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Der Besuch der alten Dame

Margrit Mondavi auf dem Weingut im kalifornischen Napa Valley. Annina Bosshard westwärts

Mondavi ist ein Top-Name in der Weinwelt. Die Appenzellerin Margrit Mondavi, Gattin des kalifornischen Weinpioniers Robert Mondavi, lebt seit 1960 in den USA. Die 84-Jährige fühlt sich als Amerikanerin, besucht aber regelmässig die Schweiz.

Jüngst war die rüstige alte Dame für eine Ausstellung und ein Buch über Schweizer Auswanderinnen in die USA im Museum für Lebensgeschichten in Speicher, Kanton Appenzell Ausserrhoden, zu Besuch.

Der ganze Medienrummel um sie scheint die “Grand Old Lady” des kalifornischen Weins nicht aus der Ruhe zu bringen. “Fragen Sie alles, was Sie wollen”, lacht sie dem swissinfo.ch-Reporter ins Gesicht.

Und der fragt sie, ob die aus dem Kanton Appenzell AR stammende Margrit Mondavi – ihre Eltern kamen beide aus Walzenhausen – nicht nostalgische Gefühle habe, wenn sie hier in Speicher sei. “Vielleicht nicht so sehr wegen der Region. Aber ja, ich bin nostalgisch, ich besuche die Schweiz immer wieder.”

Glückliche Jugend im Tessin

Die Eltern der am 2. August 1925 geborenen Margrit Kellenberger zogen, als diese 9 Monate alt war, ins Tessin. Dort verbrachte Margrit mit ihren jüngeren Geschwistern Victor und Vera eine glückliche Jugend.

“Wir wohnten in Orselina über dem Lago Maggiore, mit einer wunderbaren Aussicht auf den See, einem grossen Garten. Die Landschaft war subtropisch, es war wie auf einer Postkarte.” Wichtig für Margrit war auch die italienische Sprache, die sie in der Schule lernte, die Tessiner Kultur, die der italienischen ähnlich war.

“Als ich in die Primarschule ging, musste ich 500 Treppen hinauf zur Schule im Gemeindehaus. Am Mittag wieder 500 Treppen hinunter zum Mittagessen nach Hause, dann wieder 500 Treppen hoch – eine richtige Fitnessübung.”

Offenheit trotz Krieg

Margrit wuchs während dem Zweiten Weltkrieg auf. “Im Süden war Italien, im Norden Deutschland, wir waren von Faschisten umzingelt. Mein Vater war allzeit bereit zum Kampf gegen den Faschismus.” Die Familie Kellenberger hatte ein offenes Haus für Flüchtlinge. Diese Offenheit ihrer Eltern, die habe sie behalten.

“Wahrscheinlich hat die Kriegserfahrung auch etwas damit zu tun, dass ich später in die USA ging, denn wir waren in der Schweiz ja so eingeschlossen, man konnte nirgends hingehen.”

Noch während dem Krieg lernte Margrit in Clarens am Genfersee, wo sie in einem Internat Französisch lernte, den US-Offizier Phil Biever kennen, den sie 1946 heiratete. “Als Phil sagte, ich solle mit ihm in die USA gehen, war alles klar: Amerika war für mich wie Hollywood. Es kam dann aber anders, denn wir landeten in South Dakota”, lacht sie.

Nachkriegs-Nomadenleben

Margrit Biever führte mit ihrem Mann nach dem Krieg mehrere Jahre lang ein Armee-Nomadenleben: Deutschland, South Dakota, wo ihr erster Sohn Philip geboren wurde, wieder Deutschland, wo sie Tochter Annie gebar, wieder USA, wo das dritte Kind Phoebe zur Welt kam, Japan, Cincinnati, Puerto Rico – “ein ewiges Nomadenleben”, seufzt Margrit Mondavi.

Dann endlich die Sesshaftigkeit: 1960 liess sich die Familie Biever im Napa Valley, Kalifornien, nieder. Margrit Biever fand im Mondavi-Weinpionier-Familienbetrieb einen Job.

“Seifenoper” mit Robert Mondavi

In den 60er-Jahren zerstritten sich die Mondavi-Brüder. Robert verliess den Familienbetrieb und gründete die neue Robert-Mondavi-Winery. Margrit folgte ihm. Sie liess sich von ihrem Mann Phil Biever scheiden. Auch Robert Mondavi liess sich scheiden.

“Phil und ich hatten uns auseinander gelebt. Aber er war ein guter Mann, ein sehr guter Vater unserer drei Kinder.” Im Mai 1980 heiratete Margrit Robert Mondavi.

“Robert wollte mehr über Kunst wissen. Ich organisierte in der Winery Kunstausstellungen und Konzerte: Ella Fitzgerald, Harry Belafonte, der Buona Vista Social Club. Mein Interesse für Wein wuchs, wir verstanden uns immer besser, es passierte dann einfach.” Und sie fügt lachend bei: “Meine Geschichte mit Robert Mondavi tönt wie eine Seifenoper.”

