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Der Integrator der Nation

Thomas Kessler, ein gefragter Mann in Sachen Integrationspolitik. swissinfo.ch

Das Basler Integrations-Modell gehört zu den fortschrittlichsten der Schweiz. Thomas Kessler, Integrationsbeauftragter des Kantons Basel, plädiert für eine nüchterne und menschliche Integrationspolitik.

Niemand dürfe sich über die schweizerische Demokratie und Verfassung stellen, hier gelte die Nulltoleranz, betont er gegenüber swissinfo.

swissinfo: Wenn immer es um Integrationspolitik geht, fällt der Name Thomas Kessler. Sie sind quasi der Integrator der Nation. Haben Sie diese Rolle gesucht?

Thomas Kessler: Das Thema Integration habe ich gesucht und bringe das gerne auf die nationale Ebene. Mir geht es schlussendlich um das Projekt Schweiz, um das ganze Land.

Um dies zu kommunizieren, stehe ich gerne im Rampenlicht, denn wir müssen in der Schweiz Mehrheiten finden für eine moderne Politik.

swissinfo: Haben Sie auch Kontakt zu ausländischen Kaderleuten oder nur zu den “schwierigen” Schichten?

T.K.: Wir gehen nicht nur zu den Problemgruppen, sondern vergessen auch die vielen hochqualifizierten Elite-Migranten nicht.

Sie sind inzwischen die Mehrheit und haben auch ihre Bedürfnisse, wenn auch andere. Es lohnt sich, auch dort Informationsarbeit zu leisten.

swissinfo: Im Herbst finden nationale Wahlen statt. Eines der heissesten Wahlkampfthemen ist die Integrations-Politik. Werden Sie von Parteien vereinnahmt oder gar instrumentalisiert?

T.K.: Da kann man klar Nein sagen, weil ich eine Position vertrete, die öffentlich bekannt ist und die jederzeit überprüft werden kann. Keine Partei kann mich in diesem Sinn korrumpieren, weil die Haltung schon definiert ist.

Es ist eher umgekehrt: Die Parteien können sich unserer Linie anschliessen. Wenn man die Diskussion verfolgt, ist das auch tatsächlich der Fall: Immer mehr Parteien übernehmen das Basler Modell.

swissinfo: Die Schweizerische Volkspartei (SVP) plant eine Initiative, die kriminelle Ausländer samt ihren Familien ausschaffen und Eingebürgerten das Bürgerrecht wegnehmen will. Ist das der richtige Weg?

T.K.: Die SVP geht das Thema aus wahltaktischen Gründen am falschen Ende an. Das ist vom Polit-Marketing her für die Bewirtschaftung der Frustrationen ein Weg, hat mit Integration und unserer Politik aber nichts zu tun.

Wir machen genau das Gegenteil: Wir steuern die Prozesse vom Anfang an und nicht von hinten. Die Schweiz hat schon jetzt fast die höchsten Einbürgerungshürden und längsten Fristen der Welt. Man kann die Hürden endlos erhöhen und die Fristen verlängern, löst damit die Probleme aber nicht.

Die von der SVP verkündete Verschärfung ist nicht nötig, denn die bestehenden Gesetze reichen durchaus aus, um kriminelle Leute auszuschaffen. Das tun wir auch konsequent in Basel. Wir schaffen jedes Jahr 20 bis 40 Leute aus und brauchen dazu keine neuen Gesetze.

swissinfo: Gemäss Basler Modell sollen mit Migranten Verträge abgeschlossen und Sprachkurse verordnet werden. Kann Integration erzwungen werden?

T.K.: Wir schützen mit den Verträgen die Leute vor Isolation. Es ist ein Missverständnis, wenn man denkt, Bildung sei etwas Unangenehmes oder Diskriminierendes. Diskriminierend ist Isolation und keinen Zugang zu Bildung zu haben.

Wir planen Verträge mit Menschen, die aus kulturellen oder sozialen Gründen in Isolation leben, weil es z.B. der männliche Ehepartner so will und eine patriarchale Ordnung definiert, wer Bildung geniessen darf und wer nicht.

