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“Die Sozialhilfe kommt für Auslandschweizer nur im Extremfall zum Tragen”

Mann mit Mundschutz wartet auf Heimflug
Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer rund um den Globus sehen unsicheren Zeiten entgegen und haben deshalb viele Fragen. Keystone / Marwin Productions

Die Beratungsdienste für Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer der Genossenschaft SoliswissExterner Link werden derzeit rege genutzt. Die Geschäftsführerin von Soliswiss, Nicole Töpperwien, sagt mit welchen Anfragen sie im Moment konfrontiert sind. Dabei haben wir erfahren, dass Auslandschweizer viele verschiedene Möglichkeiten haben, Unterstützung zu erhalten.

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Sie beraten Menschen rund ums Auswandern, Globetrotten, Reisen und Rückkehren. Wie erleben Sie diese Tage?

Nicole Töpperwien: Wir haben vor allem am Anfang der Corona-Krise, als es zu Reisebeschränkungen kam, eine sehr grosse Anzahl von Anfragen erhalten. In den ersten Tagen ging es hauptsächlich um die Rückreise in die Schweiz, nun erhalten wir viele Anfragen wegen finanzieller Sorgen. Sprich: Die “Corona-Anfragen” haben zugenommen, Fragen zum Auswandern sind zurückgegangen.

Schweizer Touristen sind in den letzten Tagen in aller Welt gestrandet. Was haben Sie den Reisenden geraten?

NT: Wir haben uns sehr stark daran ausgerichtet, was das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA empfohlen hat. Wir haben die Leute dazu ermutigt – soweit wie möglich –, mit den Fluggesellschaften und Reiseveranstaltern direkt in Kontakt zu treten, sich auf der Travel Admin-AppExterner Link zu registrieren und im Zweifel, die Schweizer Vertretung vor Ort oder die EDA-Helpline zu informieren.

Das grösste Bedürfnis war in diesen Tagen, dass sie überhaupt jemanden am Telefon hatten. Oftmals waren weder Fluggesellschaften noch Reiseveranstalter oder die Schweizer Vertretung vor Ort erreichbar. Diese wurden mit so vielen Anrufen konfrontiert, dass sie nicht alle entgegennehmen konnten.

Portrait Nicole Töpperwien
Nicole Töpperwien ist die Geschäftsführerin von Soliswiss. © Eveline Zurwerra

Viele Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer sind entweder hier gestrandet oder freiwillig vorübergehend zurückgekehrt. Es stellen sich Fragen um Anmeldung am Wohnort, Sozialversicherungen und Steuern. Wie sollen die Betroffenen vorgehen?

NT: Wir hatten viele Auslandschweizer, die hier gestrandet sind und unbedingt zurückwollten. Den meisten ist die Rückkehr gelungen.

Denjenigen, die sich entschieden haben, hier zu bleiben, haben wir geraten, in einem ersten Schritt mit der Gemeinde Kontakt aufzunehmen, um die Fragen der Anmeldung oder dann auch der obligatorischen Krankenversicherung zu klären. Der Rückkehr Ratgeber des EDAExterner Link gibt viele nützliche Tipps über das Vorgehen bei der Rückkehr.

Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer, die befürchten, dass es in ihrer Wahlheimat zu mehr Gewalt oder sogar bürgerkriegsähnlichen Zuständen kommen könnte, fragen vorsorglich nach, welche Rückkehrmöglichkeiten bestehen. Wie beraten Sie diese?

NT: Gerade in diesen Fällen kann es keine pauschale Antwort geben. Es gibt verschiedene Aspekte. Einerseits die allgemeine Rückkehrproblematik: Wohnung finden, administrative Dinge vorkehren oder Beantragen von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld.

Jetzt kommen aber noch die praktischen Herausforderungen dazu. Wird es überhaupt möglich sein, das Land im Notfall schnell zu verlassen? Gibt es Flüge, gibt es Transitbeschränkungen? Dies erhöht die Verunsicherung bei den Betroffenen.

Welche Rückkehrhilfen bestehen konkret?

NT: In Notsituationen kann man sich an die Schweizer VertretungExterner Link vor Ort wenden. Über die Sozialhilfe für Auslandsschweizerinnen und Auslandschweizern kann der Bund iExterner Linkn gewissen Fällen auch eine Rückkehr finanzieren. Dann gibt es den E.O. Kilcher FondsExterner Link, der von der Auslandschweizer Organisation verwaltet wird und in gewissen Fällen ebenfalls Rückkehrer unterstützen kann. Soliswiss kann ihre Mitglieder in gewissen Fällen finanziell unterstützen, wenn sie aus politischen Gründen ihre wirtschaftliche Existenz verlieren.

“Das grösste Bedürfnis war in diesen Tagen, dass sie überhaupt jemanden am Telefon hatten.”

Wenn man dann erst einmal in der Schweiz ist, kommt die Hilfe vom Schweizer Staat zum Zug, wie sie allen Schweizern und Schweizerinnen in der Schweiz offen steht.

