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“Die Volksinitiative ist für das Parlament unangenehm”

Ein Mann steht vor der berühmten juristischen Bibliothek in Zürich
Andreas Kley ist Rechtsprofessor an der Universität Zürich. zvg

Andreas Kley, Rechtsprofessor an der Universität Zürich, verteidigt die Volksinitiative. Er zeigt auf, woher die Kritik kommt und was verbessert werden müsste. 

Es scheint, dass die Kritik am Instrument der Volksinitiative wieder lauter wird. Stellen Sie das auch fest? 

Ja, das trifft deshalb zu, weil einige fragwürdige Initiativen angenommen worden sind wie etwa die Minarettinitiative, die Unverjährbarkeitsinitiative oder die Masseneinwanderungsinitiative. Man muss allerdings aufpassen: Die Initiative ist ein Instrument von Parteien und Gruppen, die sich im Parlament nicht genügend durchsetzen können. Aus diesem Grund haben die Mehrheitsparteien des Parlaments die Initiative stets als unangenehm wahrgenommen und sie als überflüssig kritisiert.

Andreas KleyExterner Link ist seit 2005 Professor für öffentliches Recht, Verfassungsgeschichte sowie Staats- und Rechtsphilosophie an der Universität Zürich. Er forscht unter anderem zu politischen Rechten in Bund und Kantonen, insbesondere auch zum Instrument der VolksinitiativeExterner Link.

Haben wir ein Problem mit unklar formulierten Volksinitiativen? 

Das Problem ist für das Verfassungsrecht charakteristisch. Dieses ist hoch abstrakt und notwendigerweise unklar. Der Vorwurf indessen, die Initiativen seien in ihrer Mehrheit unklar und schlecht abgefasst, trifft absolut nicht zu. Auch das Parlament verfasst mehrdeutige und sehr unklare Verfassungsnormen. Der Höhepunkt schlechter Parlamentsarbeit war die von 2003 bis 2009 in der Bundesverfassung enthaltene “allgemeine Volksinitiative”. Diese war nicht nur unklar, sie war sogar effektiv undurchführbar und musste 2009 deshalb gestrichen werden. Zudem bestanden zwei Verfassungsartikel mit der gleichen Artikelnummer, nämlich 139. Seit der Einführung des Volksinitiativrechts hat bisher kein Komitee einen derart mangelhaften Text abgeliefert, wie das die Bundesversammlung 2003 geleistet hatte.

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Ist die Beurteilung, ob eine Initiative gültig ist oder nicht, eine politische oder eine juristische Entscheidung? Heute entscheiden die Parlamente, ob eine Initiative gültig ist. Wäre es nicht staatspolitisch korrekter, wenn dies Gerichte entscheiden würden?

Das ist klar eine juristische Frage, denn Art. 139 Abs. 3 BV nennt juristische Kriterien, die gegeben oder nicht gegeben sind. Die Parlamente sind nicht in der Lage, juristisch zu entscheiden. Sie entscheiden politisch und geben dann das als “juristische” Entscheidung aus. Es besteht die grosse Neigung, eine politisch unerwünschte Initiative für ungültig zu erklären, weil man sie nicht will. Dieses Vorgehen ist völlig falsch und unredlich: Richtig wäre es, wenn das Parlament politisch dagegen vorginge und die Argumente dem Volk plausibel machte, weshalb die Initiative politisch schädlich sei. Im Falle der gescheiterten Erbschaftssteuerinitiative versuchte eine starke bürgerliche Minderheit, die Initiative wegen der Verletzung der Einheit der Materie für ungültig zu erklären. Derartige Taktiken werden in Zukunft zunehmen. Sie machen die Politik unglaubwürdig und schaden dem Parlament. Aus diesem Grund müssten diese Fragen durch ein oberstes Verfassungsgericht geklärt werden.

Muss die Unterschriftenzahl bei Initiativen und Referenden erhöht werden? Was sagen Sie zu dieser oft erhobenen Forderung? 

Das ist wiederum der Versuch der Mehrheitsparteien im Parlament, das Initiativrecht zu torpedieren: Die Initiative ist für das Parlament unangenehm; sie zeigt auf, wenn sich das Volk vom Parlament nicht richtig vertreten fühlt. Eine Erhöhung ist zwar wegen der zunehmenden Zahl der Stimmberechtigten diskutierbar, allerdings muss man dabei beachten, dass es enorm schwierig geworden ist, Unterschriften zu sammeln. Über 90% der Berechtigten stimmen brieflich, man erreicht als Initiativkomitee die Stimmberechtigten nicht mehr richtig. Es ist daher wohl angemessen, die Zahl der Unterschriften unverändert zu lassen.

Mehr als 50% der zurzeit hängigen Initiativen wurden von Mitgliedern der eidgenössischen Räte (mit)lanciert: Wird damit nicht das Instrument der Volksinitiative, das auch eine “Oppositionsfunktion gegen das Parlament” haben soll, ad absurdum geführt? 

Es ist durchaus vernünftig, wenn eine grosse Partei ihre im Parlament gescheiterte Vorlage auf diesem Weg wieder auf die politische Agenda bringt. Die Initiative hat eine Oppositionsfunktion gegen die Mehrheiten im Parlament, freilich wechseln diese Mehrheiten, und die Opposition hat in der Regel auch ihre Vertreter im Parlament. Es ist daher durchaus sinnvoll, wenn Parlamentarier selber an der Lancierung von Volksinitiativen mitwirken.

Dieses Interview erschien auf influence.chExterner Link. Mit freundlicher Genehmigung von furrerhugi.

Andreas HugiExterner Link ist CEO der PR-Agentur Furrerhugi, die auf Public Affairs und Corporate Communications spezialisiert ist. Die Kommunikationsagentur betreibt auch den Blog influence.chExterner Link zu politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Themen. Das Interview mit Andreas Kley zum Thema Volksinitiative ist auf diesem Blog erschienen. Die in diesem Artikel geäusserten Ansichten sind ausschliesslich jene des Autors und müssen sich nicht mit der Position von swissinfo.ch decken.

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