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“Es ist besser, mit China zu arbeiten, als es zu ignorieren”

Bertrand Badré, Finanzdirektor der Weltbank mit der Frauen-Selbsthilfeorganisation im Dorf Bara in Gaya, Bihar, Indien. AFP

Nachdem China im Oktober 2014 die Asian Bank für Investitionen in die Infrastruktur (AIIB) gegründet hatte, ist diese zu einer Rivalin der Weltbank geworden. Bertrand Badré, Finanzdirektor der Weltbank, begrüsst dennoch die Initiative. Interview.

Nach ihrer anfänglichen Kritik haben die USA ihre Vorbehalte nun relativiert. “Wir begrüssen die AIIB und wir ermutigen sie zur Kofinanzierung von Projekten zusammen mit bestehenden Institutionen wie der Weltbank und der asiatischen Entwicklungsbank”, sagte Aussenminister John Kerry Mitte Mai bei einem Besuch in Peking. “Die neue Bank wird unsere hohen Standards für globale Finanzinstitute übernehmen müssen.”

Die Schweiz ist eines von 57 Länder, die ihr Interesse an einem Beitritt zur AIIB als Gründungsmitglied ausgedrückt haben. Die USA und Japan haben die in Peking ansässige Institution bisher eher geschnitten und gaben ihren Zweifeln an Chinas Fähigkeit zur ordnungsgemässen Unternehmensführung Ausdruck.

In einem Interview mit swissinfo.ch am St. Gallen Symposium sagte Bertrand Badré, Finanzdirektor der Weltbank, die AIIB könne viel bieten und forderte die USA auf, sich ” in den Diskussionen zu engagieren”.

swissinfo.ch: Heisst die Weltbank die AIIB willkommen?

Betrand Badré: Die Weltbank heisst die AIIB aus verschiedenen Gründen willkommen. Wir müssen im Einklang sein mit dem, was wir sagen. Wir sagen vor allem, dass die Bedürfnisse enorm sind und wir sagen, dass wir die Armut beseitigen wollen und dass es einen Bedarf von jährlich bis 2000 Milliarden Dollar an ungedeckten Infrastrukturfinanzierungen gibt. Wir allein können damit nicht umgehen. Zusätzliche Ressourcen sind immer willkommen. Wir müssen Projekte anstossen, und je mehr Leute Projekte anstossen, desto besser. Ich denke, es gibt Raum für alle.

swissinfo.ch: Wie eng werden die Weltbank und die AIIB zusammenarbeiten?

B.B.: Wir haben keinen offiziellen Vertrag, aber wir arbeiten mit ihnen zusammen. China versucht wie die USA 1945, ein System zu etablieren, das es dominiert, aber es muss auch teilen.

Die asiatische Investitionsbank

Gemäss den chinesischen Plänen soll die AIIB Anfang 2016 ihre Tätigkeit aufnehmen. Der Hauptsitz soll in Peking angesiedelt werden.

Die AIIB soll sich auf die Finanzierung einer Reihe von Infrastrukturprojekten in der Region, einschliesslich Energie, Verkehr, Kommunikation, Wasserversorgung und Abwasserentsorgung konzentrieren.

Am 20. März 2015 kündigte die Schweiz formell an, sie wolle sich als eines von 57 Ländern an der Gründung der AIIB beteiligen. Das Vorhaben muss noch vom Parlament bewilligt werden. 

swissinfo.ch: Die AIIB hat 58 potentielle Mitglieder. Wie organisieren Sie das?

B.B.: Das ist eine sehr praktische Frage. Die Weltbank kann dabei helfen, denn wir machen das schon seit mehr als 70 Jahren.

swissinfo.ch: Ist der Streit der USA und Japan mit China eine unwillkommene politische Ablenkung?

B.B.: Ich bin nicht Sprecher von Japan oder den USA. Ich glaube nicht, dass sich voraussagen lässt, was die Leute tun werden. Wenn wir zusammenarbeiten, ist das der beste Weg, um sich näher zu kommen. Wenn wir China ignorieren, werden  es die Chinesen auf eigene Faust tun, und wir werden keine Kontrolle haben. Ich denke, es ist besser, zusammenzuarbeiten. Das ist ein kritischer Moment für die USA. Sie müssen sich an den Diskussionen beteiligen.

swissinfo.ch: Ist es richtig, dass sich so viele andere Länder – 56 einschliesslich der Schweiz – so schnell interessiert gezeigt haben, neben China als Gründungsmitglieder beizutreten?

B.B.: Länder wie Grossbritannien, Australien und Frankreich haben sich zu einer Teilnahme entschieden, weil sie sicherstellen wollten, dass alles richtig funktioniert. Diese Beteiligten wollen, dass die Tätigkeiten der AIIB im Einklang stehen mit dem, was sie bei anderen Organisationen, namentlich bei der Weltbank, tun.

Das bringt einen Multilateralismus in einem Ausmass, den China zu Beginn vielleicht nicht im Kopf hatte. Diese Länder werden eine Stimme bekommen und ihre Meinung einbringen können.

swissinfo.ch: Besteht nicht die Gefahr, dass sich die AIIB und die Weltbank gegenseitig auf die Zehen treten?

B.B.: Das ist ein gesunder Wettbewerb und ein Ansporn für uns, noch mehr zu tun. Zudem hilft es uns, uns zu reformieren. Die AIIB wird Zeit brauchen, um punkto Finanzierung auf das Niveau der Weltbank zu kommen. Es geht nicht nur ums Geld, sondern auch um Kompetenzen und um die Fähigkeit, ein Projekt zu betreuen, damit es funktioniert. Wir werden also genügend Zeit haben, uns anzupassen.

swissinfo.ch: Die AIIB will sich auf Infrastruktur-Projekte konzentrieren. Ist das die richtige Vorgehensweise?

B.B.: Die Infrastrukturen auszubauen, ist eine absolute Notwendigkeit, um das Ziel, die Armut zu beseitigen., zu erreichen  Wir müssen drei Arten von Infrastrukturen unterscheiden: soziale (vor allem Bildung), physikalische (Transport, Energie, Telekommunikation usw.) und Finanzinfrastruktur.

swissinfo.ch: Stimmt es, dass China die AIIB gegründet hat, weil das Land bei der Weltbank wenig zu sagen hat?

B.B.: Schwellenländer haben seit der Reform im Jahr 2010 48% der Stimmrechte bei der Weltbank. Das ist relativ ausgewogen. Stimmrechte basieren nicht lediglich auf der Wirtschaftskraft der Länder.  Die Formel ist komplexer.

Die Weltbank ist eine Entwicklungs-Institution, die mit Zuschüssen arbeitet. Die Wahrheit ist, dass, die grössten Zuschüsse von Europa (die Schweiz ist ein grosser Spender), den USA, Japan und Australien kommen und weniger von China und anderen Ländern.

Es gibt eine Frustration unter den BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) über die Stimmrechtsreform des IWF, die im US-Kongress ins Stocken geraten ist. In diesem Punkt gibt es die grössten Spannungen. China hat die AIIB nicht nur gegründet, um zu beweisen, dass die Bretton-Woods-Institutionen falsch sind. Da steckt mehr dahinter.

(Übersetzt aus dem Englischen: Andreas Keiser)

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