Aber es ist nicht so, dass alle Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer, die zurückkommen, mittellos sind. Sehr viele sind nicht auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Es geht dann eher um Unterstützung bei der Jobsuche oder bei der Suche nach einer Ausbildungsstelle.

Schweizerinnen und Schweizer im Ausland haben im Moment finanzielle Sorgen – etwa Personen, die vom Tourismus abhängig sind. Welche Möglichkeiten haben sie?

NT: Bei der Mehrheit der Anfragen, die wir von der Auslandschweizer-Gemeinschaft erhalten, ist es der Herzenswunsch der Betroffenen, das zu bewahren, was sie sich in ihrer Wahlheimat aufgebaut haben. Sie wollen nicht aus wirtschaftlichen Gründen in die Schweiz zurückkehren müssen.

Die grosse Frage ist, welche wirtschaftliche Unterstützung Ihnen im Ausland zur Verfügung steht. Wir raten, sich im Wohnland zu informieren, welche Unterstützungsprogramme es vor Ort gibt. Viele sind gerade erst im Entstehen. Die Sozialhilfe für Auslandschweizer kommt nur im absoluten Extremfall zum Tragen.

Diejenigen, die sich dann trotzdem entscheiden, in die Schweiz zurückzukehren, können wir nur sehr vorsichtig beraten. Wir sind uns zurzeit nicht sicher, inwieweit sie von den Corona-Massnahmen profitieren können. Zum Beispiel sind wir unsicher, ob etwa Selbständige, die zurückkehren von den Erwerbsausfallregelungen profitieren können.

“Die grosse Frage ist, welche wirtschaftliche Unterstützung Ihnen im Ausland zur Verfügung steht.”

Es ist also zweifelhaft, ob Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer vom Schweizer Hilfspaket für Selbstständige profitieren können. Wie sieht es denn mit Arbeitslosengeld aus? Können sich Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer, die in die Schweiz zurückkehren, bei der Arbeitslosenkasse anmelden?

NT: Unter Umständen ist dies möglich. Dafür muss man jedoch gewisse Kriterien erfüllen. Zum Beispiel müssen aus nicht-EU Ländern rückkehrende Schweizer und Schweizerinnen zwei Jahre vor Leistungsbeginn entweder zwölf Monate in der Schweiz oder zwölf Monate im Ausland und sechs Monate in der Schweiz als Angestellte gearbeitet haben, um Leistungen der Arbeitslosenversicherung beziehen zu können. Nach einem langen Auslandsaufenthalt ist es häufig schwierig, diese Voraussetzungen zu erfüllen.


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Auch Globetrotter fragen Sie um Hilfe. Was wollen diese konkret von Ihnen wissen und was sagen Sie ihnen?

Die Lage hat sich schnell verändert. Auch Reisende brauchten Zeit, bis sie sich bewusst wurden, wie ernst die Situation rund um den Globus ist. Wir haben Anfragen von Globetrottern, die möglichst schnell nach Hause kommen wollen. Da stellen sich ähnliche Fragen, wie bei Schweizer Touristen.

Und dann kontaktieren uns Globetrotter, die sich überlegen, weiterzureisen. Da kommen Fragen auf, welche Grenzen zu sind, welche eventuell noch offen. Wir versuchen die Reisenden zu sensibilisieren, dass sich die Situation sehr schnell verändern kann und dass es zum Beispiel nur für eine begrenzte Zeit organisierte Rückflüge geben könnte.

Auch muss ihnen bewusst sein, dass sie eventuell für längere Zeit in einem Land bleiben müssen. Was passiert dann mit dem Visum? Haben sie einen Standort, wo die Hygienemassnahmen eingehalten und ein Notvorrat angelegt werden kann? Wie sieht es mit der medizinischen Versorgung aus, sind genügend finanzielle Mittel vorhanden? Das sind Fragen, die wir mit ihnen besprechen. Der Entscheid liegt aber bei der Person selbst – wir können nur beraten und unterstützen.

Ursprünglich stand die finanzielle Absicherung für Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer im Vordergrund. Heute beratet sie ihre Mitglieder zu verschiedenen Themen, unterstützt und begleitet in gewissen Notlagen konkret und stellt ihnen Dienstleistungen zur Verfügung, die man sonst nicht immer so einfach findet. Sei es Aus- oder Rückwanderungsberatung, Informationen für Globetrotter, über Partner Zugang zu gewissen Versicherungslösungen oder auch eine Zustelladresse in der Schweiz.

Soliswiss ist vor allem in der momentanen Corona-Krise grosszügig und berät auch Nichtmitglieder. Dabei ist die Genossenschaft in erster Linie für ihre Mitglieder da, die dafür auch einen Mitgliederbeitrag zahlen. Wenn sich Nichtmitglieder an Soliswiss wenden, dann wird die jeweilige Situation geprüft und nicht direkt abgewiesen. In der Regel wird darum gebeten, Mitglied zu werden oder sich für die Beratungsdienstleistung zum Beispiel mit einer Spende erkenntlich zu zeigen.

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