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Bis zuletzt Streit um Berlins neues Mega-Museum

Architekturkritiker der grossen deutschen Tageszeitungen verspotteten den flachen, sich fast duckenden Bau als “Kulturscheune“ und “Aldi-Discounter“. zVg.

Der symbolische erste Spatenstich ist getan. Doch die Debatte um das vom Basler Architekturbüro Herzog & de Meuron entworfene Berliner "Museum des 20. Jahrhunderts" scheint damit nicht beendet.

In den vergangenen Wochen schien die Kritik an dem Mega-Projekt noch einmal kräftig anzuschwellen. Ganz so als würden dessen Gegner alles in die Waagschale werfen, um den Bau quasi in letzter Minute doch noch zu stoppen. Kulturstaatsministerin Monika Grütters wiederum verteidigte den Entwurf aus der Schweiz mit viel Verve. Ihr Ruf und Erbe hängt an der erfolgreichen Realisierung des weltweit beachteten “Museum der Moderne”, wie das Projekt auch genannt wird.

In einer Reihe mit dem New Yorker MoMa soll das Haus einst stehen und auf 9200 Quadratmetern Ausstellungsfläche endlich Raum für die vielen Werke des 20. Jahrhunderts im Bestand der Nationalgalerie bieten. Dass auch einige namhafte private Stifter ihre Sammlungen hier dauerhaft zeigen wollen, war von Beginn an ein schlagkräftiges Argument für den Neubau. 

An dem scheint nun nichts mehr zu rütteln: Am 18. November bewilligte der Bundestag fast 450 Millionen Euro aus Bundesmitteln. Dann wurden rasch Nägel mit Köpfen gemacht: Nur gut zwei Wochen später, am 3. Dezember 2019, stachen alle Beteiligten – unter ihnen Architekt Jacques Herzog – öffentlichkeitswirksam ihre Spaten in den Baugrund unweit des Potsdamer Platzes: Die Botschaft: Es geht los.

Kritiker nennen es “Kulturscheune”

Erleichtert darüber wird neben Monika Grütters auch das renommierte Schweizer Architekturbüro Herzog & de Meuron sein. Dessen Entwurf wurde bereits 2016 im Wettbewerb um den Neubau zum Sieger gekürt. 

Architekturkritiker der grossen deutschen Tageszeitungen zeigten sich darüber überwiegend enttäuscht und verspotteten den flachen, sich fast duckenden Bau als “Kulturscheune” und “Aldi-Discounter”. “Masslose Grösse bei konzeptueller Armut” konstatierte die Süddeutsche Zeitung und bemängelte wie andere Medien auch einen “undurchsichtigen Genehmigungsprozess”, der allerdings nicht den Architekten anzulasten ist. 

Die Architekten Pierre de Meuron (l) und Jacques Herzog
Die Architekten Pierre de Meuron (l) und Jacques Herzog vom Architekturbuero Herzog & de Meuron. Letzterer musste seinen Entwurf auf Diskussionen wieder und wieder verteidigen. Keystone / A4281/_christian Charisius

Dass das Museumsprojekt schon vor Baubeginn beständig teurer wird, und immer mehr Mittel zugesprochen bekommt, sorgt für weiteren Unmut. Zu Beginn, noch vor der Wettbewerbsphase, standen 120 Millionen Euro als Budget im Raum. 

Im November bewilligte der Bundestag dann stattliche 450 Millionen Euro. Insider rechnen damit, dass es am Ende eher 600 Millionen Euro sein werden. Berlin kennt sich mit derartigen Kostenexplosionen bei seinen Grossprojekten aus. 

Wieder und wieder musste der eloquente Jacques Herzog seither auf Diskussionen seinen Entwurf erläutern und verteidigen. Dieser sieht stark vereinfacht eine grosse Halle aus durchbrochenen Ziegelwänden vor, die sich weit über den Platz erstreckt und ihr Dach über die verschiedenen Funktionalitäten des Museums ausbreitet. 

Nach Kritik, der Bau riegele sich zu hermetisch nach aussen ab, wird er nun nach einer Überarbeitung von zwei breiten Passagen durchkreuzt, die durch grosse Hangartore in den Platz münden. 

