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Rassismus verurteilen – in der Politik und im Internet

Lancierung der Kampagne "Bunte Schweiz" am 25. Juni 2015. Keystone

Wenige Wochen vor den eidgenössischen Wahlen wird der Ton im Wahlkampf, in dessen Mittelpunkt Migrations- und Asylfragen stehen, schärfer. Die eidgenössische Kommission gegen Rassismus ist beunruhigt und stellt fest, dass im Jahr ihres 20-jährigen Bestehens Wortmeldungen voller Hass und Verachtung zugenommen haben.

 In einem demokratischen System gibt es keine Tabuthemen. Wenn jedoch die politische Propaganda dazu benutzt wird, in Wort und Schrift Menschen zu verunglimpfen, die bei uns Schutz suchen, dann ist die Demokratie in Gefahr.

In einem Communiqué fordert deshalb die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKRExterner Link) die Verantwortlichen der schweizerischen Politik auf, auf Reden, die Intoleranz und Diskriminierung schüren, zu verzichten. “Wir intervenieren nicht, um zu sagen, was man denken soll, sondern um daran zu erinnern, dass sich das allgemeine Klima schnell verschlechtern kann, wenn der Wortwahl keine Beachtung geschenkt wird. In diesem Sinn tragen die Politiker eine besondere Verantwortung“, sagt Martine Brunschwig Graf, Präsidentin der EKR, gegenüber swissinfo.ch.

“In den sozialen Netzwerken und im Internet allgemein haben die Leute – und nicht nur die Politiker – weniger Skrupel, ihre Meinungen zu äussern und zu verbreiten, fährt Brunschwig Graf fort. “Man kann nicht sagen, dass der Rassismus in der Schweiz zugenommen hat, doch dank den sozialen Netzwerken hat er eine grössere Resonanz, und die scheinbare Anonymität des Internets begünstigt die Verbreitung von rassistischen Inhalten.”

Diese Feststellung macht auch das Bundesamt für Polizei (fedpol). Im August gab es viermal mehr Anzeigen wegen rassistischen Kommentaren im Internet als im Juli, erklärte die Pressesprecherin vom Fedpol, Cathy Maret, gegenüber der Schweizerischen Depeschenagentur (SDA) und bestätigte eine Meldung von Radio SRF. Der Anstieg ist weltweit festzustellen und betrifft die sozialen Medien wie auch Artikel, die in Online-Portalen publiziert werden.

Verrohung des Umgangstons

In ihrer Stellungnahme nimmt die ERK keinen Bezug zu konkreten Fällen. Einige Vorfälle im Wahlkampf für die eidgenössischen Wahlen vom 18. Oktober der letzten Zeit scheinen jedoch auf eine Verrohung des Umgangstons hinzuweisen, wie die Kommission beanstandet.

Anfang September veröffentlichte Nationalrat Christoph Mörgeli (Schweizerische Volkspartei SVP) auf seinem Facebook-Profil einen Post mit einem überladenen Schiff voller Migranten und schrieb darunter “die Fachkräfte kommen“. Von den Usern gedrängt, sperrte die Online-Plattform für einige Stunden den Account des Zürcher Nationalrats wegen “unangebrachtem Inhalt”. Für Christoph Mörgeli war das ein “negatives Signal für die Pressefreiheit in der Schweiz”.

Ein paar Tage vorher hatte der Medienbeauftrage der Tessiner Sektion der SVP auf dem gleichen Netzwerk verhöhnende Betrachtungen gegenüber Afrikanern gepostet. Eine “Leichtsinnigkeit”, die ihm nicht nur den Job gekostet, sondern auch eine Strafanzeige eingebracht hat. “Extremisten finden in unserer Partei keinen Platz”, so der Kantonalvorstand. Seit 20 Jahren verfügt die Schweiz über eine Rassismus-Strafnorm, die rassistische Äusserungen und Handlungen unter Strafe stellt.

Hitlergruss auf dem Rütli

Seit 1995 ist der Artikel 261bisExterner Link des Strafgesetzbuches sowie auch der Artikel 171c des Militärstrafgesetzes in Kraft, im selben Jahr wurde auch die EKR eingesetzt. Rassismus, das Aufrufen zu Hass und die Leugnung von Genoziden werden mit Bussen oder Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren bestraft.

In 20 Jahren gab es 349 definitive Urteile, von denen die EKR Kenntnis hatte (bei einem Total von 679 Anzeigen). In 8% der Fälle, von denen die Behörden Kenntnis hatten, war der Urheber ein Vertreter aus der Politik. Strafbar wird nur, wer in der Öffentlichkeit rassistisch handelt oder sich äussert oder jemanden auf Grund der Rasse diskriminiert. “Das schränkt den Anwendungsbereich der Strafnorm ein”, sagt Martine Brunschwig Graf. Im Zweifelsfall, präzisiert sie, haben die Richter immer zu Gunsten der Redefreiheit entschieden.

