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Irans Spielraum in Syrien ist beschränkt

Am Stadtrand von Aleppo (Syrien) am 1. Mai: Die Fassbomben, welche laut Amnesty International von den Regierungstruppen abgefeuert wurden, verbreiten Terror und Tod. Reuters

Die UNO hat in Genf diese Woche mehrere Vermittlungsgespräche zu Syrien geführt, bei denen zum ersten Mal auch Iran vertreten war. Anders als gewisse Beobachter befürchten, habe das Land nicht die Kapazität, ein persisches Imperium zu errichten, sagt Iran-Experte Mohammad-Reza Djalili. Im Gegenteil, Iran befinde sich in einer Position der Schwäche.

Bis Ende Juni sollen die unter der Leitung des UNO-Sondergesandten geführten Verhandlungen hinter verschlossenen Türen im Genfer Palais des Nations noch dauern. Vertreten sind 40 syrische Gruppierungen und 20 regionale und internationale Akteure.

Es handle sich nicht um die “3. Genfer Konferenz”, betonte Staffan de Mistura an einer Medienkonferenz: “Ich empfange jede Delegation einzeln. Es gibt Situationen, in denen man zurückhaltend arbeiten muss. Das Ziel ist herauszufinden, was sich seit der Verabschiedung des Genfer Communiqués vom 30. Juni 2012 an Ort und Stelle verändert hat, und ob eine weitere Verhandlungsrunde möglich ist.”

Der UNO-Vermittler dankte der Schweiz für deren Hilfe zugunsten der Vereinten Nationen bei der Organisation und Durchführung der Gespräche, die er “in logistischer Hinsicht als ziemlich kompliziert” bezeichnete. “Die Schweiz hat einmal mehr ihre Fähigkeit bewiesen, die Uno bei dieser schwierigen Aufgabe zu unterstützen.”

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Hinter den Kulissen der Genfer-Gespräche

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Henley wurde in Oxford Geboren und lebt in Genf. Sein letztes Projekt “Bank on us” über die Bankenkrise hat verschiedene Preise gewonnen, drunter den “Swiss Press Photo Awards 2012”. Fotos: Mark Henley (Panos Pictures)

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Die grosse Neuigkeit bei den aktuellen Gesprächen sei die Teilnahme Irans, sagt Mohammad-Reza Djalili, Honorarprofessor am Hochschulinstitut für internationale Studien und Entwicklungen (IHEID) in Genf.

swissinfo.ch: Ist eine Lösung des Syrienkonflikts unabdingbar, um die Spannungen und Kriege in der Region zu entschärfen?

M.-R.D.: Syrien ist das Kernstück bei der Konfliktlösung im Nahen Osten. Die syrische Krise hat grosse Auswirkungen nicht nur auf die Situation in Libanon und Israel, sondern auch in der Türkei und in den Erdöl-Monarchien der Golfregion.

Syrien liegt im Schnittpunkt aller regionalen Streitigkeiten im Nahen und Mittleren Osten. Eine Lösung des Konflikts in Syrien hätte Auswirkungen in der ganzen Region.

swissinfo.ch: In diesem Krieg, der bisher mehr als 220’000 Tote forderte, wurde viel vom Einfluss Russlands auf das Regime von Baschar al-Assad gesprochen. Aber ist nicht Iran das Land, das am meisten Gewicht hat?

M.-R.D.: Iran hat – wie Russland – die Mittel, Druck auf die Regierung Assad auszuüben in dem Sinn, dass es der einzige wichtige Verbündete in der Region ist. Und dies seit 30 Jahren. Der Austausch zwischen den beiden Ländern findet seit Jahren auf allen Ebenen statt.

Angesichts dessen glaube ich nicht, dass Iran eine entscheidende Rolle spielen wird, wenn es darum geht, in Syrien eine neue Regierung vorzuschlagen. Gegenwärtig beinhalten alle Signale, die aus Teheran kommen, eine einzige Botschaft, nämlich, dass das iranische Regime Baschar al-Assad an der Macht halten will.

Schweiz hinter den Kulissen aktiv

Die Schweiz nimmt an den Gesprächen unter der Leitung der UNO nicht teil. Sie leistet logistische Unterstützung, indem sie u.a. einen Mitarbeiter zur Verfügung stellt.

Seit Beginn des Konflikts hat die Schweiz Hilfe zugunsten der zahlreichen Opfer des Konflikts geleistet. Bern hat sich stets für eine politische Lösung im Syrien-Krieg eingesetzt und auf die Einhaltung der Menschenrechte eingewirkt.

Im September 2014 hat die Eidgenossenschaft die Resolutionen des Menschenrechtsrats zur Situation in Irak und Syrien unterstützt. Bern unterstützt auch die unabhängige Untersuchungskommission des Menschenrechtsrats für Syrien. Die Schweizerin Carla del Ponte, ehemalige Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs für die Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien, ist Mitglied dieser Kommission.

Die Schweiz beteiligt sich auch an einem Dialog mit Iran und Syrien über humanitäre Fragen. Dieser Dialog war 2013 von der iranischen Regierung initiiert worden. Er zielt unter anderem darauf ab, den Zugang der humanitären Organisationen zur Zivilbevölkerung zu verbessern und die Sicherheit der Hilfskräfte vor Ort zu erhöhen.

Seit 2013 haben fünf Gesprächsrunden stattgefunden. Die letzte wurde am 21. April in Teheran durchgeführt. Teilgenommen hat auch Manuel Bessler, Chef des Schweizerischen Korps für Humanitäre Hilfe (SKH).