Das widerspricht fundamental unseren Vorstellungen von Chancengleichheit. Für viele Frauen ist das der erste Schritt in die Emanzipation, in die Befreiung aus Zwängen.

swissinfo: Ist die Ausländer-Problematik in den Augen der Basler Bevölkerung weniger gravierend als in andern Kantonen?

T.K.: Das Befinden der Bevölkerung evaluieren wir alle zwei Jahre. Zwei Drittel betrachten das Thema als wichtig, sehen aber auch Probleme. Über die Jahre hinweg nimmt der positive Anteil zu, weil die Leute Vertrauen gewinnen in die behördlichen Massnahmen.

Wir befinden uns in einem positiven Differenzierungs-Prozess: Man spricht jetzt nicht mehr von Ausländerproblemen, sondern unterscheidet zwischen Bildungsproblemen, Gewaltproblemen, Sozialproblemen, Gesundheitsproblemen.

swissinfo: Lässt sich durch Zahlen der Kriminalstatistik belegen, dass die Basler Massnahmen greifen?

T.K.: Vergleichen wir junge Männer, die hier die Schule besucht haben, verursachten ausländische Staatsangehörige 1998 rund 60% mehr Delinquenz als Schweizer. Heute liegt der Unterschied bei 20%, hat also stark abgenommen.

Wenn man es weiter aufschlüsselt nach Schulstufe, Bildungshintergrund und Sozialstatus, dann verschwinden die Unterschiede.

swissinfo: Gibt es echte Chancengleichheit für Ausländer oder ist das Wunschdenken?

T.K.: Die Chancengleichheit als oberstes Ziel eines liberalen Staates ist sowieso eine Utopie, weil die Menschen nicht alle gleich auf die Welt kommen und gleich aufwachsen.

Man kann nur versuchen, bestmögliche Gleichheit herzustellen. Auf diesem Weg des Bestmöglichen kann man aber ganz real Fortschritte erzielen, das gilt ja auch für die Chancengleichheit bezüglich Geschlechter.

swissinfo: Wo liegt die Schnittstelle zwischen Anpassung und Bewahrung eigener Traditionen? Wie weit soll die Toleranz eines Staates gehen?

T.K.: Die Schweiz hat es in diesem Punkt einfach, weil sie sich rein politisch definiert und nicht kulturell. Unsere Kultur ist die direkte Demokratie.

Niemand darf sich über unsere Demokratie und Verfassung stellen, hier gilt die Nulltolerenz. Innerhalb der Freiheiten, welche die Verfassung zulässt, haben wir sehr viel Flexibiliät, die wir zum Glück auch nutzen.

Die Gesellschaft der Schweiz entwickelt sich dank Migration stets weiter, das sieht man in der Kultur, die sehr migrationsgeprägt ist.

swissinfo-Interview: Gaby Ochsenbein

Der Kanton Basel-Stadt hat seit 1999 ein Integrations-Leitbild. Die Basler Integrations-Politik gehört zusammen mit jener von Neuenburg zu den fortschrittlichsten der Schweiz.

Im Kanton Basel Stadt leben rund 187’000 Personen. 58’000 davon sind Ausländerinnen und Ausländer aus 156 Ländern.

Wesentlicher Bestandteil des Basler Integrations-Konzepts ist die Chancengleichheit. Sie bildet den Grundstein für ein friedliches Zusammenleben der Bevölkerung.

Seit Oktober 2005 wird im Parlament der Kantone Basel-Stadt und Basellandschaft über ein Integrations-Gesetz beraten. Es soll eine aktiv gesteuerte Integrations-Politik sichern und das Prinzip “Fördern und Fordern” garantieren.

Von den Zuziehenden wird Integrations-Willen und Achtung des Rechtsstaates verlangt, von den Einheimischen Offenheit und von beiden Seiten gegenseitiger Respekt.

Geboren 1959, aufgewachsen in der Westschweiz und im Kanton Zürich.

Er ist dipl. Agronom und war in der Entwicklungshilfe tätig.

1987-1991: Vertreter der Grünen im Parlament des Kantons Zürich.

1991-1998: Drogendelegierter des Kantons Basel-Stadt.

Seit 1996 Mitglied der eidg. Expertenkommission für Drogenfragen.

Seit 1998 Delegierter für Migration und Integration des Kantons Basel-Stadt.

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