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“Ich versuche, nicht zu zynisch zu werden”

In London werden 2012 die am meisten getesteten Spiele der Olympischen Geschichte stattfinden. Keystone

Für die Dopingjäger haben die Olympischen Spiele in London schon begonnen. So auch für Martial Saugy, den Leiter des Lausanner Anti-Doping-Labors. Seine Mitarbeiter werden in London helfen, täglich bis zu 400 Proben auszuwerten - Olympischer Rekord.

Seit vielen Jahren gehört der Schweizer Martial Saugy weltweit zu den führenden Experten im Kampf gegen Doping.

So war er wesentlich an der Entwicklung des biologischen Passes für Athleten beteiligt, der heute etabliert ist. Sein Labor in Lausanne ist offiziell von der Wada akkreditiert, um Dopingproben auszuwerten.

Im Interview mit swissinfo.ch spricht der Biochemiker auch von Multidrogen-Cocktails, versteckten Motoren in Rennrädern, und er äussert sich zur Frage, ob die Wissenschafter den Kampf gegen gedopte Athleten je gewinnen können.

swissinfo.ch: Freuen sie sich auf die Olympischen Spiele, oder betrübt es Sie eher, weil fast täglich Athleten positiv getestet werden?

Martial Saugy: Ich bin jeweils sehr aufgeregt vor Olympischen Spielen. Nach einem 20-jährigen Kampf gegen Doping hat sich meine Einstellung gegenüber dem Sport verändert. Aber ich mag den Sport – aktiv und passiv.

swissinfo.ch: Welches sind die wichtigsten Entwicklungen im Kampf gegen Doping seit den letzten Sommerspielen 2008 in Peking?

M.S.: Unmittelbar nach Peking haben wir einige Analysen wiederholt und in 10 Proben Cera entdeckt, eines dieser neuen EPOs (Hormone, welche die Produktion roter Blutkörperchen anregen). Top-Athleten wie Rashid Ramzi, der über 1500m Gold gewann, konnte nachgewiesen werden, dass sie diese Methode benutzten.

Ein Test für menschliche Wachstumshormone hat sich inzwischen auch etabliert. Seit Peking gab es verschiedene positive Fälle, bei welchen Athleten gestanden, Wachstumshormone genommen zu haben. Solche Geständnisse verleihen dem Test viel Glaubwürdigkeit.

Ein weiterer Fortschritt ist die Einführung des biologischen Passes, der ein Instrument zur wirksamen Prävention und Abschreckung ist. Im Radsport wird seit 2008 ein hämatologischer Pass eingesetzt (Blutpass), und seither können wir eine signifikante Abnahme von Missbrauchsfällen bei den Radrennfahrern feststellen.

Wir wissen, dass sich das Internationale Olympische Komitee in London mit den Verbänden von Ausdauer-Sportarten – Leichtathletik, Radrennen, Rudern, Triathlon, Schwimmen – geeinigt hat, dass Tests zu Beginn der Spiele durchgeführt werden. Die Verbände werden darüber informiert, ob ein Athlet bereit ist, an diesen Tests teilzunehmen.

swissinfo.ch: Wird es “das” Dopingmittel der Olympischen Spiele London geben?

M.S.: Das ist schwierig zu sagen. Es gibt gegenwärtig verschiedene hormonähnliche Substanzen auf dem Markt, mit welchen sich die Wirkung von EPO oder von Wachstumshormonen imitieren lassen. Es gibt auch Substanzen, welche die Produktion des eigenen Testosterons stimulieren.

Aber wir haben keine ernsthaften Zeichen feststellen können, dass diese Substanzen häufiger gebraucht würden. Anders als in Peking scheint es derzeit auf dem Markt kein brandneues Molekül zu geben, von dem wir sagen könnten, dass es das Molekül der Londoner Spiele sein würde.

Früher galt: “Anabolika für Explosivität und Kraft – also für Sprinter; EPO und Bluttransfusion für Ausdauer-Athleten”. Heute wissen wir, dass Testosteron von Ausdauer-Sportlern verwendet wird, weil es sich sehr gut für die Erholung eignet. Umgekehrt kann EPO auch für einen Sprinter sehr nützlich sein, weil es sich für hartes Training. aber auch zur rascheren Erholung eignet.

Diese Multi-Doping-Cocktails werden in Mikro-Dosen verabreicht, um die Nachweis-Periode zu verkürzen.

swissinfo.ch: Wie ist Ihr Labor in die Londoner Spiele eingebunden?

M.S.: Die Dopingkontrollen und die Tests unterstehen dem King’s College London Drug Control Centre (vgl. rechte Spalte). Der Direktor des Laboratoriums, David Cowan, hat die meisten europäischen Laboratorien gebeten, Experten zur Unterstützung zu schicken. Sechs meiner Mitarbeiter werden in London bei den Analysen helfen, denn es gibt in sehr kurzer Zeit sehr viel zu tun.

Nach der Eröffnung des Olympischen Dorfes werden sie Blutanalysen durchführen. Die Ergebnisse werden mit dem biologischen Pass der Athleten aus jenen Verbänden abgeglichen, die ihn anwenden. Die biologischen Pässe dieser Athleten werden hier überprüft und ausgewertet.

swissinfo.ch: Wer gewinnt das Doping-Rennen: Die Athleten oder die Wissenschafter?

M.S.: Niemand wird jemals gewinnen – es gibt keine Ziellinie. Wir kämpfen auf immer höherem Niveau. Um Betrüger zu erwischen, braucht es immer komplexere analytische Verfahren. Und die Betrüger passen sich schnell an, um noch raffiniertere Methoden zu finden.

