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Ein historisches Denkmal zu rekonstruieren, ist immer heikel

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Die Luzerner Feuerwehr konnte 1993 den Wasserturm der Kapellbrücke retten, der eigentlich kein Wasser speichert. Ruth Tischler / Keystone

Für viele Schweizerinnen und Schweizer weckt die Verwüstung der Pariser Kathedrale Notre-Dame Erinnerungen an die 1993 durch einen Brand zerstörte Kapellbrücke in Luzern. Das Beispiel zeigt, dass ein Wiederaufbau möglich, aber eine Herausforderung ist.

Als die Bewohner der Stadt Luzern am 18. August 1993 erwachten, sahen sie die weltweit älteste gedeckte HolzbrückeExterner Link nur noch als rauchende Ruine. Trotz des Einsatzes der Feuerwehr – die es schaffte, den achteckigen Wasserturm zu retten – brannten zwei Drittel der aus dem 14. Jahrhundert stammenden Brücke über die Reuss ab.

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“Ein Stück Heimat und Identität und ein wichtiges Wahrzeichen sind verloren gegangen”, sagt der Luzerner Stadtarchitekt Jürg Rehsteiner. Es sei wichtig gewesen, die Brücke möglichst rasch wiederaufzubauen, um den Verlust zu überwinden.

Andreas Hindemann stimmt zu. Er ist Chefarchitekt und verantwortlich für das Basler MünsterExterner Link, das in diesem Jahr 1000 Jahre alt wird. “Sie sollten Notre-Dame rekonstruieren; sie ist Teil ihrer Geschichte und von internationaler Bedeutung.”

Bei der Luzerner Kapellbrücke war der Wiederaufbau relativ einfach – und innerhalb von zehn Monaten abgeschlossen.

“Die Brücke war dank regelmässiger Wartung gut dokumentiert, so dass die Rekonstruktion der Holzteile durchaus machbar war. Aber mit dem Verlust von sehr vielen Originalkunstwerken umzugehen, ist bis heute eine grosse Herausforderung”, sagt Rehsteiner und verweist auf die dreieckigen Gemälde, welche die Giebelbalken schmückten.

Die genaue Ursache des Luzerner Brandes ist nach wie vor nicht geklärt, aber die Behörden sagen, dass es wahrscheinlich eine leichtfertig entsorgte Zigarette war, die ein Boot unter der Brücke in Brand setzte.

1000 Jahre altes Basler Münster

In Basel haben Hindemann und sein Team Pläne, die jeden Stein des Münsters dokumentieren. Die Kathedrale hielt im Oktober 1356 einem starken Erdbeben stand. Aber fünf Türme sowie das Gewölbe und der Chorraum wurden zerstört – und noch im Mittelalter wiederaufgebaut.

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Das Basler Münster feiert in diesem Jahr seinen 1000. Geburtstag. Keystone

Das Basler Münster ist architektonisch “weitaus bescheidener” als Notre-Dame, das viel grössere Dimensionen hat, sagt Hindemann. Der erste Schritt zum Wiederaufbau bestehe darin, festzustellen, ob die Tragkonstruktion intakt sei.

“Es ist machbar, aber die grosse Herausforderung wird die Wiederherstellung des Charismas sein. Beim Basler Münster ist es immer schwierig, wenn wir etwas aus dem Mittelalter ersetzen müssen. Eine Kopie hat nie die gleiche Bedeutung wie das Original”, sagt er.

In Luzern glaubt Rehsteiner zu spüren, dass der Wiederaufbau der Brücke vor 26 Jahren ein Erfolg war. “Sie erfüllt ihre Rolle als Identifikationsmedium der Einheimischen und als Wahrzeichen der Stadt Luzern voll und ganz.”

Ständiger Bau in Bern

Die Berner wissen kaum, wie ihr lokales Münster ohne Gerüst aussieht.

“Es gibt immer ein Gebäudeteil, der restauriert werden muss. Das Münster muss in einem langen, kontinuierlichen Prozess repariert und modernisiert werden. Langfristig hilft auch der sorgfältige Einsatz von Originalstrukturen, Kosten zu sparen”, sagt Architekturhistoriker Christoph Schläppi, Vorstandsmitglied der Stiftung Berner MünsterExterner Link.


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Notre-Dame ist fast doppelt so gross. Der Bau begann 250 Jahre vor jenem in Bern – und war ein wichtiges Modell für das Berner Münster. “Für die beiden Kirchen wurden die gleiche Technologie und die gleichen Materialien verwendet. Man kann sagen, dass das Berner Münster in der gleichen gotischen Tradition gebaut wurde, die im 12. Jahrhundert in Frankreich begann”, sagt Schläppi.

Der Bau beider Kirchen dauerte etwa 200 Jahre. Es ist schwer einzuschätzen, wie lange die Reparatur von Notre-Dame dauern wird.

“Technisch ist der Wiederaufbau möglich, aber sehr anspruchsvoll. Die Arbeiten müssen mit grösster Sorgfalt durchgeführt werden, um die unbeschädigten Teile zu schützen”, sagt Schläppi. Er geht davon aus, dass Paris wahrscheinlich ein Notdach errichten wird, bevor es die teilweise eingestürzten Gewölbe wiederaufbaut und mit Tischler- und Dachdecker-Arbeiten fortfahren wird.

Den Brand in der Kathedrale Notre-Dame bezeichnet er als Katastrophe. “Ein grosser Teil der mittelalterlichen Struktur wurde unwiederbringlich zerstört. Mittelalterliche Dachstühle oder Teile davon sind nur an wenigen Orten wie Bern und Lausanne erhalten geblieben.”

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(Übertragung aus dem Englischen: Peter Siegenthaler)

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