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Blind durchs WWW

Arnold Schneider surft als Blinder mit Kopfhörern und Braille-Lesegerät problemlos im Internet. (Bild: pgm medien) pgm medien

Das Internet muss auch Behinderten die Möglichkeit bieten, besser zu kommunizieren und damit selbständig zu sein.

Das solothurnische Biberist hat die Anliegen behinderter Menschen ernst genommen und seine Homepage auf die Bedürfnisse von Blinden und Sehbehinderten zugeschnitten.

Der junge Mann sitzt vor einem schwarzen Bildschirm. Die Finger huschen über die Computertastatur, geben www.biberist.ch ein, die verlangte Website öffnet sich – der Bildschirm bleibt schwarz.

Er surft auf der Homepage der Gemeinde Biberist ohne dass der Monitor irgend etwas anzeigen würde. Der junge Mann ist blind. Er kann sich den Bildschirminhalt via Lautsprecher beschreiben oder mit einem so genannten Braille-Lesegerät in Blindenschrift ausgeben lassen.

Spezielle Navigation

“Da Blinde den Bildschirminhalt nicht unmittelbar lesen können, wird dieser entweder in künstliche Sprache umgewandelt oder mit einem so genannten Braille-Lesegerät, welches Text in abtastbare Blindenschrift umsetzt, ausgegeben”, erklärt Arnold Schneider, Geschäftsführer von “Zugang für alle”, einer Stiftung zur behindertengerechten Technologienutzung.

Schneider, selbst blind, erklärt weiter: “Mit einem Bildschirm-Leseprogramm wird die Bildschirmseite virtuell dargestellt. Das Programm kann Menupunkte, Fenstertitel, Eingabefelder und Textzeilen aufschlüsseln”.

Blinde navigieren mit der Tastatur, den Pfeiltasten und mit Kurzbefehlen, so genannten access keys, auf der Website. Sie haben dabei nie eine Gesamtübersicht über den Seiteninhalt. Die Navigations-Funktionen des Bildschirm-Leseprogramms helfen bei der Suche nach den gewünschten Informationen.

Verschiedene Ansprüche – ein Angebot

Beat Pfarrer, Finanzverwalter und “Webmaster” der im Kanton Solothurn liegenden Gemeinde Biberist, wollte die neue Homepage seiner Gemeinde speziell für Behinderte leicht zugänglich machen.

Gerade im Umgang mit Gemeinde- und Kantonsverwaltungen müsse man dem ab 2004 geltenden Recht Nachdruck verschaffen. “Dieses schreibt vor, dass die öffentlichen Verwaltungen in der Schweiz behinderten Menschen den Zugang zu ihren Dienstleistungen erleichtern müssen, soweit dies möglich und zumutbar ist.”

Auffällig unauffällig

“Wichtig war für uns, alle unsere Web-Dienstleistungen auch für Blinde und Sehbehinderte auf dem Internet anzubieten”, erklärt Pfarrer. “Wir wollten von Anfang an ein umfassendes Angebot für alle ins Netz stellen”.

Davon profitieren aber auch “normale Surfer und Surferinnen”, die nicht mit schnellen Internet-Anbindungen und Computern der neusten Generation gesegnet sind: Das Angebot ist einfach und rasch zugänglich.

Beim Besuch auf der Site www.biberist.ch fällt vor allem einmal auf, dass nichts besonders auffällig hervorsticht. Einziges, ein heutzutage schon beinahe vergessenes Feature: Auf der Einstiegsseite kann der Besucher zwischen einer graphischen und einer Textversion wählen, welche für Blinde und Sehbehinderte optimiert ist.

“Kein unnötiger Schnickschnack”

Kühl, klar strukturiert, einfach lesbar, nicht spektakulär, sind die ersten Eindrücke eines so genannt “normal sehenden Besuchers”. Aber bitte, was soll daran schon behindertengerecht sein?

“Aber genau das ist es ja!”, meint Beat Pfarrer. “Eine behindertengerechte Site darf keinen unnötigen Schnickschnack aufweisen. “Die Textversion kommt gänzlich ohne Ballast wie Bilder, Flash-Animationen, Java Script und anderes aus. Sie besteht lediglich aus Text und sauber programmiertem HTML-Code (HTML ist die Sprache, in der ganz normale Webseiten programmiert werden).

Saubere Programmierung nötig

Eine gute Webseiten-Programmierung gewährleistet, dass die Zusatztools behinderter Besucher den Text einwandfrei “lesen” und wiedergeben können. Ein Bild oder eine Grafik sollte deshalb immer mit dem sogenannten “ALT-Tag” versehen werden. Dies ist eine versteckte Beschreibung des Bildes. Sichtbar wird der “ALT-Tag” für Sehende, wenn der Zeiger der Computer-Maus über einer Grafik oder einem Bild verharrt.

Auch Sehbehinderte sollen Informationen auf einer Website nutzen können. Um dies zu ermöglichen, sollte die Schrift “aufgeblasen”, skaliert werden können.

W3C-Vorgaben

Eine behindertengerechte Site lässt sich aber nicht einfach so aus dem Ärmel schütteln. Leena Majaranta von der Tankred Informatik AG hat die neue Biberister Homepage mitentwickelt. “Wir haben uns auf die Gebote des W3C-Konsortiums, wie behindertengerechte Webseiten gestaltet werden sollen, gestützt.” Auch der Schweizer Guichet virtuel hält Anforderungen parat, wie Webseiten für das so genannte E-Government gestaltet werden müssen.

“Weiter haben wir haben darauf geachtet, dass Nutzer mit Farb-Fehlsichtigkeit die Orientierung auf der Site nicht verlieren. Ausserdem wurde auf eine kontrastreiche Farbwahl geachtet”, führt Leena Majaranta weiter aus.

Keine High-Tech-Ausrüstung nötig

Die Vorteile einer behindertengerechten Webseiten-Gestaltung kommen auch für “normale” User zum Tragen.

Beat Pfarrer: “Nicht jede Person, die das Internet nutzt, verfügt über die technisch hochstehende Ausrüstung eines modernen Webentwicklers. Viele Menschen surfen mit langsamen Modems, alten Browser-Versionen und schwachen Computern.” Die meisten der nach dem “letzten technischen Schrei” erstellten Websites können von solchen Nutzern nicht abgerufen werden.

Ausbaufähiges, einfaches System

Die Gemeinde Biberist stellt die Inhalte (den Content) in eigener Regie ins Internet. Die Software, die sie dazu verwendet, das Content Management System (CMS), füllt den Text sowohl in die grafische wie in die Textversion der Site ein. Die Zeit, zwei Systeme mit Content zu füttern, fehlt den Biberistern.

Das System ist erweiterungsfähig: Künftig werden auch Benutzer und Benutzerinnen von Palm-Computern das Angebot der Gemeinde Biberist nutzen können.

“Die meisten Gemeinden sind noch sehr weit von einer Online-Präsenz entfernt, welche die unterschiedlichsten Bedürfnisse befriedigt”, stellt Beat Pfarrer fest.

swissinfo, Etienne Strebel

Biberist hat als eine der ersten Gemeinden eine “blindengerechte” Homepage im WWW.
Die Site entspricht den behindertengerechten Anforderungen des W3C.

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