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Bergier-Kommission: Zweiter Teil des Schlussberichtes

10 Bände hat die Kommission unter Jean François Bergier veröffentlicht. swissinfo.ch

Die Unabhängige Experten-Kommission Schweiz - Zweiter Weltkrieg (UEK) hat am Donnerstag den zweiten Teil ihres Schlussberichtes veröffentlicht.

Nachrichtenlose Vermögen sind auch heute ein Thema – vielleicht sogar mehr denn je. Den Grund dafür sieht Barbara Bonhage, Co-Autorin der Studie “Nachrichtenlose Vermögen bei Schweizer Banken: Depots, Konten und Safes von Opfern des nationalsozialistischen Regimes und Restitutionsprobleme in der Nachkriegszeit” in der Tatsache, dass bis heute nachrichtenlose Vermögenswerte bei Schweizer Banken liegen geblieben sind. Das führe zur Frage, so die Historikerin, was mit den Vermögen geschehen solle.

Andererseits, fügt Bonhage hinzu, könne man sich auch fragen, weshalb nachrichtenlose Vermögen heute wieder ein Thema seien. “Nach dem Ende des Kalten Krieges wurden zahlreiche Archive geöffnet, so dass neue Informationen beschafft werden konnten, aus welchen neue Restitutions-Forderungen und neue Fragen entstanden sind.”

Weshalb taten die Banken nichts?

Bonhage und ihre Mit-Autoren Hanspeter Lussy und Marc Perrenoud zeigen in ihrer Studie auf, wie die Schweizer Banken und der Bund dazu beigetragen haben, dass Vermögenswerte von Opfern des Nationalsozialismus während der ganzen Nachkriegszeit auf Schweizer Banken liegen bleiben konnten.

“In erster Linie ist hier das Bank-Geheimnis zu nennen”, erklärt Bonhage. Nach Kriegsende hätten Erben von Opfern zwar deren Vermögen auf Schweizer Banken gesucht, doch seien sie schlecht dokumentiert gewesen und hätten deshalb ihre Berechtigung als Erben nicht genügend nachweisen können. “Die Schweizer Banken erklärten ihrerseits, dass sie nur Auskünfte geben würden, wenn die Betroffenen sich als legitime Erben ausweisen könnten”, sagt Bonhage.

Auch ein Abkommen zwischen Schweizer Unterhändlern und amerikanischen bzw. west-alliierten Siegermächten führte zu keiner befriedigenden Lösung – nicht zuletzt deshalb, weil Schweizer Banken nicht als Abkommens-Partner einbezogen gewesen waren. “Dadurch waren die Banken schlecht informiert über die Abmachungen”, sagt Bonhage. “Andererseits nutzten die Banken aber auch diesen Informations-Mangel aus, um nichts zu unternehmen.”

Veränderte Wahrnehmung des Holocaust

In den Nachkriegsjahren fanden mehrere Umfragen statt, welche die Anzahl nachrichtenloser Vermögen feststellen sollten. Die Banken bemühten sich laut Bonhage, möglichst wenige nachrichtenlose Vermögenswerte ausfindig zu machen, um dadurch eine Melde-Gesetzgebung zu verhindern.

Heute hat sich die Situation verändert. Erkannten die Schweizer Banken damals die besondere Situation des Holocaust zu wenig, so fand seit 1995 gemäss Bonhage ein Wandel in der Wahrnehmung statt. Mit der öffentlichen Wahrnehmung – und auf öffentlichen Druck – hat sich auch diejenige der Banken verändert. “Doch das Problem, dass zahlreiche Konten gar nicht mehr gefunden werden können, besteht natürlich noch immer.”

Eindrückliche Arbeit

Die Studie über nachrichtenlose Vermögen ist einer von zehn Bänden (Studien, juristische Beiträge, Beiträge zur Forschung), welcher am Donnerstag von der UEK der Öffentlichkeit präsentiert wurden. Weitere Themen sind die Schweiz als Drehscheibe verdeckter deutscher Operationen, das schweizerische Wertpapiergeschäft mit den Dritten Reich oder die schweizerische Zigeunerpolitik.

Insgesamt wird die Kommission 25 Studien und Beiträge sowie eine Synthese verfassen. Die Synthese wird Ende Jahr dem Bundesrat vorgelegt und im Frühling 2002 veröffentlicht.

Die Bände sind detaillierte Dokumente jener umstrittenen Zeit. Es sind eindrückliche Quellensammlungen, Fundgruben mit Daten und Informationen. Die wissenschaftliche Publikations-Reihe beansprucht nicht, ein Gesamtbild jener Zeit zu liefern. Doch die Arbeiten lösen – auch von der UEK – erwünschte Diskussionen aus und werfen neue Fragen auf. Dies ist wohl einer der zentralsten Punkte dieser monumentalen und ambitionierten Forschungsarbeit.

Druck aus dem Ausland

Aufgrund grossen Druckes aus dem Ausland rief die schweizerische Bundes-Versammlung 1996 die UEK ins Leben. Die Kommission sollte rechtlich und historisch untersuchen, was mit den Vermögenswerten passiert war, welche vor und während des zweiten Weltkrieges in die Schweiz gelangt waren. Mehr und mehr rückte das gesamte Verhalten der politischen und wirtschaftlichen Schweiz ins Zentrum des Interesses.

Gegenstand der Untersuchungen waren der Goldhandel und die Devisengeschäfte der Schweizerischen Nationalbank wie auch der privaten Geschäftsbanken. Die Problematik der in die Schweiz gelangten Vermögenswerte, aber auch die aussenwirtschaftlichen Beziehungen der Schweiz wurden näher untersucht. Doch auch die schweizerische Flüchtlingspolitik ist ein Schwerpunkt.

Kritik seitens konservativer Kreise

Die Ergebnisse der Forschungen stiessen in der Schweiz verschiedentlich auf heftige Kritik – insbesondere vonseiten konservativer Kreise. Umstritten war die Feststellung, dass die Schweiz – vor allem die Schweizer Wirtschaft – durchaus mit dem Nazi-Regime kooperiert hat und ihren Beitrag an die Kriegswirtschaft der Achsenmächte geleistet hatte. Im Vordergrund stand dabei jeweils das eigene Wohl bzw. die eigene Landesversorgung.

Die Experten der UEK betonen stets, dass sie kein vollständiges Bild der damaligen Schweiz liefern. Es geht ihnen darum, die Hintergründe aufzuzeigen, die Komplexität der damaligen Situation differenziert darzustellen und Erklärungen zu liefern.

Carole Gürtler

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