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Der Botschafter der offenen Hand

Die offene Hand - für Kurt Zaugg viel mehr als eine Sitzgelegenheit. swissinfo.ch

Kurt Zaugg, der seit fast 20 Jahren in Spanien lebt, will dort vor allem eines erreichen: Die Schweiz vor der Vergessenheit bewahren.

Madrid begeistert den ehemaligen Direktor der dortigen Schweizerschule nach wie vor: Ihm gefallen die Offenheit der Menschen und die Dynamik der Entwicklung.

Die Reise mit dem Bus Nummer 193 nach San Agustin del Guadalix hat in der Gegenwart begonnen: Die Puerte de Europa mit den beiden einander zugeneigten Glastürmen, welche die altehrwürdige Plaza Castilla einfassen, steht für das stolze Spanien als starke Stütze im modernen, vereinten Europa.

Aus Madrid führt die Autobahn hinaus durch Vororte und den Neubau-Gürtel, wo Hunderte skelettartige oder fertig aufgezogene Wohnblocks den Stadtrand täglich weiter in die Pampa hinausschieben. Nach knapp 30 Kilometern endet die Fahrt.

Eine offene Hand: Das graue Sofa dominiert den hellen Wohnraum von Kurt Zaugg. Zum Gespräch setzt er sich bei Ring- und kleinem Finger. Schon nach den ersten Sätzen wird klar: Die offene Hand hat Symbolcharakter. Als Chiffre für offene Begegnungen mit anderen Menschen und Kulturen, wie bei Le Corbusier.

Das weisse Haus, in dem der gebürtige Burgdorfer seit wenigen Jahren wohnt und arbeitet, gehört zu einem Gutsbetrieb, der ausser Sichtweite liegt. Der eingeschossige Bau ist umgeben von sanften Pferdeweiden, die mit alten Baumbeständen aufgelockert sind. Ihr Grün kontrastiert mit dem ausgebleichten Boden – es herrscht Dürre.

Globaler Europäer

“Ich fühle mich als Europäer, es spielt keine Rolle, wo man lebt, ob in der Schweiz, Deutschland, Frankreich, Italien, oder eben Spanien.” Zaugg empfindet es als “fantastisch”, dass sich die Schweizer jetzt dank der Bilateralen in diesem Europa frei bewegen können. Die Idee der Europäischen Union, verschiedene Kulturen zu verbinden, lobt er als “zukunftsträchtig”.

Seine Welt endet aber nicht im blauen Himmel mit den gelben Sternen. Eben erst ist Zaugg von einem Aufenthalt bei seinem Sohn zurückgekehrt, der im Silicon Valley bei San Francisco lebt und forscht. Und nächste Destination ist Hong Kong, wo seine Tochter – ebenfalls jobbedingt – seit neuestem zu Hause ist.

Suiza no existe…

Doch wieder zurück nach Spanien. Dort ist die Schweiz praktisch nicht existent, wie Kurt Zaugg bis heute immer wieder feststellen muss. “Sie steht ausserhalb Europas, das merkt man gerade hier.” Wer das Land nicht sowieso mit Schweden verwechsle, denke meist in Klischees, also an Banken, Schneeberge, Käse und Schokolade. Er ist deshalb überzeugt: Wolle die Schweiz mehr wahrgenommen werden, müsse sie sich “sehr stark verkaufen”.

Kurt Zaugg ist ein nimmermüder Verkäufer. Sein Geschäft: Die Schweiz mehr ins Bewusstsein der Menschen in seiner Wahlheimat rücken. “Ich wollte immer ein Beziehungsnetz für alle diejenigen aufbauen, die sich für die Schweiz interessieren.”

Sein Beruf war ihm dabei eine ideale Ausgangsbasis. “Als Direktor der Schweizerschule konnte ich gut Interesse wecken und Informationen verbreiten.” Er versuchte, Schülern, Eltern und einem Vortragspublikum die Schweiz so darzustellen, wie sie tatsächlich sei: Interessant, vielschichtig und mit ihren Vor- und Nachteilen. “Ich informierte auch darüber, wieso die Schweiz gegenwärtig nicht der EU beitreten will”, so Zaugg.

