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Der Kondom-Kurier für Spontane

Teil der neuen Kampagne: In Bern, Zürich und Genf bringen Velokuriere Pariser an die Haustüre. Keystone

Ein Dilemma! Sie sind beide in Stimmung, doch kein Kondom ist griffbereit. Gehen Sie kein Risiko ein, rufen Sie lieber den Velokurier, der Ihnen umgehend ein Dreierpack vorbeibringt. Kein Witz, sondern die neuste Schweizer Kampagne gegen HIV/Aids.

Die witzige Sommerkampagne startete im Vorfeld der Welt-Aidskonferenz in Wien, die am Sonntag eröffnet wird: Von Mitte Juni bis Ende August können Kondome im Dreierpack für 8 Franken direkt an die Haustüre bestellt werden.

Ihrem Ruf, alles irgendwohin zu bringen, kommen die Velokuriere in Bern, Zürich und Genf damit im wahrsten Sinne des Wortes nach.

“Es ist eine Art Witz mit einem ernsten Hintergrund”, erklärt Reto Baumann vom Velokurier Bern gegenüber swissinfo.ch.

Bis jetzt hätten noch nicht viele von dem Angebot Gebrauch gemacht, doch könnte dies auch sein, “weil wir während der Büroöffnungszeiten liefern, die beliebtesten Zeiten für diese Beschäftigung aber am Abend und am Wochenende sind”, ergänzt Baumann.

Wie auch immer die Zahlen am Ende der Aktion aussehen werden, Bettina Maeschli, Sprecherin der Aids-Hilfe Schweiz, ist überzeugt, dass die Botschaft wirkungsvoll ist.

“Es ist bereits ein Erfolg, weil wir breite Medienpräsenz haben und die Leute über die Kampagne reden”, erklärt sie. “Wir versuchen, die Leute daran zu erinnern, auch in unvorhergesehenen Situationen an Kondome zu denken.”

Die Schweizer “Love Life Stop Aids-Kampagne” des Bundesamts für Gesundheit (BAG) und der Aids-Hilfe Schweiz läuft bereits seit einigen Jahren.

Positiver Abwärtstrend

Spezielle Initiativen in Saunas, Bars und Spezialmagazinen, die sich an schwule und bisexuelle Männer richteten, seien in den letzten zwei Jahren besonders erfolgreich gewesen, sagt Maeschli.

Dieses Jahr hat die Anzahl an Neuinfektionen von HIV, dem Virus, das Aids verursacht, laut Zahlen des BAG unter homosexuellen Männern zum ersten Mal seit 2001 bedeutend abgenommen.

Die Zahlen, die im Mai veröffentlicht wurden, zeigen einen Rückgang der neuen Fälle zwischen 2008 und 2009 von 17 Prozent auf 646. Auch dieses Jahr scheint sich der Abwärtstrend laut Maeschli fortzusetzen.

Im November 2008 zeigte ein Bericht der Vereinten Nationen (UNO), dass in der Schweiz 50 Personen an Komplikationen durch eine HIV-Infektion gestorben sind. 1995 waren es 600 Personen gewesen.

Antivirale Therapien, die bis zu 2100 Franken monatlich kosten, haben das Leben von vielen Betroffenen massiv verbessert. Zwar üben heute rund 70% der Menschen, die mit HIV leben, einen Beruf aus, doch Diskriminierung findet laut Maeschli immer noch statt, sei es am Arbeitsplatz, unter Kollegen und wenn es um Gesundheit und Lebensversicherungen gehe.

“Menschen mit HIV können keine Lebensversicherung abschliessen, und jemand, der ein Haus kaufen will, erhält keine Bankkredite oder Hypotheken.”

Fixer: viel weniger Infektionen

Die Schweizer Kampagnen fokussieren ich auch auf zwei weitere Risikogruppen: Menschen aus Ländern mit einer hohen HIV-Rate, besonders aus afrikanischen Staaten südlich der Sahara, sowie Drogenfixer.

Die gute Nachricht: Die Infektionsraten unter Fixern, die ihre Nadeln teilen, sind am fallen. Ende der 1980er-Jahre noch war diese Gruppe für die Mehrheit der Neuinfektionen verantwortlich. 2008 machte sie weniger als 4 Prozent der neuen Fälle aus.

