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Existenz der Instrumente wichtiger als deren Nutzung

Swissinfo Redaktion

Initiative und Referendum sind die Hauptinstrumente der direkten Demokratie in der Schweiz. Für die Demokratiezufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger ist deren blosse Existenz der Beteiligungsmöglichkeit offenbar ausschlaggebender als die eigentliche Beteiligung selbst. Zu diesem Schluss kommt Stefan Rey, angehender Politikwissenschaftler an der Universität Zürich, im folgenden Beitrag.

Direkte, oder präziser formuliert: halbdirekte Demokratie ist eine in der Schweiz besonders ausgeprägte Form der politischen Partizipation. Die direkte Demokratie ist ein in der Schweizer Politik heiss diskutiertes und zuweilen auch etwas glorifiziertes Thema. 

Nichtsdestotrotz gibt es Hinweise darauf, dass das Mass an direkter Demokratie und die Demokratiezufriedenheit von Bürgerinnen und Bürgern zusammenhängen. In keinem Land weltweit hat die Bürgerschaft auf der Ebene des Nationalstaates derart ausgebaute Möglichkeiten, ganz direkt am politischen Geschehen teilzunehmen und dieses selber zu beeinflussen.

Stefan Rey. zVg

Auch auf gliedstaatlicher Ebene – in der Schweiz sind das die Kantone – gibt es nur wenige Staaten, die ihrer Bevölkerung ähnliche Privilegien gewähren, und auch diese in kaum vergleichbar grossem Ausmass. Zwar wird die Thematik der direkten Demokratie von politischen Kräften gelegentlich auch etwas verherrlicht sowie das Spannungsfeld an der Schnittstelle zwischen Rechtsstaat und Demokratie etwas ausgereizt und auf die Probe gestellt.

Analyse unter hervorragenden Laborbedingungen

Trotzdem ist es aber unbestritten, dass diese Form der politischen Teilnahme zu vorteilhaften Ergebnissen für die betroffene Bevölkerung führt. Mit ihren 26 Gliedstaaten, den Kantonen, bietet die Schweiz ein hervorragendes Labor zur Untersuchung solcher Zusammenhänge.

Institutionelle Hürden

Damit sind die Hürden für das Nutzen der entsprechenden direktdemokratischen Instrumente gemeint, also Initiative und Referendum.

Konkret sind dies die absolute und relative Anzahl notwendiger Unterschriften sowie die Frist, die für die Unterschriftensammlung gesetzt ist.

Beim Finanzreferendum kommt zusätzlich zu den bereits genannten Hürden noch die gesetzte Ausgabenhöhe pro Kopf der Wohnbevölkerung hinzu, die für das Ergreifen des Referendums notwendig ist. 

In der hier vorgestellten Arbeit gehe ich folgender Frage nach: Sind Menschen, die in Kantonen mit mehr direkter Demokratie leben, mit der Art und Weise, wie diese Demokratie funktioniert, zufriedener als jene, die in Kantonen mit mehr repräsentativer Demokratie leben?

Bei der direkten Demokratie geht es darum, dass Bürgerinnen und Bürger bei Sachfragen direkt mitbestimmen können. Je besser sie sich mittels direktdemokratischer Instrumente in den politischen Entscheidungsprozess einbringen können, umso besser werden deren Präferenzen von der politischen Elite berücksichtigt. Dies führt zu vorteilhaften Ergebnissen für die Bevölkerung und dies wiederum, so die Vermutung, wirkt sich positiv auf die Demokratiezufriedenheit aus.

Mitbestimmung als Machtkontrolle und Information

Wir können primär zwischen zwei Arten direktdemokratischer Partizipationsmöglichkeiten unterscheiden: einerseits der formalen Möglichkeit zur Teilnahme an politischen Prozessen und andererseits der effektive, also tatsächliche Gebrauch der politischen Institutionen.

Die erste Variante dient dem Stimmvolk zur Kontrolle ihrer politischen Elite. Mit der zweiten Möglichkeit offenbaren die Bürgerinnen und Bürger Informationen bezüglich ihrer politischen Präferenzen gegenüber ihren gewählten Politikerinnen und Politikern.

