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Debatte im Ausland um die Wahlen im Inland

V.l.n.r. Toni Brunner, Hansjürg Fehr, Markus Hutter und Filippo Lombardi an der Podiumsdiskussion. ASO

Vier Exponenten der grossen Schweizer Parteien warben am Kongress der Auslandschweizer für Stimmen aus der 5. Schweiz. Im Zentrum der Debatte standen die bilateralen Verträge. Zur Sprache kam auch das Engagement für die Schweizer im Ausland.

Es sei ganz klar ein Wahlkampf, der an dieser Podiumsdiskussion ausgetragen werde, kommentierte ein Zuhörer die Podiumsdiskussion an der Konferenz der Auslandschweizer-Organisationen (ASO) in Deutschland, die in diesem Jahr in München stattfand.

Hauptstreitpunkt der Debatte waren die bilateralen Verträge, welche die Schweiz mit der Europäischen Union abgeschlossen hatte und die Frage, ob sich diese positiv oder negativ auf das Leben in der Schweiz auswirkten.

Die Positionen der Politiker auf dem Podium und die Argumente, mit denen sie die Auslandschweizer zu überzeugen versuchten, liegen zum Teil weit auseinander. Immerhin leben 70’000 Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer in Deutschland, und um deren Wählerstimmen wurde heftig gebuhlt.

Dass auch Schweizer in Deutschland die politischen Geschehnisse in der Schweiz ganz genau verfolgen, zeigte sich an den Reaktionen im Publikum. Nicht nur im Inland, auch in der so genannten 5. Schweiz sind viele Meinungen allerdings schon gemacht. Für die in Deutschland lebenden Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer scheint die positive Seite der bilateren Verträge zu überwiegen.

Die Ausländerfrage

Filippo Lombardi äusserte sich als erster zur Frage des Moderators Peter Kaul, Vizepräsident der ASO-Deutschland, wie es denn in der Schweiz mit den Ausländern stehe.

Der Rechtsstaat gelte für alle, ausländische Personen sollten deshalb in der Schweiz so bestraft werden, wie Leute mit einem Schweizer Pass, führte der Ständerat der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) aus dem Kanton Tessin aus. Für die Wirtschaft sei die Einwanderung positiv.

Der Diskurs über Ausländer in der Schweiz werde stark verzerrt, sagte Nationalrat Hans-Jürg Fehr von der Sozialdemokratischen Partei (SP). Ständig werde versucht, mit den Missbräuchen in den Sozialwerken Politik zu machen.

Aber: “Es erstaunt mich, dass wir beim Thema Missbrauch nie etwas von den Gesetzesverletzungen der schweizerischen Arbeitgeber hören.” 40% von ihnen halten sich laut Fehr nicht an die Gesetze und bezahlen ausländischen Arbeitnehmern Dumpinglöhne.

Laut Nationalrat Toni Brunner, Präsident der Schweizerischen Volkspartei (SVP), ist seine Partei die einzige, die sich traut, die wahren Missstände in der Schweiz zu benennen. “330’000 Personen sind seit dem Jahr 2004 netto in die Schweiz gekommen. Wohin mit all diesen Leuten?” Es gebe zu wenig Wohnungen und die Verkehrsinfrastruktur breche zusammen.

Deshalb wolle die SVP die Zuwanderung mit einer Initiative beschränken. Man müsse halt neue Verträge mit der EU auszuhandeln versuchen.

Markus Hutter, Nationalrat der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP.Die Liberalen), sieht die Schweiz als offenes Land. “Der Erfolg der Schweizer Wirtschaft gründet massgeblich auf Ausländern, auf die wir im Nachhinein stolz sind.” Er nannte Firmen wie Nestlé und Brown Boveri, die von Einwanderern aus dem Ausland in der Schweiz gegründet worden waren.