Unter den eklatantesten Fällen ist der Hitlergruss auf der Rütliwiese (2010), dem symbolischen Ort für die schweizerische Identität und Einigkeit. In einem Urteil von 2014 entschied das Bundesgericht, die oberste Gerichtsinstanz des Landes, dass die Geste nicht strafbar war. Trotz des anwesenden Publikums waren die Demonstranten der extremen Rechten unter sich, unter diesem Gesichtspunkt könne man nicht von einem Versuch zur Verbreitung der nationalsozialistischen Ideologie sprechen, so die Begründung der Richter.

Eine Norm, die man stärken und nicht abschaffen sollte

Die Rassismus-Strafnorm ist relativ restriktiv, bemerkt die Präsidentin der ERK. “Sie ist jedoch weniger streng als beispielsweise jene in Deutschland, die auch die Symbole verbietet. Ich persönlich bin gegen ein Verbot von Symbolen, aus einem Grund: Es ist nicht einfach, eine Liste aller verbotener Symbole anzufertigen”.

Der 1994 vom Volk angenommene Artikel 261bis des Strafgesetzbuches (mit 54,6% der Stimmen) ist regelmässig Gegenstand von Diskussionen. Die eine Seite möchte eine weitergehende Ausdehnung der Anwendung, die andere Seite möchte sie im Namen der Redefreiheit abschaffen.

Im Jahr 2000 schlug die damalige Justizministerin Ruth Metzler, Christlichdemokratische Volkspartei (CVP), vor, die Rassismus- Strafnorm abzuändern, um den Hitlergruss und Symbole wie das Hakenkreuz unter Strafe zu stellen. Ein Vorschlag, den die Regierung jedoch ablehnte. Kürzlich reichte der Nationalrat der Sozialdemokraten, Mathias ReynardExterner Link, eine bislang vom Nationalrat gutgeheissene parlamentarische Initiative ein, die verlangt, dass die bestehende Bestimmung des Strafgesetzbuches zum Kampf gegen die Rassendiskriminierung um die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung erweitert werden soll.

Die SVP, die die Strafnorm gegen Rassismus in der Volksabstimmung unterstützt hatte, ist anderer Meinung. Sie verlangte immer wieder die Abschaffung des Gesetzesartikels, den sie als “ineffizient“ und schädlich für die Redefreiheit betrachtet.

Anlässlich eines offiziellen Besuches 2006 in Ankara kritisierte der damalige Vorsteher des Justiz- und Polizeidepartements, Christoph Blocher, die Strafnorm. Damals wurde gegen den türkischen Historiker Usuf Halacoglu und gegen den türkischen Politiker Dogu Perinçek ein Untersuchungsverfahren eröffnet. Gegenstand waren Äusserungen über den Völkermord in Armenien. Perinçek, der den Völkermord “eine internationale Lüge“ nannte, wurde anschliessend vom Bundesgericht verurteilt. Der europäische Gerichtshof für  Menschenrechte in Strassburg rügte 2013 die Schweizer Richter, indem er sich auf das Recht der freien Meinungsäusserung berief, wonach auch eine Debatte um heikle Themen ein grundlegender Aspekt dieses Rechts sei.

 

Eine im Parlament noch nicht behandelte MotionExterner Link der SVP verlangt, den Rassismusartikel abzuschaffen. Die SVP will den Artikel abschaffen, da dieser “direkt in die Privatsphäre der Bürger eingreift“. Die direkte Demokratie und der liberale Rechtsstaat bieten kein Fundament für extremistische Tendenzen, unterstreichen die Initianten der Motion.

Die jungen Internet-Nutzer sensibilisieren

Die Rassismus-Strafnorm allein kann die Probleme nicht lösen, dies muss auch die ERK anerkennen und will das Gewicht auf eine stärkere Sensibilisierung  der Nutzer von neuen  Kommunikations-Technologien legen, vor allem auf die Jungen. Aufruf zu Hass und Rassendiskriminierung sind verboten, auch auf Facebook, Twitter und in Blogs, bekräftigte die Kommission anlässlich der Lancierung ihrer neuen Kampagne “Bunte SchweizExterner Link”.

Ohne Anzeige jedoch eröffnen die Strafbehörden nur selten ein Verfahren gegen rassistische Online-Kommentare, präzisiert Giulia Brogini, Generalsekretärin der ERK. Ihre wichtigste Botschaft an alle Internet-Nutzer, die auf rassistische Inhalte stossen: nicht schweigen.

(Übertragen aus dem Italienischen von Christine Fuhrer)

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