Die Kontrolle über die Politiker dient in erster Linie dazu, diesen das Verfolgen egoistischer Ziele und Interessen zu erschweren. Mit der Information, welche die Stimmbürgerschaft durch direktdemokratische Abstimmungen den Eliten gibt, wird sie zum wichtigen Mitspieler im politischen Gefüge und muss entsprechend ernst genommen werden.

Diese zwei Mechanismen der Mitbestimmung wurden in dieser Arbeit anhand der Höhe der institutionellen Hürden zur Ergreifung direktdemokratischer Instrumente wie Verfassungs-, Gesetzesinitiativen und Referenden und dem effektiven Gebrauch dieser Instrumente indirekt gemessen.

Es wurde nun erwartet, dass die Demokratiezufriedenheit der Bevölkerung in jenen Kantonen höher ist, die mehr direkter Demokratie bieten und wo die zur Verfügung stehenden Instrumente zur politischen Partizipation häufiger genutzt werden. Wie zu erwarten war, sind die gefundenen Effekte durchwegs alle positiv. Allerdings verschwindet, sobald andere Faktoren einbezogen werden, ihre statistische Signifikanz.

Das alleinige Vorhandensein politischer Einflussmöglichkeiten zwingt die politische Elite dazu, Rücksicht auf die Anliegen der Wählerschaft zu nehmen. 

So spielt offenbar insbesondere die Sprache eine grosse Rolle im Einfluss auf die Zufriedenheit mit der Demokratie. Es ist bekannt, dass die deutschsprachigen Kantone mehr direktdemokratisch orientiert sind, während die lateinisch-sprachigen Kantone eher die repräsentativere Variante von Demokratie pflegen. Deshalb wurde auf diese Problematik besonders eingegangen.

Es stellte sich heraus, dass die Gründe dieser sprachregionalen Unterschiede nicht so einfach zu eruieren sind und es ist davon auszugehen, dass für diese Unterschiede zwischen deutsch- und lateinisch-sprachigen Regionen eher verschiedene historische Entwicklungen verantwortlich sind und weniger die Sprachen an sich.

Es scheint, dass die reine Möglichkeit zur direktdemokratischen Partizipation wichtiger ist als die effektive Nutzung dieser Institutionen. Zumindest, was deren Effekt auf die Demokratiezufriedenheit anbelangt. Dies ist nicht unbedingt das, was man erwarten würde. Es beantwortet allerdings die Frage, ob die beiden Mechanismen – Kontrolle und Information – unterscheiden werden können. Der Kontrollmechanismus sollte seine Wirkung sowohl bei der rein formalen Möglichkeit zur direktdemokratischen Partizipation als auch beim effektiven Gebrauch entfalten.

Der Mechanismus bezüglich der Information sollte allerdings seine Wirkung nur über deren effektiven Gebrauch entfalten können. Die Tatsache, dass stärkere – wenn auch nicht signifikante – Effekte bei den formal-institutionellen Instrumenten gefunden wurden, spricht folglich dafür, dass der Kontroll-Mechanismus die grössere Rolle spielt als die Information.

Die Möglichkeit zur direktdemokratischen Partizipation ist also wichtiger als deren tatsächliche Nutzung. Das alleinige Vorhandensein politischer Einflussmöglichkeiten zwingt die politische Elite dazu, Rücksicht auf die Anliegen der Wählerschaft zu nehmen. Man könnte daraus die Vermutung ableiten, dass die Instrumente also indirekte Wirkung auf den parlamentarischen Betrieb ausüben und es in der Folge zu weniger fakultativen Referenden kommt und entsprechend zu weniger Abstimmungen in den jeweiligen Kantonen.

Die Erkenntnis aus dieser Arbeit ist somit, dass die Möglichkeit, sich an demokratischen Entscheidungen zu beteiligen, stärkere Auswirkungen auf die Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger hat als die tatsächliche Beteiligung.

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