Osteuropa im Fokus

Die internationale Aidskonferenz in Wien, die am Sonntag beginnt, hofft, den Fokus auf die beunruhigende Situation in Osteuropa und Zentralasien zu lenken, wo die Anzahl von Menschen mit HIV zwischen 2001 und 2008 um 66 Prozent zugenommen hat, besonders unter Drogenkonsumenten. In der Ukraine etwa sind 1,6 Prozent der Bevölkerung HIV-positiv.

Luciano Ruggia, ein Schweizer Vertreter des BAG an der Konferenz, erklärt, es sei auch im Interesse der Schweiz, dass in diesem Teil der Welt dringend etwas unternommen werde: “Mit der zunehmenden Mobilität sind wir nicht daran interessiert, einer erhöhten Infektionsrate in dieser Gruppe zuzuschauen”, sagt er.

Die Schweiz hoffe, an der Konferenz Ideen mit anderen Ländern auszutauschen und mehr zu lernen über Risikogruppen wie etwa Männer, die Sex mit Männern und Migranten haben, erklärt Ruggia.

Die Schweizer Aids-Hilfe hat gegenwärtig einige Programme laufen mit Gruppen aus Subsahara-Staaten und Osteuropa, die in der Schweiz leben. Ihnen wird erklärt, wie das Virus übertragen wird und wie mit Diskriminierung umzugehen ist.

Die afrikanischen Länder südlich der Sahara bleiben die am meisten betroffene Region der Welt: Rund 22,4 Millionen Menschen, zwei Drittel aller HIV-Positiven weltweit, leben dort mit dieser Krankheit.

Sexuell übertragbare Krankheiten

Die Schweiz wird an der Konferenz auch ihr neues nationales Programm gegen HIV und sexuell übertragbare Krankheiten wie Syphillis, Tripper und Chlamydien vorstellen, die dieses Jahr stark zugenommen haben.

“Gegenseitige Ansteckung ist wirklich ein grosses Problem”, betont Luciano Ruggia.

“Jemand mit einer sexuell übertragbaren Krankheit hat ein höheres Risiko, mit HIV angesteckt zu werden; und für Menschen mit HIV ist die Ansteckung mit einer sexuell übertragbaren Krankheit nicht sehr gut für die Gesundheit.”

Vom 18. bis 23. Juli sollen in Wien Brücken gebaut werden zwischen Forschern, Politikern, Ärzten, Aktivisten und Betroffenen.

Im Zentrum stehen Osteuropa und Zentralasien sowie Themen wie Behandlung der Krankheit und Diskriminierung.

Am Samstagabend wurde ein Ball mit prominenten Gästen für Aids-Patienten gehalten; die Schauspielerin Whoopi Goldberg wie auch der ehemalige US-Präsident Bill Clinton und der Ex-Tennisstar Boris Becker gaben sich unter anderen die Ehre.

An einem Menschenrechts-Marsch am Dienstag wird die Sängerin Annie Lennox teilnehmen und die Aktion “Free Hugs 4 Aids” durchgeführt.

Erwartet werden rund 25’000 Teilnehmende aus über 100 Ländern.

Laut dem UNO-Aidsprogramm UNAIDS haben sich insgesamt rund 60 Millionen Menschen mit dem HI-Virus infiziert.

Seit dem ersten Auftauchen der durch HIV ausgelösten Krankheit Aids vor fast 30 Jahren sind rund 25 Millionen Menschen daran gestorben.

UNAIDS zufolge waren demnach im Jahr 2008 etwa 33,4 Millionen Menschen mit HIV infiziert und rund 2 Millionen an Aids gestorben.

Die meisten Infektionen finden im Alter zwischen 25 und 50 Jahren statt.

2,1 Millionen Kinder unter 15 leben zudem mit dem Virus.

Am meisten betroffen ist die Subsahara-Region, gefolgt von Süd- und Südostasien sowie Lateinamerika.

In der Schweiz leben laut BAG zwischen 20’000 und 30’000 Menschen mit HIV, von denen ein Viertel nichts davon weiss.

Seit Beginn der Statistiken 1983 sind in der Schweiz bis März dieses Jahres 6982 Menschen an Aids gestorben.

2009 wurden 642 Personen positiv auf HIV getestet, bei 179 brach Aids aus.

swissinfo.ch

(Übertragen aus dem Englischen: Christian Raaflaub)

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