Die Schweiz, meinte er, habe im Vergleich zu anderen Ländern einen hohen Ausländeranteil. Doch: “Gibt es ein Land in Europa, das eine derartige wirtschaftliche Steigerung erreicht hat wie die Schweiz?” Für Hutter und seine Partei ist die Personenfreizügigkeit, die in den bilateralen Verträgen festgehalten ist, ein Erfolgsmodell. “Sie zu gefährden, wäre fahrlässig”, meinte er.

Atomausstieg

Die deutschen Medien hätten den Entscheid des Schweizer Bundesrats, aus der Atomenergie auszusteigen, positiv bewertet, sagte Podiumsleiter Peter Kaul. Drei der vier Schweizer Politiker sahen dies aber nicht so. Einzig Hans-Jürg Fehr befürwortet den Atomausstieg. Für ihn kommt er allerdings 20 oder 30 Jahre zu spät.

SVP-Präsident Toni Brunner kritisierte das Vorgehen des Bundesrats. Wenn man keine Strategie zum Ersatz der Atomkraftwerke habe, hätte man nicht entscheiden sollen, und man müsse die Zuwanderung begrenzen, denn die Ausländer brauchten auch Strom.

Filippo Lombardi von der CVP, deren Bundesrätin den Ausstieg befürwortet, konnte sich trotzdem nicht wirklich dafür begeistern. Vielleicht sei der Ausstiegsentscheid ein Schnellschuss gewesen, sagte er. Und der Freisinnige Markus Hutter prophezeite gar einen Wirtschaftskollaps als Folge der notgedrungenen Erhöhung der Strompreise.

“Wir haben zwar die technischen Voraussetzungen, um einen Atomausstieg zu bewältigen, aber haben wir auch die politischen Voraussetzungen?”, fragte Fehr von der SP. Er habe seine Zweifel, dass die richtigen Massnahmen in die Wege geleitet werden könnten.

Einsatz für die Schweizer im Ausland

Nach der Pause standen die Schweiz und Europa zur Debatte. Eine Abstimmung in der Schweiz über einen EU-Beitritt wäre zur Zeit nicht zu gewinnen, über diesen Punkt waren sich die vier Politiker zwar einig. Gestritten wurde hingegen über die Frage, ob ein Beitritt überhaupt sinnvoll oder wünschbar wäre.

Die für das Publikum wohl entscheidende Frage, welche Partei wie viel für die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer getan habe, stellte Peter Kaul zuletzt.

Brunner pries seine Partei als die fortschrittlichste an, denn sie habe am meisten Listen für Auslandschweizer zu Stande gebracht.

Fehr plädierte für eine richtige Repräsentanz der im Ausland lebenden Schweizerinnen und Schweizer im Parlament, dafür, dass man der 5. Schweiz wie einem Kanton zwei Ständeratssitze zugestehen würde. In diesem Punkt wurde er von Filippo Lombardi unterstützt. Lombardi plädierte auch für das Auslandschweizergesetz, das zur Zeit ausgearbeitet wird.

Markus Hutter zweifelte daran, ob das Gesetz für Auslandschweizer den Inlandschweizern in den Kram passen wird. Die FDP arbeite nicht mehr mit speziellen Listen für Kandidierende aus dem Ausland. Integriert in den normalen Listen hätten die Kandidaten aus dem Ausland bessere Chancen, gewählt zu werden, meinte er.

Das Manifest fasst die zentralen politischen Anliegen der Auslandschweizer zusammen:

Schaffung eines Auslandschweizer-Gesetzes.

Erleichterung der Wahrnehmung der politischen Rechte (e-Voting, Teilnahme an den Ständeratswahlen).

Förderung der internationalen Mobilität der Schweizerinnen und Schweizer (Personenfreizügigkeitsabkommen, Abbau von Hürden).

Adäquate konsularische Betreuung (ausreichendes Konsularnetz, Ausbau e-Governement).

Ausbau der Kommunikation mit der 5. Schweiz (Schweizer Revue, swissinfo.ch, SwissCommunity).

Aufwertung des Auslandschweizerrats als Repräsentationsorgan.

Stärkung/Ausbau der internationalen Präsenz und Mitwirkung der Schweiz.

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