Der Platz ist steril und trostlos

Um den Schweizer Entwurf zu verstehen, muss man einen näheren Blick auf den Bauort werfen, genauer gesagt auf die Ödnis, der Herzog und de Meuron neues Leben einhauchen sollen. Einst lebte und flanierte hier südlich des Tiergartens das vornehme Berliner Bürgertum, Der Zweite Weltkrieg legte das Viertel in Schutt und Asche. 

Heute erinnert einzig die 1846 geweihte St. Matthäus Kirche am Rande der Brache an die Vergangenheit. 1961 wuchs dann auch noch in unmittelbarer Nähe die Berliner Mauer aus dem Boden und teilte die Stadt. Die traditionellen Berliner Kulturinstitutionen wie die Staatsoper sowie die Prachtbauten der Museumsinsel lagen fortan im sozialistischen Osten Berlins. Also liess sich West-Berlin hier auf seinem Terrain 1963 vom Stararchitekten Hans Scharoun die heute weltberühmte Philharmonie bauen. Fünf Jahre später, 1968, kam in der Nachbarschaft die Neue Nationalgalerie des Bauhaus-Architekten Mies van der Rohe hinzu. Zwischen beiden Ikonen der Architektur bleibt seit Jahrzehnten eine windige und unwirtliche Freifläche, die nun bebaut werden soll. 

Simulation Bau
zVg.

Auch der angrenzende Potsdamer Platz hat die in ihn gesetzten Hoffnungen, Zentrum eines neuen lebendigen Stadtteils zu werden und Leben in die einstige Todeszone entlang der Mauer zu bringen, nicht erfüllt. Kein Berliner käme auf die Idee, hier abseits eines Konzert- oder Museumsbesuchs auszugehen oder zu flanieren. Die Gegend ist, so muss man es sagen, monumental, steril und trostlos.

Museum als Lebensraum

Das von den Baslern entworfene Gebäude muss sich also auf schwierigem Terrain verankern und viele Aufgaben erfüllen: Es soll das sogenannte Kulturforum zu einer architektonischen Einheit machen, dabei die Ikonen von Scharoun und Mies van der Rohe auf beiden Seiten einbeziehen, ohne sie zu überstrahlen. 

Zugleich erwartete man von dem neuen Museum, dass es den Platz zu einem echten Aufenthaltsort macht. Die Hoffnung ist, dass es zu dem Herz wird, das das Viertel endlich zu richtigem Leben erweckt.

Den Schweizern schwebt entsprechend ein Museum als offener Ort für alle vor, kein Kulturtempel, sondern ein alltäglicher Lebensraum für Menschen. Neben Ausstellungsflächen soll es Raum zum Arbeiten, für Debatten, zum Flanieren, zum Verweilen geben. 

“Ein sich kreuzender Boulevard, wo Alltagsleben, künstlerische Experimente, Performances und öffentliche Debatten sich vermischen und gegenseitig stimulieren. Dazu braucht es keinen Prunk und keine übermässige skulpturale Geste für die äussere Form”, verteidigte Jacques Herzog beim offiziellen Spatenstich erneut den Entwurf seines Büros.

Demnächst beginnt die Bauphase. Und wer weiss. Vielleicht werden die Berliner ja irgendwann so begeistert von ihrem neuen Herzog & de Meuron Bau sein, wie es die Hamburger heute von ihrer ebenfalls von den Schweizern geplante Elbphilharmonie sind. 

Vor lauter Euphorie spricht heute kaum noch jemand davon, dass der spektakuläre Bau in der Hansestadt am Ende 866 Millionen Euro kostete und damit mehr als elf Mal so viel wie ursprünglich veranschlagt. Die Elb-Philharmonie ist zum neuen Wahrzeichen der Stadt geworden.

Herzog & de Meuron

Das Basler Architekturbüro wurde 1975 von den Schulfreunden Jacques Herzog und Pierre de Meuron gegründet. Heute beschäftigt es rund 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und hat Niederlassungen auf der ganzen Welt. Die einflussreichen Architekten haben für ihre Gebäude zahlreiche Preise zuerkannt bekommen, unter anderen den Pritzkerpreis, der als Nobelpreis der Baukunst gilt. Auf der eindrucksvollen Liste ihrer Bauten stehen unter anderem die Allianz-Arena in München, die Erweiterung der Tate Gallery of Modern Art in London und das Olympiastadion in Peking – sowie die Hamburger Elbphilharmonie.

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