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Die Lega kommt in die Jahre

Die Tessiner Lega im laufenden Wahlkampf. Gerhard Lob

Heimatverbunden und anti-europäisch: So präsentiert sich die von Giuliano Bignasca gegründete Lega dei Ticinesi. Die Tessiner Protestbewegung war in gewisser Weise ein regionaler Vorläufer der nationalen SVP. Nun feiert sie ihren 20.Geburtstag.

Das Gründungsmanifest der Lega dei Ticinesi datiert vom 17. Januar 1991 und ist nur wenige Zeilen lang. Drei Personen waren damals zugegen, darunter der bereits verstorbene alt Nationalrat Flavio Maspoli. Sie wählten den Bauunternehmer Giuliano Bignasca aus Lugano als Präsidenten auf Lebenszeit. “Dieser nimmt die Wahl an”, heisst es im Protokoll.

Über die politischen Absichten kein Wort. Der politische Kurs als national-konservative Regionalbewegung war im Groben schon in der Zeitung Mattino della Domenica vorgezeichnet worden, welche Bignasca im März 1990 gegründet hatte.

Bignasca – als enttäuschter Liberaler – nutzte insbesondere eine gewisse Verärgerung in der Tessiner Bevölkerung gegenüber den bürgerlichen Parteien Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) und Christlichdemokratische Volkspartei (CVP), etwa wegen deren Einfluss bei der Vergabe von Jobs und Aufträgen.

In den Anfangsjahren sprach Bignasca viel von der “Partitocrazia”, der Macht der Parteien, die gebrochen werden müsse. Und bis heute gibt sich die Lega als Interessensvertreterin der “kleinen Leute.”

Politische Agenda diktiert

Was hat die Lega in diesen 20 Jahren erreicht? “Sie hat die politische Agenda diktiert und die Hierarchie der Themen vorgegeben”, meint der Politikwissenschafter Oscar Mazzoleni von der Universität Lausanne.

Beispielsweise hat sie in den 1990er-Jahren die Diskussion um Ausländer, Europa und die Steuersenkungen bestimmt. In diesem Sinne war die Lega durchaus ein regionaler Vorläufer der nationalen Schweizerischen Volkspartei (SVP), die es in der Deutschschweiz unter Christoph Blocher schaffte, mit ihrem Themensetting die nationale Diskussion zu dominieren.

  

Allerdings gibt es markante Unterschiede zwischen den beiden Rechtsparteien. Die Lega bezeichnet sich als “soziale Rechte” und hat in der Tat eine gewisse Sensibilität für soziale Anliegen. Neben klassischen rechten Forderungen wie Steuerreduktionen und Abbau der Bürokratie verlangt sie beispielsweise eine 13. AHV-Rente für Pensionäre im Tessin oder eine kantonale Einheits-Krankenkasse.

Unkonventionell

Die Lega ist aber in jeglicher Hinsicht eine unkonventionelle Partei geblieben, genauso wie ihr Boss Giuliano Bignasca. Nur wenige Personen bestimmen die Geschicke der Bewegung. Neben Bignasca noch Staatsrat Marco Borradori, das institutionell brave Aushängeschild der Partei, Nationalrat Norman Gobbi und Lega-Stadtrat Lorenzo Quadri.

Kongresse oder Parteiveranstaltungen gibt es nicht. Für Bignasca ist das alles “bla-bla-bla”, wie er gegenüber swissinfo.ch sagt: “Wir brauchen keine Kongresse, weil wir jeden Sonntag im Mattino einen Kongress abhalten.” Das Programm sei doch klar: Nein zur EU, Ja zum Bankgeheimnis und “Das Tessin den Tessinern”. Was solle man da noch hinzufügen?

Der Mattino della Domenica: Ohne dieses Kampfblatt ist die Lega nicht denkbar.  “Der Mattino ist die Lega und die Lega ist Bignasca”, bringt es Oscar Mazzoleni auf den Punkt. Das Blatt mit seiner direkten und volksnahen (auch vulgären) Sprache gebe der Lega einen entscheidenden Vorteil gegenüber den anderen Parteien: “Die Lega führt eigentlich immer Wahlkampf.”

70‘000 Leserinnen und Leser hat das Blatt jeden Sonntag. Und ohne Bignasca nichts. Er sponsert die Zeitung nach eigenen Angaben mit 200‘000 bis 300‘000 Franken pro Jahr.

Harte Kritik

So beliebt die Lega bei ihrer inzwischen treuen Wählerschaft ist, so verhasst ist diese Bewegung den anderen politischen Parteien. Allerdings müssen sich alle Parteien mit der Lega arrangieren oder Kompromisse eingehen. CVP-Ständerat Filippo Lombardi verdankte seine Wiederwahl von 2007 unter anderem der Unterstützung durch die Lega.