In den 1980er-Jahren nahmen die Athleten enorme Dosen Anabolika. Ich schätze, dass die Labors 10 Jahre brauchten, um Nachweisverfahren zu entwickeln, welche die Überführung von Sündern wie Ben Johnson erlaubten. Die andere Seite reagierte und brachte EPO ins Spiel. Um 2000 musste sie erneut ausweichen, als es französischen Laboratorien gelang, EPO im Urin nachzuweisen.

Es ist ein niemals endender Kampf. Aber ich habe das Gefühl, dass wir mit der Anwendung des biologischen Passes und dessen abschreckender Wirkung näher dran sind als vor 10 Jahren. In technologischer Hinsicht ist es ein Kopf-an-Kopf-Rennen.

swissinfo.ch: Welches sind die Hauptargumente gegen eine Legalisierung des Dopings? Es wäre doch unterhaltsam zuzuschauen, wie Athleten wie Flöhe hüpfen könnten?

M.S.: Das ist eine philosophische Frage, und meine Philosophie ist, dass ich gegen eine Gesellschaft bin, die grundsätzlich auf gefälschten Leistungen basiert. Ich bin dagegen, dass Medikamente zur Leistungssteigerung verwendet werden – Medikamente sollen zur Heilung eingesetzt werden.

Wenn Sie es zulassen würden, dass die Radrennfahrer an der Tour de France einen kleinen Motor ins Fahrrad einbauen (ein Trick, der dem Schweizer Radprofi Fabian Cancellara unterstellt worden war), wäre dies genau dasselbe, wie EPO zu nehmen.

swissinfo.ch: Wird man in Ihrem Job mit der Zeit nicht zynisch? Runzeln Sie die Stirn, wenn jemand einen Weltrekord bricht?

M.S. Wie gesagt, ich mag Sport, und ich versuche, nicht zu zynisch zu werden. Einige Rekorde über 100m wurden von Betrügern erzielt, andere nicht. Ich habe 2009 in Berlin den Sprint von Usain Bolt in 9,58 Sekunden (der aktuelle Weltrekord) mitverfolgt. Für mich war das eine normale Entwicklung eines Athleten, der von Anfang an sehr stark war.

Nicht jeder neue Weltrekord ist unmöglich. Wenn jemand aus dem Nichts eine ausserordentliche Leistung zeigt, reagiere ich aber tatsächlich skeptisch. In den anderen Fällen versuche ich zu glauben, dass die Leistung sauber ist.

swissinfo.ch: Aber letztlich wird es nie möglich sein, saubere Olympische Spiele zu garantieren?

M.S.: 100%-ig saubere Spiele sind unmöglich. Athleten sind Menschen und unter ihnen gibt es immer auch Betrüger. Wir versuchen, die Rate auf ein akzeptables Minimum zu reduzieren, und ich denke, dass wir nah dran sind.

Das Labor am King’s College London Drug Control Centre wurde von der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) offiziell akkreditiert. Dies nach einem zweijährigen Testprogramm, bei dem die Wada Ausstattung, Personal und Verfahren des Labors geprüft hatte.

Im letzten Jahr bearbeitete das King’s College Labor mehr als 8000 Proben von Sportlern aus 70 Disziplinen.

Ziel des Labors ist es, während den Olympischen und Paralympischen Spielen, die vom 27. Juli bis 12. August, bzw. vom 29. August bis 9. September dauern, rund 6250 Proben zu analysieren.

Rund die Hälfte aller Athleten inklusive alle Medaillengewinner sollen getestet werden.

Das Labor hat die Grösse von 7 Tennisfeldern. Pro Tag werden 400 Proben ausgewertet – was “Olympischen Rekord” bedeutet. Die Auswertungen werden im 24-Stunden-Betrieb erfolgen.

Innerhalb des Londoner Organisationskomitees werden über 1000 Personen in die Anti-Doping-Bemühungen involviert sein, darunter 150 Wissenschafter des Labors.

Resultate werden teilweise innerhalb von 24 Stunden vorliegen.

Martial Saugy studierte Biologie an der Universität Lausanne.

Nach einer Habilitation am Departement of Biochemistry an der McGill Universität in Montreal von 1987 arbeitete er als Biochemiker im Labor für analytische Toxikologie des Rechtsmedizinischen Instituts der Universität Lausanne.

1990 wurde die Anti-Doping Agentur gegründet, aus der später das Schweizer Laboratorium für Doping-Analysen wurde. Saugy wurde stellvertretender wissenschaftlicher Direktor. Seit 2001 ist er Direktor.

Saugy gehört mehreren Komitees und Kommissionen nationaler und internationaler Körperschaften an.

Er ist u.a. wissenschaftlicher Berater der Sporting Safety & Condition Commission des Internationalen Radsportverbands (UCI).

Er ist auch Mitglied der Anti-Dopingkommission der UEFA und der FIFA, Mitglied des List Commitee der WADA und Mitglied der medizinischen und Anti-Dopingkommission des Internationalen Leichtathletikverbands (IAAF).

Gegenwärtig ist er in verschiedenen Forschungsbereichen tätig, die mit dem Kampf gegen Doping in Zusammenhang stehen: Wachstumshormone, EPO im Sport, Testosteron und endogene Steroide, biologische Pässe für Athleten.    

(Übertragung aus dem Englischen: Peter Siegenthaler)

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