomen gefälschter Arzneimittel hat für die Bevölkerung in den ärmsten Ländern dieser Erde katastrophale Dimensionen angenommen. Vor einigen Jahren haben wir uns daher überlegt, mit unserem Wissen und unseren technologischen Möglichkeiten diesen Leuten zu helfen“, sagt Claude Rohrbasser, der mittlerweile pensionierte Chef des Departements für Industrietechnologie an der Ingenieur- und Architektenschule in Freiburg.

Das Freiburger Institut hat zusammen mit den Universitätsspitälern von Genf und Lausanne sowie den Pharmakologie-Abteilungen der Universitäten Genf und Lausanne ein günstiges System entwickelt, mit dem innerhalb weniger Minuten festgestellt werden kann, ob ein Arzneimittel gefälscht ist. Im Jahr 2008 stand der erste Prototyp namens ECB (L’électrophorèse capillaire budget) bereit.

“Die auf dem Markt verfügbaren Geräte kosten mindestens 100‘000 Franken. Für einen ECB reichen 10‘000 Franken. Für diesen Betrag lassen sich Sponsoren finden, während es für 100‘000 Franken wesentlich schwieriger wäre“, sagt Claude Rohrbasser.

Ein einfaches System

Trotz seines komplizierten Namens stellt dieser Apparat wahrscheinlich die bisher einfachste und effizienteste Lösung dar, um organische Zusammensetzungen wie Medikamente, Proteine und  Aminosäuren auf ihre Bestandteile hin zu analysieren. Das System ECB erlaubt die Analyse von rund 80% von 200 Arzneimitteln, die von der Weltgesundheits-Organisation (WHO) als grundlegende Pharmaka anerkannt sind.

“Wir hatten uns als Ziel gesetzt, ein extrem robustes und möglichst einfaches System zu entwickeln. Und dies, weil wir das Problem der Ersatzteile und der Schulung von Personal vermeiden wollten“, sagt Serge Rudaz, Dozent für pharmazeutische Wissenschaften an der Universität Genf.

Ein weiterer Vorteil von ECB liegt in der Tatsache, dass nur ein Minimum von Lösungsmitteln für eine Analyse nötig ist – ein Anteil von einem  Millionstel auf einen Liter. “In den vergangenen  Jahren ist es aber schon vorgekommen, dass die notwendigen Lösungsmittel für diese Analysen auf dem Markt nicht mehr erhältlich waren oder extremen Preisaufschlägen unterlagen. Für die Gesundheitsbehörden in Entwicklungsländern wurden sie praktisch unerschwinglich“, so Serge Rudaz.

Gemäss Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) stimmen weniger als 20% der gefälschten Arzneimittel mit dem Originalprodukt überein beziehungsweise sind nur anders verpackt als das Original.

In mehr als 80% der Fälle stimmen die gefälschten Medikamente nicht mit den Angaben überein. Sie können somit die Gesundheit von Patienten schwer gefährden.

Bei gravierenden Fälschungen zeigt sich, dass in 32% der Fälle überhaupt keine Wirkstoffe im Pharmakon enthalten sind, in 21% der Fälle weicht der Wirkstoff von der angegebenen Substanz  ab, in 20% ist der Wirkstoff unzureichend und in 8% der Fälle können Verunreinigungen festgestellt werden.

Geschwindigkeit ist entscheidend

Die Analyse mit diesem System dauert nur zirka 20 Minuten. Das zu untersuchende Arzneimittel wird zuerst in Wasser aufgelöst. Dank eines elektrischen Impulses wird dann eine kleine Quantität der Substanz durch ein haarfeines Röhrchen gespritzt , daher die Bezeichnung “capillaire“.

Ultraviolette Strahlen ermöglichen es, die Durchflussgeschwindigkeit  des Pharmakons zu messen. Diese wird auf einem Computer erfasst. “Das ECB-System kann nicht die Bestandteile eines Arzneimittels eruieren, aber auf Grund der Durchflussgeschwindigkeit ist es möglich herauszufinden, ob es sich um das Originalprodukt handelt oder nicht. Jede Arznei hat eine spezifische Eigenschaft und damit eine unterschiedliche Geschwindigkeit“, sagt Rudaz.

Die Universitätsinstitute haben bisher ein Dutzend ECB-Apparate entwickelt. Die ersten drei Geräte werden im Nationalen Labor für Gesundheit in Bamako (Mali) eingesetzt, von der Universität Dakar (Senegal) und von den Gesundheitsbehörden in Phnom Penh in Kambodscha. Weitere Projekte sind in Kongo, Ghana und in der Elfenbeinküste vorgesehen.

Dramatische Folgen

In diesen Ländern sind sehr viele gefälschte Medikamente im Umlauf. In den meisten Fällen beinhalten diese Arzneimittel wenige oder überhaupt keine Wirkstoffe, die mit den angegebenen Daten übereinstimmen. Gemäss der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die Verabreichung dieser Medikamente Hunderttausende von Todesfällen zur Folge. Allein 200‘000 Tote wegen Malaria.

Ein weiteres Problem sind verunreinigte Medikamente, die hauptsächlich aus Asien stammen. “Solche Arzneimittel sind Gift für die Nieren, und wir haben in armen Ländern eine Zunahme an Patienten, die eine Dialyse benötigen“, sagt Claude Rohrbasser.

“Vor zwei Jahren besuche ich das Dialyse-Zentrum des Spitals von Bamako. Ein Dutzend Patienten befand sich im Bett. Der Chefarzt sagte mir: ‘Diese Patienten werden innerhalb einer Woche sterben: Ich habe keine Filter für die Dialyse mehr .’ – Das ist eine weitere Kehrseite der gefälschten Medikamente.“

Lücken im System

Der Handel mit gefälschten Medikamenten hängt eng mit den Lücken des gesundheitlichen Versorgungssystems in den ärmsten Ländern zusammen. Dies gilt vor allem für ländliche Gebiete.  Viele Leute erwerben diese Arzneimittel von fahrenden Händlern, die von Dorf zu Dorf ziehen.

“Dazu kommen die geringen finanziellen Ressourcen. In vielen afrikanischen Ländern kaufen die Leute ein oder zwei Tabletten, in der Hoffnung auf Heilung. Und häufig erwerben sie diese auf dem Markt, weil es günstiger ist als in der Apotheke oder im Spital“, so Rohrbasser.

Aber auch die offiziellen Verkaufskanäle sind nicht problemlos. Politische Turbulenzen und Kriege, wie zurzeit in Mali, schwächen das bereits schwache System der Arzneimittelkontrolle noch weiter. “Wir wollen nicht die Polizei spielen oder den Zoll ersetzen, sondern den Behörden und Universitäten ein Gerät zur Verfügung stellen, das ihnen die Identifizierung gefälschter Produkte erlaubt“, sagt Claude Rohrbasser.

Dieser pragmatische Ansatz wird von Serge Rudaz geteilt. “Wir können sicherlich nicht das ganze Problem der Fälschungen in den betroffenen Ländern lösen, aber wir geben ein Signal, dass sich unsere Universitäten und die Schweiz  des Problems bewusst sind.”

(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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