Beklagt wird häufig, dass die Lega zu einer Verrohung der politischen Kultur im Südkanton geführt und die Fäkalsprache in der politischen Debatte salonfähig gemacht habe. Ständerat Dick Marty (FDP) oder Nationalrätin Chiara Simoneschi-Cortesi (CVP) rufen immer wieder zu mehr Zivilcourage auf, um den Methoden des Mattino und der Lega etwas entgegen zu setzen.

Eine der politisch schärfsten Kritiker der Lega ist die Sozialdemokratische Partei (SP). Kantonalpräsident Manuele Bertoli fordert von der Lega, die Kluft zwischen Erklärungen und Taten zu verringern. Und er erinnert an manchen politischen Widerspruch der Bewegung, die weniger Steuern und einen Ausbau gewisser  Sozialleistungen wolle.

National blass

National hat sich die Lega aufgrund ihrer Struktur als italienischsprachige Regionalpartei nie etablieren können. Doch bekannt ist, dass es Kontakte zur Genfer Bürgerbewegung ‘Mouvement citoyens’ gibt. Die Idee einer neuen nationalen rechten Bürgerpartei wurde aber auf Eis gelegt. “Denn wir spannen hier im Tessin mit der SVP zusammen”, so Bignasca.

Mit einem Nationalrat oder früher auch zwei Nationalräten ist die Lega auf nationalem Parkett immer eine vernachlässigbare Grösse geblieben. Sie war ein Anhängsel der Autopartei, der Schweizer Demokraten oder schloss sich der SVP-Fraktion an. 

Oftmals wurde die Lega schon totgesagt. Doch Skeptiker wurden stets Lügen gestraft. Das spornt Bignasca an, weiter zu machen. Selbstzweifel kennt er nicht: “Wenn ich von vorne anfangen könnte, würde ich alles nochmals genauso machen.”

18. März 1990: Die erste Nummer des Mattino delle Domenica als Gratis-Sonntagszeitung erscheint.

17. Januar 1991: Die Lega dei Ticinesi wird offiziell gegründet, Giuliano Bignasca zum Präsidenten auf Lebenszeit gewählt.

14. April 1991: Die Lega nimmt erstmals an den Kantonalwahlen teil. Sie erreicht für den Grossen Rat einen Stimmenanteil von 12,8%.

20. Oktober 1991: Bei den Nationalratswahlen erobert die Lega 2 von 8 Tessiner Sitzen: Marco Borradori und Flavio Maspoli vertreten die Lega in Bern.

12. Juni 1994: In einer Referendumsabstimmung folgte das Schweizer Stimmvolk der Lega, keine Schweizer Blauhelme ins Ausland zu entsenden.

April 1995: Die Lega erobert einen von 5 Sitzen im Staatsrat. Marco Borradori wird gewählt.

April 2007: Bei den Staatsratswahlen legt die Lega entgegen aller Prognosen zu und wird mit 24% Stimmenanteil die zweitstärkste Partei. Bignasca feiert mit einem Sturmgewehr.

2010: Die von der Lega initiierte Volksinitiative zur Verankerung des Bankgeheimnisses in der Bundesverfassung kommt nicht zustande.

April 2011: Bei den Kantonswahlen wird Lega-Staatsrat Borradori nach vier Legislaturperioden erneut kandidieren.

Giuliano Bignasca wurde am 10. April 1945 geboren und wuchs in Lugano auf. Er brach eine Bautechnikerlehre ab und begann in der Steinhauerfirma seines Vater zu arbeiten. Später schuf er ein Bauimperium.

Viel Geld erwirtschaftete er zusammen mit seinem Bruder Attilio, als sie in den 1970er-Jahren von Genf aus Natursteine nach Afrika lieferten. In Lugano gehören den Bignascas neben dem eigenen Bauunternehmen auch etliche Immobilien.

  

Er war zwei Mal Nationalrat (1994/95 und 1999-2003), fühlte sich dort aber nie wohl, auch weil er kein Deutsch spricht. Das Amt als Stadtrat von Lugano (seit 2002) gefällt ihm hingegen gut.

In jungen Jahren war Bignasca sportlich und spielte für den FC Lugano Fussball. Das ist längst vorbei.

Schon vor 20 Jahren war er bekennender Kokainkonsument. Allerdings empfiehlt er in dieser Hinsicht, seinem Beispiel nicht zu folgen.   

Wegen Kokain-Konsums und Diffamierung wurde der Bauunternehmer schon verurteilt.

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