(Quelle: Schriftliche Antworten des EDA)

swissinfo.ch: Könnte eine Einigung im Streit um das iranische Atomprogramm die Aussenpolitik Teherans in eine Richtung beeinflussen, die der Region mehr Stabilität verleihen würde?

M.-R.D.: Viele Leute setzen darauf, dass eine Rückkehr Irans aufs internationale Parkett das Land dazu bewegen wird, in regionalen Angelegenheiten, vor allem in Syrien und Irak, konzilianter zu sein. Aber ich bezweifle sehr, ob sich die iranische Position schnell verändern wird.

Die einzige Person, die in der Lage ist, die Richtung der iranischen Aussenpolitik zu ändern, ist der oberste Religionsführer Ali Chamenei, der Architekt dieser Regionalpolitik. Aber bisher hat sich seine Sichtweise nicht stark verändert. Wenn man ihn nach der künftigen Beziehung Irans zu seinen Nachbarn fragt, antwortet er, dass er nicht Diplomat, sondern Revolutionär sei.

Im Moment hat Iran nichts zu gewinnen, wenn es seine Haltung gegenüber Irak, Syrien, Jemen oder Libanon ändert.

swissinfo.ch: Ist diese revolutionäre Haltung immer noch sehr wichtig fürs iranische Regime?

M.-R.D.: Das ist sie, vor allem auf der Ebene der Regierungsführung, beim Führer und dessen engster Umgebung. In anderen Kreisen trifft es weniger zu. Der Präsident der Republik versucht, sich ein wenig von der revolutionären Linie zu distanzieren. Hassan Rohani gibt sich eher diplomatisch als revolutionär.

Aber die iranische Bevölkerung kann dieser revolutionären Politik mittelfristig eine Wende geben. Sie wünscht sich eine rasche Entwicklung des Landes, eine Öffnung der Grenzen, einen internationalen Austausch, weil sie unter der Isolierung Irans stark leidet.

Als am 2. April in Lausanne das Rahmenabkommen zum iranischen Atomprogramm unterzeichnet wurde, ging die Bevölkerung auf die Strasse, um das Ereignis zu feiern. Die Leute sagten, dass dies die erste von weiteren Etappen zu Veränderungen sei. Und dies nach einer revolutionären Periode von 36 Jahren, die noch nicht zu Ende ist.

Dieser Diskrepanz zwischen der Führungssphäre und der Bevölkerung muss sogar ein autoritäres Regime Rechnung tragen.

swissinfo.ch: Einige Beobachter sind überzeugt, dass Iran daran sei, das persische Imperium wieder herzustellen. Hat Iran angesichts der Koalition, die sich um Saudi-Arabien gebildet hat, überhaupt die Mittel dazu? Befindet sich das Land nicht in einer Position der Schwäche?

M.-R.D.: Im Fall einer Einigung glaube ich nicht, dass Washington Saudi-Arabien zugunsten Irans fallen lassen würde. Die USA werden so gut wie möglich wieder die Linie verfolgen, die sie während der Schah-Epoche hatten, nämlich eine Zwei-Säulen-Politik (“twin pillars policy”), bei der sie sich sowohl auf Saudi-Arabien wie auf Iran abstützen können.

Iran befindet sich tatsächlich in einer Position der Schwäche. Die etwas expansive Aussenpolitik kann sich gegen das Land selber richten, umso mehr als diese revolutionäre Politik nicht mehr als islamisch wahrgenommen wird, sondern als schiitisch.

Mohammad-Reza Djalili RTS

Aber die existenzielle Bedrohung, die auf Iran lastet, geht nicht von den USA, Israel oder Saudi-Arabien aus, sondern von einer gravierenden ökologischen Krise. Das Wasser wird in besorgniserregender Art und Weise knapper.

Die Klimaerwärmung betrifft den ganzen Nahen Osten, aber Iran ist am stärksten betroffen. Alle iranischen Seen, so gut wie alle unterirdischen und Oberflächen-Gewässer sind ausgetrocknet. Mitverantwortlich sind auch eine schlechte Ausrichtung der Agrarpolitik sowie eine Misswirtschaft bei der Nutzung der Wasserressourcen.

swissinfo.ch: Die iranische Wirtschaft steht infolge der Sanktionen vor dem Zusammenbruch. Schwächt dieser Wirtschaftsfaktor auch die Unterstützung des Regimes in Syrien?

M.-R.D.: Momentan kursieren viele Gerüchte über eine Abschwächung der finanziellen Unterstützung Syriens, aber auch der libanesischen Hisbollah, dem bewaffneten Arm Irans in Syrien. Wenn die Sanktionen nicht gelockert werden, wird sowohl Irans Regional- wie auch seine Innenpolitik geschwächt. Die Regierung Rohani wurde gewählt, um eine Lösung in der Wirtschaftskrise zu finden, die von einer Lösung des Atomstreits abhängt.

swissinfo.ch: Steuert der Mittlere Osten auf einen erneuten Kräfteausgleich zwischen Saudi-Arabien und Iran zu?

M.-R.D.: Die Dynamik dahinter ist sehr komplex. Sowohl die Iraner wie die Saudis dringen in extrem fragile Territorien ein. Aber weder in Jemen, noch in Syrien oder Irak sind sie in der Lage, dauerhafte Bündnisse zu schmieden.

swissinfo.ch: Angesichts dieser regionalen Instabilität scheint Iran eines der stabilsten Länder der Region zu sein.

M.-R.D.: Gewiss. Wenn man es mit all seinen arabischen oder asiatischen Nachbarn vergleicht, ist Iran ein stabiles Land. Es ist ein Jahrtausende alter, historischer Staat, der seit Beginn des 20. Jahrhunderts modernisiert wurde.

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(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)

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