Coca-Cola- oder Weinkultur?

Wein ist in den USA kein altes Kulturgut wie in Europa. Haben die Mondavis den USA den Wein näher gebracht? Margrit Mondavi: “Ich weiss es nicht, in den USA wird immer noch viel Coca Cola getrunken. An der Ostküste, New York, Washington, Boston, existierte schon immer eine Weinkultur, weil es dort viele emigrierte Europäer gab; sonst in den USA aber nirgends. Die Leute tranken vielleicht mal zu Weihnachten oder an einer Hochzeit ein Glas Wein. Das war’s dann aber.”

Zwar gebe es in ihrer Winery immer mehr US-Gäste, die etwas von Wein verstünden. “Aber dass es jetzt eine Weinkultur in den USA gibt, würde ich nicht sagen.”

Faszination Amerika

Im Sommer 2008 starb Robert Mondavi (95). Eine romantische Liebesgeschichte zwischen einem Pionier des US-Weinbaus und einer Kunst- und Kulturförderin war zu Ende. Dennoch will Margrit Mondavi nicht in die Schweiz zurückkehren. Was fasziniert sie derart an Amerika?

“Wenn Sie als junge Frau in dieser damals geschlossenen Gesellschaft in der Schweiz der 40er-Jahre aufwuchsen, gab es beruflich nicht viel Zukunft: Lehrerin, Sekretärin oder Krankenschwester. In den USA gab es viel mehr Möglichkeiten für Frauen, das war eine Attraktion für mich. Amerika bewegte sich viel schneller als die Schweiz. Die Leute in den USA waren sehr offen, in der Schweiz ist man noch heute zurückhaltend.”

Aber auch die Schweiz hat Margrit Mondavi immer fasziniert. “Die Qualität ist diese Bodenständigkeit, die Schönheit der Landschaft, die Sicherheit, um die man uns überall ein wenig beneidet.”

Auch mit 84 noch politisch interessiert

Margrit Mondavi interessiert sich für das politische Geschehen in der Schweiz – “soweit ich kann”. Sie stimmt als Auslandschweizerin immer brieflich ab: “Ich will was zu sagen haben in meiner Heimat.”

Und die US-Politik? Margrit Mondavi: “Ich bin sehr froh, dass wir jetzt Barack Obama haben. Es war allerhöchste Zeit, dass die Bush-Junior-Jahre endlich beendet wurden.”

Jean-Michel Berthoud, Speicher, swissinfo.ch

Margrit Kellenberger wird am 2. August 1925 in St. Gallen geboren. Ihre Eltern, beide Bürger von Walzenhausen, Appenzell Ausserrhoden, ziehen ins Tessin, als Margrit gerade mal 9 Monate alt war. In Orselina, oberhalb von Locarno, wächst Magrit auf und besucht u.a. die Kunstschule von Minusio.

Mit 20 Jahren heiratet sie den US-Offizier Philip Biever. Sie folgt ihm nach Deutschland, Japan, später an verschiedene Einsatzorte in den USA. Das Paar hat drei Kinder. 1960 lässt sich die Familie im kalifornischen Napa Valley nieder.

Margrit Biever beginnt als Tour Guide bei der Charles Krug Winery zu arbeiten. 1967 tritt sie in die PR-Abteilung der neu gegründeten Robert Mondavi Winery ein, die sie bald darauf leitet. Sie organisiert Konzerte, Ausstellungen und andere Kulturevents und macht sich einen Namen als Kunst-Mäzenin.

Nach der Scheidung von Philip Biever heiratet Margrit am 17. Mai 1980 Robert Mondavi, den Pionier des kalifornischen Weinbaus. 2008 stirbt Robert Mondavi, mit dem Margrit 28 glückliche Jahre zusammen im Napa Valley lebte, im Alter von 95 Jahren. Margrit Mondavi ist mehrfache Grossmutter.

In ihrem Buch “Westwärts – Begegnungen mit Amerika-Schweizerinnen” (eFeF-Verlag Bern/Wettingen, 2009) porträtiert die Schwyzer Journalistin und Kommunikationsfachfrau Susann Bosshard-Kälin 15 Schweizerinnen, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in die USA ausgewandert sind. Eine von ihnen ist Margrit Mondavi Biever Kellenberger.

Der bis 2003 in Chicago lehrende Schweizer Historiker Leo Schelbert hat in “Westwärts” einen Essay über Frauen in den USA und einen Beitrag zur Geschichte der Auswanderung aus der Schweiz im 18. und 19. Jahrhundert beigesteuert.

Das Museum für Lebensgeschichten in Speicher, Kanton Appenzell Ausserrhoden, stellt fünf Porträtierte in einer kleinen Ausstellung aus (6. November bis 31. Januar 2010). Darunter befindet sich auch Margrit Mondavi, die an der Vernissage der Ausstellung präsent war.

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