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Bessere Chancen mit anonymer Bewerbung

Ausländische Jugendliche haben weniger Chancen als Schweizer. Keystone

Für Jugendliche ausländischer Herkunft ist es schwieriger, eine Lehrstelle zu finden, als mit einem Schweizer Namen. Im Kanton Zürich startet deshalb ein Versuch mit anonymen Bewerbungen.

“smart selection” heisst das Projekt des Kaufmännischen Verbandes. Es soll dazu führen, dass nicht Herkunft und Hautfarbe, sondern Eignung und Motivation den Ausschlag geben.

“Wer den falschen Nachnamen trägt, wird oft gar nicht für eine Schnupperlehre oder ein Vorstellungsgespräch eingeladen”, sagte Rolf Margreiter, Ressortleiter Jugend im Kaufmännischen Verband (KV) Schweiz, an einer Medienkonferenz.

So hätten ausländische Jugendliche laut einer Studie der Universität Freiburg bei gleichen Qualifikationen wie Schweizer eine vier Mal schlechtere Chance, eine Lehrstelle zu finden.

Mit dem Zürcher Pilotprojekt “smart selection” will KV Schweiz diese Chancendefizite nun angehen und damit auch der “sozialen Zeitbombe” Jugendarbeitslosigkeit begegnen.

Kompetenzorientierte Vorselektion

In dem branchenübergreifenden einjährigen Projekt sollen Erkenntnisse zur anonymen Bewerbung auf dem Lehrstellenmarkt gewonnen und damit Objektivität und Chancengleichheit gestärkt werden.

Zentrales Instrument sind dabei die anonymen Online-Bewerbungsprofile von Lehrstellensuchenden auf der Internet-Plattform we-are-ready.ch. Dort können die Jugendlichen kostenlos ihre bei einer Bewerbung üblichen Angaben hinterlegen.

Laut Eva Heinimann von KV Schweiz erschweren Zeitdruck und knappe Ressourcen gerade in kleinen und mittleren Unternehmen eine intensive Auseinandersetzung mit einzelnen Bewerbungsdossiers.

In der Vorselektion werde daher häufig auf einige wenige und nicht immer kompetenzorientierte Kriterien abgestellt. Die anonyme Bewerbung könne hier als Instrument für mehr Objektivität sowie gezieltere Selektions-Prozesse eingesetzt werden.

Vorstellung: eine Chance

So schärfe die systematische Ausblendung leistungsirrelevanter Kriterien den Blick für die Kompetenzen und die Motivation der Jugendlichen. Damit steigt die Erfolgswahrscheinlichkeit, auch tatsächlich die beste Bewerbung für den eigenen Betrieb zu finden, wie Heinimann ausführte.

Vor allem aber werde ein chancengleicher Zugang zum Lehrstellenmarkt gestärkt. Erst die Gelegenheit eines Vorstellungsgesprächs oder einer Schnupperlehre gebe den Jugendlichen die Chance, sich selbst als Persönlichkeit zu präsentieren und den Lehrbetrieb von eigenen Qualitäten und Fähigkeiten zu überzeugen.

Bisher 40 Unternehmen dabei

Bei einem ähnlichen im Jahr 2006 im Kanton Genf durchgeführten Projekt hätten sich atypische Selektionsergebnisse gezeigt. So seien andere Bewerber als üblich zu den Vorstellungsgesprächen eingeladen worden und hätten teilweise auch den Zuschlag für die Stelle erhalten.

Laut KV Schweiz haben sich bereits 40 Unternehmen mit insgesamt rund 100 Lehrstellen in verschiedenen Branchen und Berufsfeldern als Pilotbetriebe für “smart selection” angemeldet.

Die teilnehmenden Lehrbetriebe nutzen bei der Besetzung ihrer Lehrstellen per Sommer 2008 ausschliesslich oder parallel zu herkömmlichen Verfahren die Bewerbungsplattform.

swissinfo und Agenturen

Die Schweiz geniesst mit ihrem dualen Befusbildungssystem internationale Anerkennung.

Lehrlinge werden im Lehrbetrieb praktisch ausgebildet und besuchen daneben eine Berufsfachschule.

2006 haben 75’600 junge Schweizerinnen und Schweizer eine Lehrstelle angetreten, 2% mehr als im Jahr zuvor.

Die Gesamtzahl der Lehrlinge stieg damit auf 205’000.

Auch 2007 herrscht weiterhin Lehrstellenmangel. So fehlen in diesem Jahr rund 5000 Ausbildungsplätze.

Seit 2006 hat Frankreich ein Gesetz gegen Diskriminierung bei der Stellensuche.

Betriebe mit mehr als 50 Angestellten müssen bei Bewerbungsverfahren Angaben zu Name, Alter, sozialer und ethnischer Herkunft sowie die Adresse unkenntlich machen, Fotos dürfen den Bewerbungen nicht mehr beigelegt werden.

Auch andere Länder kennen Massnahmen gegen Diskriminierung bei der Bewerbung.

In vielen angelsächsischen Ländern (USA, Kanada, Grossbritannien, Irland, Australien, Neuseeland) sind Geburtsdaten und Fotos schon lange aus den Lebensläufen verbannt.

In vielen EU-Ländern wird an ähnlichen Regelungen wie in Frankreich gearbeitet.

Grund dafür sind neue EU-Richtlinien, die es verbieten, persönliche Daten wie Alter, Geschlecht oder ethnische Herkunft bei der Bewerberauswahl einzubeziehen.

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