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Das Parlament der Fünften Schweiz muss sich ändern – kann es das?

Parlament
バーゼル市庁舎で行われた在外スイス人評議会(2017年) © Adrian Moser/ASO

Wie demokratisch ist der Auslandschweizerrat, das Parlament der Fünften Schweiz? Und repräsentiert er wirklich alle Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer? Diese Frage stellt sich der Auslandschweizer-Organisation immer dringender. An der Tagung der Schweizer Vereine in Deutschland kam es darob zum Disput.

Der Auslandschweizerrat Externer Linkgilt als das Parlament der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer. Seine 140 Ratsmitglieder treffen sich zweimal pro Jahr in der Schweiz zur Sitzung. Diese verläuft vergleichbar der Session eines Kantonsparlaments. Beschlüsse des Auslandschweizerrats werden in der Schweiz wahrgenommen als die Stimme aller Schweizerinnen und Schweizer, die im Ausland leben. Politisch vertritt dieses Parlament nach eigenem Anspruch die Interessen aller Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer gegenüber Behörden und Öffentlichkeit in der Schweiz.

Sie vertreten nicht Bürger, sondern Vereine

Der Unterschied ist aber: Jedes Kantonsparlament wird demokratisch gewählt. Bürger wählen Kandidaten – und die Summe aller Gewählten repräsentiert die politischen Absichten der Wählenden, man könnte sagen: der Bevölkerung.

Ganz anders bei den Auslandschweizern: Hier entsenden die Auslandschweizervereine aller Herren Länder Delegierte. Es ist eine Struktur aus Zeiten von Telegramm und Dampfschiffen. Die Delegierten Externer Linkvertreten im Auslandschweizerrat zunächst also einerseits ihr Aufenthaltsland und deren Vereine. Andrerseits sind sie oft auch Mitglied einer politischen Partei. Auch diese vertreten sie im Rat.

Delegierte der Auslandschweizervereine werden innerhalb der Länderclubs zwar durchaus per Abstimmung bestimmt – aber von einem kleinen Kreis, von ihren Clubkollegen meist. Demokratie kommt in diesem Prozess am Rande vor.

Oft ist es zudem so, dass die Wahl der Delegierten von vornherein beschränkt ist: Man sendet jene Kandidatinnen und Kandidaten, die beruflich und finanziell in einer Art aufgestellt sind, dass sie es sich verlässlich leisten können, zweimal jährlich zu den Sitzungen in die Schweiz zu reisen. 

Gremium der Gutbetuchten

Zwar bezahlen einige Schweizervereine und – je nach Herkunft – auch die Auslandschweizer-Organisation Spesenentschädigungen, aber nicht in einer Höhe, welche die tatsächlichen Reise- und Aufenthaltskosten im Heimatland decken würde. Der Auslandschweizerrat gilt deswegen schon immer auch als ein Gremium der Betuchten.

All diese Faktoren führen dazu, dass das Parlament der Fünften Schweiz streng genommen kaum eine demokratische Legitimation hat – weil es die Auslandschweizer schlicht nicht repräsentiert. 

“Wir anerkennen diese Forderung und sehen das Problem, aber wir sehen das nicht als unsere Aufgabe.”  
Annemarie-Tromp, Präsidentin ASO Deutschland

Im Auslandschweizerrat ohne Stimme bleiben etwa die hunderttausenden Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer, die nicht in Schweizer Vereinen organisiert sind. Denn die Räte repräsentieren nicht Schweizer Bürger im Ausland, sondern “Schweizergemeinschaften auf der ganzen Welt entsprechend ihrer zahlenmässigen Stärke”, wie die Auslandschweizer-Organisation schreibt. 

Die Stimme der Fünften Schweiz ist angreifbar

Diese schwach abgestützte, verzerrte Repräsentanz macht die Stimme der Fünften Schweiz in der Heimat angreifbar.

Diese Gefahr hat die Auslandschweizer-Organisation schon vor über einem Jahrzehnt erkannt. Das Problem ist inzwischen angepackt: In Mexiko und Australien haben 2017 PilotversucheExterner Link stattgefunden, bei denen die Kandidaten mittels E-Voting von einem breiteren Elektorat gewählt wurden. Zudem wurde eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Sie soll Wege aufzeigen, wie der Auslandschweizerrat mehr Repräsentativität erhält.

Knarren im Gebälk

Nun folgt der nächste Schritt – und dieser sorgt für Knarren im Gebälk: Die Dachorganisationen der Schweizervereine in den jeweiligen Ländern sollen sich daran machen, demokratischer zu werden. “Wir sollen nun Wahlen organisieren”, sagt Annemarie Tromp, Präsidentin der ASO Deutschland. “Wir anerkennen diese Forderung und sehen das Problem, aber wir sehen das nicht als unsere Aufgabe.”  

Tromp zählt die Hindernisse auf: “Datenschutz: wir kommen gar nicht an die Adressen der Schweizer in Deutschland. Auch fehlt eine Wahlplattform, E-Voting kommt ja kaum mehr in Frage.” Zudem: Wer macht all die Arbeit? Die Vereine arbeiten ehrenamtlich. Für Tromp ist darum klar: “Das ist eine Aufgabe für das Aussendepartement. Der Ball wird immer dort sein.”

Es geht um das Gewicht – und ums Überleben

Das sieht der Präsident der Auslandschweizer-Organisation, Remo Gysin, nicht ganz gleich. An der Jahrestagung der Schweizervereine in Deuschland appellierte er leidenschaftlich, man möge sich endlich bewegen. 

Der Druck in der Schweiz wachse, man habe nun lange diskutiert, Taten seien gefragt, und die Pilotversuche in Australien und Mexico hätten positive Ergebnisse hervorgebracht. In Deutschland aber sehe er keinen Willen zur Veränderung, sagte Gysin, der eigens für diese Diskussion an die Tagung nach Deutschland gereist war.

Remo Gysin wurde den Auslandschweizern in Deutschland damit vielleicht nicht ganz gerecht. Das Hauptproblem aber hat er perfekt skizziert: Die Schweizer Vereine haben weltweit wenig Lust, an ihrem gewachsenen System aus dem letzten Jahrhundert etwas zu ändern. 

Aus gutem Grund: Ein Delegiertensitz im Auslandschweizerrat gibt den Vereinen noch immer etwas Gewicht, ja er macht sie zu einem politischen Player. In Zeiten, in denen die Schweizer Clubs wenig Nachwuchs finden und vielerorts schrumpfen, ist ihre Angst vor der Bedeutungslosigkeit auch eine existentielle.

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