Effektive Schüleraustausch-Programme

Zauggs gefragtester Artikel: Die Schüleraustausch-Programme. Die Studienaufenthalte haben in beide Richtungen funktioniert. “Die spanischen Schüler, die ein halbes oder ganzes Jahr in der Schweiz verbrachten, kamen ganz anders zurück. Sie hatten viele positive Eindrücke, die sie an ihre Kameraden, Verwandten und Bekannten weitergaben”, freut sich ihr ehemaliger Direktor.

Umgekehrt seien die Austauschschüler aus der Schweiz immer wieder beeindruckt gewesen von der Offenheit der Menschen in Madrid und der ansteckenden Dynamik im Land.

Tempo Tempo

Diese Dualität war es auch, die Kurt Zaugg und seine Familie vor bald 30 Jahren ins Ausland gezogen hatte. Nach vier Jahren als Gymnasiallehrer in Bogota kehrte er in die Schweiz zurück – als Leiter der Lehrerfort- und Weiterbildung des Kantons Solothurn.

Dort fühlte er sich aber wegen der “Engstirnigkeit und Trägheit” einiger seiner Chefbeamten-Kollegen mehr im Ausland als in Kolumbien. Deshalb zog es ihn wieder in Ausland, diesmal als Direktor der Schweizerschule in Madrid. 2004 verliess er den Posten altershalber. Die Begeisterung für die spanische Metropole ist aber ungebrochen.

Madrid ist für ihn eine grosse, interessante Stadt mit viel Entwicklungspotential. “Es ist fantastisch, was hier innert kürzerster Zeit realisiert wird, beispielsweise Siedlungen für 25’000 Menschen.” Für das hohe Tempo sorgten kurze politische Entscheidungswege. Seine Erkenntnis: “Fortschritt gibt’s nur, wenn man das Risiko eingeht, Fehler zu machen. In der Schweiz herrscht dagegen zu viel Absicherungs-Denken vor.”

Auch kranke die Schweiz an mangelnder Innovationsfreudigkeit, diagnostiziert er. “Deshalb ist jeder Schweizer, der im Ausland eine andere Perspektive gewonnen hat, eine Bereicherung für die Schweiz.”

Zaugg aber will vorderhand in Spanien bleiben. “Hier habe ich alles, was ich brauche, und natürlich auch sehr viele Freunde.” Voller Energie widmet er sich jetzt einer Tätigkeit, die er bereits seit 40 Jahren neben seinem Hauptberuf ausübt, für die ihm bisher neben dem Beruf immer zu wenig Zeit geblieben war.

Die Reise endet einige Stunde später wieder an der Puerta de Europa, diesmal aber in der Zukunft: Für Kurt Zaugg symbolisieren die beiden Türme “eine spannende und interessante” kommende Zeit.

swissinfo, Renat Künzi, Madrid

Kurt Zaugg war bis Anfang 2004 Direktor der Schweizerschule in Madrid.

Ziel seiner fast 20-jährigen Tätigkeit in Spanien war es, die Schweiz zum Thema zu machen.

Er baute Zeit seines Lebens an einem Netz, das Menschen verbindet, die sich für die Schweiz interessieren.

Er ist immer noch aktiv in der Auslandschweizer-Organisation (ASO).

Zudem ist er Mitglied der Auslandschweizer-Ausbildungskommission (AAK) des Bundesamtes für Kultur.

2004 lebten in Spanien 21’500 registrierte Schweizer, davon rund 7500 in Madrid und 4800 an der Costa Blanca.
Ihre Zahl ist aber um einiges höher, da viele bei den Behörden nicht angemeldet sind.
Die Anfänge der “Schweizer Siedler” in Spanien gehen auf Ende der 1970er-Jahre zurück.

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